„Das Geld“. Auch ein Kämpfer gegen den Antisemitismus bedient antisemitische Denkmuster. Émile Zola-Serie 18.

Nach zuletzt relativ vielen überdurchschnittlichen Romanen innerhalb der zweiten Hälfte des Rougon-Marcquart-Zyklus ist „Das Geld“ wieder mal ein Text beinahe zum Vergessen. Nicht ganz auf dem Niveau der absoluten Rohrkrepierer („Die Beute“, „Seine Exzellenz…“), aber doch sowohl ohne die absolute oder zeitweise sprachliche Schönheit, die alle Texte seit „Das Paradies der Damen“ aufwiesen, und gleichzeitig auch ohne diese überzeugend durch Dialoge vermittelten Figuren und die Welt, die „Das Paradies der Damen“ selbst auszeichnete.

Hauptfigur ist einmal mehr Saccard, der schon Protagonist von „Die Beute“ war und eine Nebenrolle in „Seine Exzellenz…“ spielte. Zwei der schwächsten Romane der Reihe. Ganz ehrlich, wenn der Typ mir schon zwei Texte verbockt hätte, würde ich ihn vielleicht nicht als Star eines dritten casten. Aber gut, da ist Saccard also wieder, und einmal mehr ist er als Unternehmer gerade am Boden. Erfolg scheint Saccard also nur zu haben, wenn Zola gerade nicht über ihn schreibt, sodass die zweite Hauptrolle eigentlich auch nicht in Saccards Interesse liegen sollte.

Diesmal versucht er, ein großes börsennotiertes Unternehmen quasi aus dem Nichts aus dem Boden zu stampfen. Eine internationale und mithin kolonial agierende Bank, für die die ähnlich windigen Gesellschafter hochtrabende Träume hegen. Sogar die Einsetzung des Papstes auf seinem „rechtmäßigen“ Stuhl in Jerusalem soll im Bereich des Möglichen liegen. Derweil hat ein Schuld-Eintreiber entdeckt, dass Saccard, der seinen Namen ja bereits einmal geändert hat, eine Zeit lang unter einem weiteren Namen gelebt hat und aus dieser Zeit Schulden und ein Kind hat. Er und die Mutter des Kindes überlegen noch, wie man aus diesem Wissen am besten Kapital schlagen könnte.

Zola verliert sich in dieser Erzählung leider wieder in vielen Gesprächen, die wie aus dem Aufsichtsrat mitstenographiert klingen und bringt die Handlung nicht so recht in Fahrt. Überhaupt fehlt dem Ganzen der zwingende Zusammenhang, der die meisten Texte des Zyklus auszeichnet. Das mag daran liegen, dass die Finanz- und die höhere Geschäftswelt wie bereits die Welt der Eisenbahnen in „Die Bestie…“ viel weniger ein geschlossenes Milieu ist, als das Dorfleben, das Leben der kleinen Handwerker und Marktbeschicker rund um die Hallen oder die Pariser Boheme. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich die Welt der Arbeit und der kleineren Unternehmen, deren Geschicke, wie Zola zu zeigen versucht, von Finanzspekulation zusehends gelenkt werden, quasi aus den anderen Romanen hinzudenken muss, da sie in diesem praktisch nicht präsent ist.

Das überzeugt als Roman nicht wirklich. Ich will die Verflechtungen hier spüren, hier sehen, was die große Welt mit der kleinen macht. Nicht mich erinnern: Übrigens, „da unten“ gibt es auch noch Menschen, aber die werden woanders behandelt.
An solchen Stellen stößt das Konzept des Autors, sich von Roman zu Roman von Milieu zu Milieu zu bewegen an seine Grenzen. Es gibt Millieus, aus denen sich gut geschlossen erzählen lässt, und es gibt solche, wenn man sie überhaupt so nennen will, die brauchen einfach gleichzeitig ein starkes Gegenbild, an dem sich die Auswirkungen wie in der Luft hängender Diskurse dann auch wirklich spüren lassen. Sonst hängt der gesamte Roman in der Luft.

Zuletzt sollte man nicht überlesen, dass „Das Geld“ als erster Roman Zolas überhaupt auch eindeutig antisemitische Passagen enthält. Juden werden als immer klar an ihrer Physiognomie erkennbar beschrieben und durchaus auch als in besonderer Weise mit dem „Wucher“ verbunden. Nun wies ich bereits in meiner Besprechung von „Das Werk“ darauf hin, dass selbst der auktoriale Erzähler von der Frauen objektifizierenden Perspektive der Künstlerschaft beeinflusst zu werden scheint und auch „Germinal“ und „Mutter Erde“ zeigen Zola als bemüht, die Erzählperspektive durch Figuren und Milieu zu filtern. So ist auch hier nicht auszuschließen ist, dass Zola versucht, eine Erzählperspektive umzusetzen, die quasi selbst aus dem Milieu geboren ist, aus dem sie erzählt. Wenn dem so ist, fehlen ihm jedoch die Mittel, das wirklich überzeugend umzusetzen. Allerdings, auch wenn man in Rechnung stellt, dass der Protagonist der Geschichte bei Licht betrachtet selbst ein „Bösewicht“ ist (aber aus Selbstüberschätzung, also schon irgendwie sympathisch) – sein jüdischer Gegenspieler wir als eiskalt, wie ein lebender Toter inszeniert:

„Sie rückte noch näher, hüllte ihn in ihren warmen Athem ein, in den feinen, bezwingenden Duft, den ihr ganzes Wesen ausströmte. Aber er blieb sehr ruhig und wich nicht einmal zurück; sein Fleisch war todt, er hatte keine Regung zu unterdrücken. Während sie sprach, nahm er – dessen Magen völlig verdorben war, so daß er sich mit Milchkost nährte – aus einer Fruchtschüssel, die auf dem Tische stand, Weintraubenkörner, immer eines nach dem anderen, die er mit einer mechanischen Geste aß; es war die einzige Ausschreitung, die er sich zuweilen gestattete, in den großen Stunden sinnlicher Erregung, und die er mit Tagen qualvoller Leiden bezahlte.“

Und auch der unnachgiebige Schuldeneintreiber ist natürlich Jude:

„Busch war wüthend und schrie noch lauter als sie, schlug sich heftig auf die Brust: Ist er nicht ein rechtschaffener Mann? Hat er nicht die Schuldforderung mit gutem Gelde bezahlt? Er befände sich vollkommen in Ordnung mit dem Gesetze und wolle ein Ende machen. Doch als einer der zwei schmutzigen Männer die Schubfächer der Kommode öffnete, um die Leibwäsche zu suchen, nahm sie eine so furchtbare Haltung an, indem sie drohte, das Haus und die Gasse in Aufruhr zu bringen, daß der Jude klein beigab.“

Ja, selbst wo Zola versucht den Antisemitismus seines Protagonisten ad absurdum zu führen, liest sich das so:

“Das Seltsame war, daß er, Saccard, dieser furchtbare Geschäftsmensch, dieser Henker des Geldes mit den verdächtigen Händen, das Bewußtsein seiner selbst verlor, sobald es sich um einen Juden handelte, und von demselben mit einer Erbitterung, mit der rachsüchtigen Entrüstung eines redlichen Mannes sprach, welcher von seiner Hände Arbeit lebt, frei von jedem wucherischen Geschäft.”

Es bleibt also die Gegenüberstellung von gutem schaffenden Kapital sowie der Arbeit mit den Händen auf der einen Seite und dem prinzipiell schädlichen Wucher, worunter letztlich alles Geldverleihen fällt, auf der anderen. Und das ist die Grundstruktur des modernen antisemitischen Denkens. So kann “Das Geld” zuletzt auch als Erinnerung dienen, wie virulent die antisemitische Grundlegung des „parasitären“ Geldes, das an der schöpferischen Unternehmer- und Arbeiterschaft saugt, und die regelmäßige Verbindung dessen mit dem Judentum, war. Und wenn wir ehrlich sind immer noch ist. Auch der Autor von „J’accuse“, zweifellos ein verdienter Vorkämpfer gegen Antisemitismus, war davor nicht gefeit.

Ist „Das Geld“ aufgrund seiner engen Verbindung zu zahlreichen anderen Zyklusromanen trotzdem ein „Must Read“? Ich denke nicht. Man spürt die Auswirkungen des Großkapitals in zahlreichen anderen Texten, etwa „Germinal“, „Die Erde“ und „Das Werk“, in viel überzeugenderer Weise und bekommt zugleich für sich herausragende Romane.

Bild: wiki, gemeinfrei.

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