„Die Suche“ schließt nicht auf gleichem Niveau an „Im Farindelwald“ an. DSA-Roman.

„Die Suche“ von Ina Kramer ist die Fortsetzung von „Im Farindelwald“ und durchaus wieder ein lesenswerter DSA-Roman, auch wenn ihm der Zauber des Vorgängers ein wenig abgeht. Wir treffen Anselm in Salza wieder, wo er bei seinem Onkel lebt und auch Sylphinja, die endlich eine Hexe gefunden hat, bei der sie in die Lehre gehen kann. Besonders dieser zweite Teil liest sich, obwohl er ansprechend geschrieben ist, teils etwas langatmig. Das mag auch daran liegen, dass ich mit „Greetja“ bereits ein weiteres Buch von Kramer hinter mir habe, in dem eine Hexe in die Lehre geht und Sylphinja bereits im ersten Teil ja ausgiebig sozusagen bei der Natur in die Lehre gegangen war bzw. sich selbst gelernt hatte.
Etwas spannender wird es eigentlich erst, als Sylphinja zwischenzeitlich mit Lehrerin KarlittaX in Salza weilt, wo sie kurzfristig von einem scheinbaren Geliebten in Gefahr gebracht wird. Doch auch das währt nicht allzu lang.
Anselm dagegen verlässt Salza bald, und begibt sich auf eine Odyssee durch verschiedene Städte auf der Suche nach der Bardin Traviane, die wir vom Beginn des ersten Teils kennen. Man verpasst sich regelmäßig knapp, und doch erreichen Anselmn einige Nachrichten, die ihm unter anderem mitteilen, dass er eine Schwester habe. Wer „Im Farindelwald“ aufmerksam gelesen hat, kann sich denken, wer diese Schwester ist. Anselms Reise ist relativ spannend, und führt durch die wahrscheinlich stimmigste Gegend von „Das Schwarze Auge“, das Nordland, was auch bei PC- SpielerInnenn für einen hohen Wiedererkennungswert sorgt. Natürlich werden Anselm und Sylphinja schließlich zusammengeführt, und auch diese Zusammenführung ist gelungen. Bis dahin hat man allerdings das Gefühl, zwei parallele Romane zu lesen, was nicht wirklich optimal ist. Das mag auch zeitweise schuld sein am Eindruck der Langatmigkeit, denn der Wechsel erfolgt nicht etwa Kapitelweise, sondern teils etwa nach 100 Seiten oder mehr. Und wenn dann die Geschichten teils eher spannungsarm sind, ist das zu viel des Guten
.
Wie schon „Im Farindelwald“ bedient sich auch „Die Suche“ des Kniffs, eine Figur aus einer Erzählung, in diesem Fall einem hexischen Lied, später tatsächlich auftauchen zu lassen.
Diesmal handelt es sich um die Riesin Yumuda. Der Kniff ist wieder gelungen, und Kramer zeigt, wie man mit mächtigen Figuren umgehen kann, ohne sie in ähnlicher Weise der Lächerlichkeit preiszugeben, wie das DSA Dämonen gegenüber für gewöhnlich macht. Ähnlich wie der Riese Orkfresser in „Der rote Fluss“ wirkt auch Yumuda einzigartig. Lieder und Gespräche künden von ihrer Existenz, doch ist man kaum sicher, ob sie noch lebt. Riesen gehören größtenteils in das Reich der Legenden. Als Yumuda dann tatsächlich ihren Auftritt hat, hat man das Gefühl, wirklich ein gigantisches Wesen aus einer anderen Zeit zu erleben.
Genauso müsste man auch mit Dämonen verfahren und genauso verfährt Kramer auch mit dem einzigen dämonischen Einfluss in der Serie. Normalerweise dagegen sind Dämonen in den DSA-Romanen leider so häufig, dass sie so viel oder so wenig Eindruck erwecken wie ein Kaninchen, das durchs Feld hoppelt. Aha, schon wieder ein Dämon, denkt man. Was auch sonst.
„Die Suche“ ist wieder lesenswert, kennt sprachlich schöne Passagen aber ist nicht ganz der zweite Teil, den „Im Farindelwald“ verdient hätte. Allerdings brauchte „Im Farindelwald“ sowieso nicht zwingend einen zweiten Teil.

„Im Farindelwald“ bei Kommunikatives Lesen.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

Paul Zechs Stilwechsel und der NS. Wann erschien „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod“?

Die interessanteste Frage bezüglich Paul Zechs „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod“ ist die nach der Zeit des Verfassens. Laut Wikipedia kann das nicht genau terminiert werden, der Autor behauptet, den Roman noch während des Krieges geschrieben zu haben. Doch selbst das ist natürlich eine längere Zeitspanne. Aber anscheinend bleiben Zweifel, ob der Roman nicht doch erst nach der Niederlage des Nationalsozialismus vollendet wurde. Ich kann nachvollziehen, woher diese Zweifel kommen.

Dass ich das die interessanteste Frage nenne, zeigt auch: literarisch hat der Text nicht sonderlich viel zu bieten. Denn normalerweise sollten ästhetische und nicht Fragen nach der Historie des Textes vorangestellt werden. Zech nennt seinen Roman einen „Tatsachen-Roman“, und das ist wenig besser, als ein Thesenroman. Ja, in großer Breite zeigt der Text, wie der Nationalsozialismus seine Gegner drangsaliert und tötet, und wie viele Menschen sich aus unterschiedlichen politischen und privaten Gründen den Nazis andienen oder schon ganz früh dabei waren. Er ist darin nicht schlechter, vielleicht sogar besser, als viele andere Anti-NS-Romane. Aber sind wir ehrlich: Wie viele Anti-NS-Romane sind denn tatsächlich gut? Die aus der frühesten Zeit sind größtenteils eben genau Thesenromane, oder Romane, die irgendeinen heldenhaften Widerstand in den Mittelpunkt stellen und darüber vergessen, dass der Nationalsozialismus eben nicht wie eine außerirdische Macht über Deutschland kam. Und die Texte danach sind eigentlich deutsche Klagen genau über diese außerirdische Macht und vergessen meist, wie übrigens auch die Widerstandstexte, den Antisemitismus. Oder machen ihn zu einer relativ vernachlässigbaren Größe unter all den Unterdrückungen, die „wir“ unter dem Nationalsozialismus zu erleiden hatten. Man kann Zechs Roman nichts davon vorwerfen. Allerdings auch nicht, dass er gut geschrieben wäre.

Nicht, dass „Deutschland, dein Tänzer heißt Tod“ nicht viele tragische Schicksale berichten würde, viele Angriffe und Verfolgungen, viele Momente also, aus denen Spannung erwachsen könnte. Doch der Text ist so unglaublich breit angelegt, was das Ensemble seiner Figuren betrifft, dass man kaum mit ihnen im Sinne einer Handlung mitfiebern wird. Jedes Kapitel scheint beinahe eine neue Geschichte anzufangen, und selbst die Haupthandlungen, die sich herauskristallisieren, etwa über einen Widerständler, der proletarische Flugblätter verteilt, in Gefangenschaft gerät und gefoltert wird, werden so selten wieder aufgegriffen, dass man nicht wirklich investiert. Wenn die Figur auf Seite 30 und dann wieder auf Seite 250 auftaucht – kann ich mir sicher sein, dass der Strang bis Seite 670 noch mal verfolgt wird? Oder war es das womöglich? Es macht deshalb auch wenig Sinn, stärker auf die Handlung einzugehen. Zahlreiche Figuren werden rund um die Reichspogromnacht eingeführt und unterhalten sich in ihren sozialen Zirkeln über das kommende. Soll man fliehen? Soll man bleiben? Gibt es noch Hoffnung auf Widerstand? Hat man Chancen, sich im Regime soweit anzupassen, dass man irgendwie durchkommt? Stürzt der Nationalsozialismus bald oder wird es wirklich ein tausendjähriges Reich? Und viel derlei mehr. Später trifft man Einige auch im Exil wieder. Noch mehr Zersplitterung. Darunter auch viele direkte Täterperspektiven von überzeugten Nazis ebenso wie Mitläufern, obwohl der ansonsten relativ zurückhaltender Erzähler keinen Hehl daraus macht, auf welcher Seite er steht. Viele krasse Szenen. Wer mit Brutalität nicht zurechtkommt, für den ist das kein Roman.

Aber am interessantesten bleibt wie gesagt die Frage nach der Zeit des Verfassens. Denn Zech trifft viele Dinge so richtig, von denen wir heute vielleicht sagen würden „na klar war das so“. Die aber wirklich fast alle anderen frühen und auch noch Nachkriegs Nnti-NS-Romane nicht gesehen oder ausgeklammert haben. Mit Ausnahme vielleicht von Jüngers symbolisch als Anti-NS-Roman zu lesenden „Auf den Marmorklippen“, der zumindest das Vernichtungspotenzial schon zu benennen wusste.

In „Tänzer“ steht der Antisemitismus im Mittelpunkt des Nationalsozialismus. Mehrere der kleinen NS-Protagonisten träumen bereits von der Vernichtung der Juden. Und sie können das, weil Hitler ausreichend angekündigt hat, in welche Richtung es gehen soll. In „Tänzer“ ist der Widerstand kommunistisch/sozialistisch, und gleichzeitig wird durchaus reflektiert, wie geschwächt die Arbeiterklasse einerseits durch Verhaftungen und Ermordungen, andererseits aber auch durch die vorhandenen Sympathien zahlreicher Arbeiterinnen und Arbeiter für den Nationalsozialismus ist (im 2. Teil wird die Perspektive dann aber zu optimistisch.) In „Tänzer“ haben zahlreiche Figuren und das „deutsche Volk“ in der Breite mindestens Sympathien für den Nationalsozialismus, zumindest ausreichend Sympathien, um sich schon mal Gedanken zu machen, welche Position sie im Regime inne haben könnten, und welche Aufstiege vielleicht möglich sind. Und nicht wenige unterschreiben das Programm, sei es aus ideologischen Gründen oder sei es, weil man hofft, dass der NS die eigenen Gegner beiseite schaffen oder einem zumindest dabei helfen wird. Dass ein Krieg unausweichlich sein wird, ist klar benannt. Aber auch die kommende Niederlage bereits zumindest angedeutet. Kurz: Auch wenn es absolut nicht undenkbar ist, dass so ein Roman bereits in der Folge der Reichspogromnacht hätte verfasst werden können, denn zumindest rückblickend lagen die Fakten auf dem Tisch: Angesichts der sonstigen Anti-NS-Literatur und ihrer offenkundigen Leerstellen wäre es deutlich leichter denkbar, der Roman wäre verfasst worden, nachdem sich die Niederlage des NS abzeichnete. Nicht unendlich lange nach dem Krieg, denn Paul Zech ist 1946 gestorben, aber eben doch mit dem Bewusstsein des Sieges über den Nationalsozialismus im Rücken. Mit Kenntnis von den Vernichtungslagern. Aber wie gesagt: Ein früheres Verfassen ist absolut denkbar, prinzipiell hätte ein solcher Roman wohl ohne weiteres über die späten 30er und frühen 40er Jahre entstehen können. Und andere deutsche Romane klammerten den Holocaust noch bis in die 80er weitgehend aus.

„Tänzer“ ist wie gesagt auch literarisch nicht schlechter als viele andere Anti-NS-Romane. Weshalb man sich durchaus fragen kann, ob es nicht genau der für die Deutschen wenig schmeichelhafte Inhalt sein könnte, der dafür sorgte, dass der Text lange nicht veröffentlicht wurde oder ob es nicht doch daran liegt, dass Paul Zech einfach so viel schrieb, dass man nicht alles veröffentlichen konnte. Denn ein Text im Sinne dessen, wofür Zech, wo er bekannt war, bekannt war, ist es eben definitiv nicht. Diese dichte kürzere Prosa, hochpoetisch, manchmal ein wenig entgleisend. Babei fokussiert auf spannende Erzählungen aus dem alltäglichen Leben. Davon ist hier nicht viel geblieben. Das hier die poetischste, ja, überhaupt die einzige derartige, Passage:

Der Nebel hing von den Bäumen bis zur Erde herunter. Zwei Reihen Ulmen und dazwischen eingeklemmt das schmale, graue Band der Chaussee Berlin-Karow-Buch. Die Felder lagen tiefer, schienen schwärzer und verwischten ohne Grenze in ein feuchtes, dunkles Nichts. Die Lichter der Beamtensiedlung Falkenhorst waren weit hinten als ein schwerelos herumschwimmender Fleck angedeutet. Ein ortsunkundiger Mann hätte jetzt dort kaum eine menschliche Behausung vermutet. Es lastete ringsum eine absolute Stille. Vor zehn Minuten war das letzte Gefährt über die Chaussee gerollt, der Lieferwagen einer Käsegroßhandlung.”

Ansonsten berichtet der Erzähler. Das ist passiert. Das ist passiert. Der sagt das. Der denkt das. Und jetzt passiert das. Naheliegend, das Zech angesichts der Schrecken, die er beobachtete und berichtet, nicht weiter schreiben konnte wie zuvor. Vielleicht war ihm sogar selbst bewusst, wie auch die Avantgarden, in deren Fahrwasser er mitschwamm, zumindest Teils und zeitweise an diesem neuen Deutschland bauten. Und er wollte weitestmöglich weg von jedem Stil, der damit noch in Verbindung stehen könnte. Doch während man seinem „Tatsachen-Roman“ nicht absprechen kann, für einen Roman seiner Zeit relativ nah an den Tatsachen zu sein, bleibt vom Roman als Form zuletzt leider nicht mehr viel übrig.

Bild: Wiki, gemeinfrei

Viel besser als der Titel befürchten ließ: DSA-Roman „Satinavs Auge“.

„Satinavs Auge“ war der letzte DSA Roman, den ich durch mein dreimonatiges Kindle plus Weihnachtsabo kostenlos bekommen habe. Ich gebe zu, ich habe den Text lange geschoben, da das Cover und der Titel eher Trash erwarten ließen. Irgendetwas rund um ein mächtiges Artefakt und, so meine Befürchtung, wieder ganz viele Dämonen. Sie schlechtesten Angewohnheiten der Reihe.

Es handelt sich aber im Gegenteil um einen der besseren Romane. Nicht ganz im Top-Tier mit Texten wie „Im Farindelwald“ oder „Roter Fluss“, aber dann direkt in der Folge mit den stimmungsvollen Unterhaltungsromanen. Auch wenn es um die Jagd nach einem mächtigen Artefakt geht, stehen relativ normale Menschen im Mittelpunkt. Silvanessa und Anconio sind zu Beginn der Handlung beide als nicht wirklich eingeladene Gäste auf einem Fest, das von der Gruppe eines geheimnisvollen Halbelfendiebes überfallen wird. Dabei wird Silvanessas Bruder Silvanessa getötet, doch von wem? Sie versucht es herauszufinden und stößt dabei wieder mit Anconio zusammen, der als ewiger Eleve auf der Magierakademie seit 11 Jahren nicht wirklich Fortschritte macht. Bei nächtlichen Untersuchungen in der Leichenhalle werden die beiden von einem Gargoyle überrascht, und stoßen so auf Satinavs Auge, bei dem sich um eine möglicherweise magische Uhr handelt. Doch was hast die mit den Ambitionen des Anführers des Ordens der xxx zu tun? Der klammert sich an eine gewichtige Prophezeiung, aus der er die Wiederauferstehung des Alten Reiches liest.

Der Roman lebt davon, dass seine beiden Hauptfiguren überzeugend ausgearbeitet sind und ihre Beziehungen zueinander und zum Rest der Welt glaubhaft. Besonders auch die Silvanessas zum verstorbenen Bruder. Abseits davon ist es einer der zahlreichen DSA-Detektiv-Romane und davon insofern einer der besseren, als dass er die Figuren nicht wie moderne Ermittler behandelt. Auch die Stadt Vinsalt wird relativ atmosphärisch beschrieben, und die Action-Passagen halten sich in Grenzen. Zudem werden sie meist genutzt, um uns etwas mehr über Figuren und Welt zu verraten. Etwa hier, wo eine Jagd über Dächer gleichzeitig hilft, die Stadt bei Nacht plastischer zu machen:

“Die grauschwarzen Dächer Vinsalts erstreckten sich vor ihr wie ein erstarrter Ozean. Türme ragten wie Masten daraus hervor, und im Westen dräute die konturlose Masse des Tempelbergs, doch Silvanessa hatte keinen Blick dafür übrig, während sie über die Dächer rannte. Sie tauchte unter einem Wetterhahn hindurch, sprang über eine offene Luke und ignorierte das verdutzte Gesicht des Mannes, der ihr daraus entgegenblickte und bei ihrem Auftauchen vor Schreck seine Pfeife fallen ließ. Als sie sich auf ein höher gelegenes Dach zog, sah sie den Wasserspeier auf einem Erkerdach, einige Häuser entfernt.
(…)
Das Sternbild des Greifen beleuchtete die halsbrecherische Jagd. Im fahlen Licht war es schwierig, morsche Dachschindeln und andere gefährliche Stellen zu erkennen, doch Silvanessa wurde nicht langsamer. Sie musste den Gargyl einholen! Doch mit jedem Haus, das sie hinter sich ließ, schmolzen ihre Chancen dahin. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre Muskeln schmerzten. Lange würde sie nicht mehr durchhalten. Ein Soldatenlied drang zu ihr hinauf. Sie ließ das Dach der Taverne hinter sich, flankte über eine schmale Gasse und kam auf dem gegenüberliegenden Dachfirst ins Straucheln (…)”

Wer also halbwegs gern Fantasyromane liest wird kaum Grund finden, sich über Satinavs Auge zu beschweren.

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Solider Krimi für zwischendurch: „Kant und der Schachspieler“.

“Kant und der Schachspieler” ist einer der Romane, die ich in einem Buchpaket für den ersten Preis beim Literaturwettbewerb von Booknerds bekommen habe. Danke noch mal für das Paket.
Bei dem Roman handelt es sich um den zweiten Teil einer Reihe, aber das stört nicht weiter. Die Texte scheinen sehr deutlich in sich geschlossen. Zumindest im zweiten Teil fehlt mir nichts an Informationen, die ich nur aus dem ersten Teil bekommen könnte.
Es handelt sich um einen ganz klassischen Krimi. Auf einem seit Jahren nicht mehr genutzten Gelände in München wird ein Toter gefunden. Er hat eine Schachfigur in der Hand. Das führt auf die Spur eines seit Jahren vermissten Schachspielers, eines Immobilienbetrugs und allerlei Verwicklungen mehr.
Es gibt tatsächlich relativ wenig zu meckern. Die Handlung ist spannend und Wendungsreich, bleibt dabei allerdings plausibel. Die Figuren sind relativ glaubhaft, sie haben ein ausreichendes Privatleben um eine gewisse Tiefe zu gewinnen, aber das Privatleben drängt sich auch nicht zu sehr in den Vordergrund. Der Aufbau funktioniert. Die Auflösung funktioniert. Auch sprachlich ist der Text für einen Kriminalroman gut gestaltet, findet deine gute Mischung aus Dialogen und Raffungen, die die Handlung vorantreiben und Blicken fürs Detail, die dem atmosphärischen Aufbau dienen. Auch, an den richtigen Stellen, ein paar poetische Einsprengsel:

„Als ihre Krüge fast leer waren und das schwindende Licht die scharfen Kanten der Welt abschliff, sprach Kant das Thema an, das ihn seit ihrer letzten Begegnung beschäftigte. „Glaubst du, dass man einen Schachspieler an seinem Stil erkennen kann?“
Die Glut von Ivicas Zigarette leuchtete mit den bunten Lichterketten in den Kastanien um die Wette, als er einen tiefen Zug nahm. „Kommt drauf an (…)““

Der Autor hat sich bemüht, auch zeitgenössische Themen aufzugreifen, so ist die Tochter des Hauptermittlers in einer an Xtinction Rebellion angelehnten Gruppe, und Kant ringt noch ein wenig um sein Verhältnis dazu, ist aber am Ende dann doch vor allem stolz auf den Einsatz der Tochter. Auch wenn Sie ihn im Alltag manchmal mit den Appellen, sein Leben zu ändern, nervt. Auch das hat ungefähr das richtige Maß und wirkt nicht predigend, sondern ist glaubhafter Anteil eines Lebens in den 20ern des dritten Jahrtausends.

Wer also einen gut gemachten Krimi sucht, wird ohne Reue zugreifen können. Ein Buch, dass man mehrmals lesen wollen wird ist es allerdings nicht.

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Von der Nacht keine Bilder. Dostojewskis „Weiße Nächte“.

Wahrscheinlich ist „Weiße Nächte“ zumindest vom Titel her die bekannteste der früheren Erzählungen Dostojewskis. Hier kommt auch zum ersten Mal das von mir bereits herausgearbeitete nicht Beschreiben zu voller Entfaltung. Selbst in der Eröffnung wird von der Nacht nicht viel mehr gesagt, als dass sie wundervoll sei, und dann beginnt der Protagonist sogleich, nach innen zu schauen:

“Es war eine wunderbare Nacht, eine von den Nächten, die wir nur erleben, solange wir jung sind, freundlicher Leser. Der Himmel war so sternenreich, so heiter, daß man sich bei seinem Anblick unwillkürlich fragen mußte: können denn unter einem solchen Himmel überhaupt irgendwelche böse oder mürrische Menschen leben? So fragt man nur, wenn man jung ist, freundlicher Leser, wenn man sehr jung ist; doch möge der Herr Ihnen solche Fragen öfter eingeben … Da ich gerade von allerlei mürrischen und bösen Herrschaften spreche, muß ich an mein musterhaftes Betragen während des ganzen heutigen Tages denken. Schon vom frühen Morgen an quälte mich ein seltsames Unlustgefühl. Es war mir plötzlich, als ob ich, Einsamer, von allen verlassen sei und als ob sich alle von mir lossagten. Nun kann man mich allerdings fragen: wer sind diese »Alle«? Denn ich lebe schon seit acht Jahren in Petersburg und habe es bis heute nicht verstanden, Bekanntschaften zu machen. Wozu brauche ich auch Bekanntschaften? Ich kenne auch so ganz Petersburg; darum hatte ich auch das Gefühl, von allen verlassen zu sein, als ganz Petersburg aufbrach und in die Sommerfrischen zog. Es war mir so schrecklich, allein zu bleiben, und darum irrte ich ganze drei Tage in der Stadt umher, von einem starken Unlustgefühl bedrückt und ohne zu begreifen, was mit mir vorging.”

Davon, was eine Petersburger weiße Nacht ausmacht: Im ganzen Text kein Wort. Allein der Titel gibt uns das Setting vor, und dann sind es Erlebnisse und Dialoge, die uns ein Gefühl dafür geben.

Die Geschichte ist einfach und relativ typisch. Ein junger Mann streift durch die Nacht und begegnet im Hafen einer jungen Frau. Erst wagt er nicht, sie anzusprechen, dann bedrängt ein anderer Mann sie und er geht dazwischen. So entspannt sich ein Gespräch und natürlich ist der junge Mann gleich total verliebt und beginnt ihr in tollpatschiger Weise das ein oder andere vorzuschwärmen. Schließlich verabreden sie sich für den nächsten Tag bzw. sie verspricht ihm, wieder da zu sein, da sie aus anderen Gründen sowieso im Hafen sein muss.

Endlich erzählen die beiden sich mehr von ihren Geschichten. Dabei inszeniert sich besonders der junge Mann geradezu wie die Figur eines literarischen Textes. Er stellt sich gewissermaßen als Typ vor: Ein Träumer. Dann erklärt er, was ein Träumer ist, wie er lebt. Dazu wechselt er bald in die dritte Person, denn solche Dinge könne man eigentlich nur im Modus des Erzählens erzählen. Doch auch das Leben der jungen Frau ist relativ romanhaft. Tagsüber hält die blinde Großmutter sie bei sich fest, indem sie ihre Kleider aneinander stickt. Die Familie hatte einen Untermieter, der sie ein wenig mit der größeren Welt bekannt gemacht hat und schließlich haben sich die beiden verliebt. Doch der Mann musste gehen, versprach aber nach einem Jahr zurückzukehren, dann würden sie heiraten. Nun weiß sie, dass er wieder in der Stadt ist, aber zu ihr zurückgekehrt ist er noch nicht.

Ähnlich wie in „Arme Leute“ lässt sich der Protagonist schließlich dazu einspannen, diese Beziehung irgendwie wieder herzustellen. Gerade ist die junge Frau soweit, die alte Liebe für eine neue in den Wind zu schießen, da taucht der alte Geliebte auf und sogleich geht sie mit ihm davon und der neue Freund fügt sich in das Schicksal. Ähnlich stark wie in einigen früheren Texten macht Dostojewski das Thema, dass die Frau den neuen Mann immer wieder darauf zu verpflichten versucht, dass sie beide in Zukunft wie Geschwister seien.

Am interessantesten an „Weiße Nächte“ ist heute wahrscheinlich, wie Dostojewskis die Themen typisch romantischer Romane Figuren zuordnet, die ihr eigenes Leben schon nur noch im Modus der Literatur begreifen können und damit vielleicht unter gewisse Themen zumindest in der einfachen Durchführung eine Art Schlussstrich zieht.

Ansonsten überzeugt mich der Text nicht wirklich. Gewiss er ist halbwegs kurzweilig, aber eben doch auch vor allem wieder ein Werk, das von in Dialogen exzessiv entwickelter Melodramatik lebt. Eine besondere Atmosphäre durch Beschreibung wird nicht herausgearbeitet und die geistige Welt, über die die großen Romane ihre Atmosphäre gewissermaßen durch Tat und Dialog entwickeln, ist noch sehr reduziert. Es ist die Welt einer überspannten Romantik, die zwar als selbstkritische entwickelt wird, aber eben doch in den Platten Topoi von Liebe auf den ersten Blick und Nebenbulerschaft

Ein Revolutionär ohne Reiz – Dostsojewskis „Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“.

„Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“ von Fjodor Dostojewski lässt sich durchaus gut an, enttäuscht dann aber doch im Vergleich zu anderen Werken des Autors.

Der Roman erzählt von dem Gut, das ihm den Namen gibt. Dort lebt der Onkel des Erzählers, auf dem Weg zu dem sich der Erzähler zu Beginn befindet. Bei diesem Onkel soll ein Mann namens Foma Opiskin leben, und bei Begegnungen mit zahlreichen Bewohnern des Gutes erfährt der Erzähler allerlei seltsames. Opiskin scheint ein dünkelhafter Städter zu sein, der sich viel auf seine Bildung einbildet und versucht, das Gut von vorne bis hinten umzukrempeln. Er lehrt den Leibeigenen Französisch, verbietet ihnen zu tanzen, zwingt einen Diener des Onkels, ihn mit eure Exzellenz anzureden und allerlei Verrücktheiten mehr. Vor allem scheint dem niemand Widerstand zu leisten, zumindest der nicht leibeigene Teil der Bewohnerschaft steht vollkommen unter dem Bann von Opiskin und besonders der Onkel.
Parallel gibt es noch ein paar andere Entwicklungen. Der Erzähler wurde eingeladen, um die Hand einer jungen Frau anzuhalten, aber es könnte sein, dass auch der Onkel in diese Frau verliebt ist. Und ein Gast hat vor, eben jene Frau zu entführen, was dem Erzähler ganz zu passt kommen würde, denn er hat keine Lust auf die Ehe, aber helfen will er da dann doch nicht…

Das alles klingt sehr unterhaltsam, und die ersten etwa 100 Seiten mit der Vorstellung der Bewohner sind es auch. Aber im Vergleich zu anderen Romanen Dostojewskis ist es unerträglich platt. Ja, es soll wohl eine Art Komödie sein, und die darf sich Karikaturen erlauben. Aber es wird nie so wirklich klar, wie das Ganze überhaupt funktionieren soll. Dieser Opiskin ist einfach unausstehlich. Seine Ideen sind so verrückt, dass es unerklärlich bleibt, dass man ihn nicht schon vor Ewigkeiten in Schimpf und Schande davongejagt hat. Natürlich handelt es sich wieder um Dostojewskis altes Thema: Ein überkanditelter Westler, der mit „neuen Ideen“ das gute alte Mütterchen Russland in Unordnung bringt. Plötzlich wünschen sich Leibeigene neue Namen, da ihre nicht edel genug seien, traditionelle Tänze werden aufgrund ihrer Vulgarität verboten. Untugendhafte Kunst und entsprechende Lebensweisen sollen ausgemerzt werden, alles soll der Veredelung der Gemeinschaft dienen. Aber anders als dem Anarchisten Pjotr Stepanowitsch etwa und seinem halb freiwilligen Mitstreiter Stawrogin in „Die Dämonen“ fehlt Opiskin jegliches Charisma ebenso wie jegliches Ziel. Doch selbst wenn wir akzeptieren, dass sie sich bei ihm einfach um einen selbstgerechten Vollidioten handelt, ist immer noch nicht erklärt, warum der Rest des Gutes den Unsinn mitmacht.
Opiskin erinnert mich manchmal an den Pumuckl. Ihm fallen allerlei Verrücktheiten ein, die er dann sofort umgesetzt haben will, bis hin zu Aktionen wie, dass er einem Kind den Namenstag neidet und entscheidet, am nächsten Tag nun auch Namenstag zu haben. Oder, dass er das Gefühl hat, auf einem minderen Platz in der Kalesche zu sitzen und nun die Besitzerin des von ihm erwünschten Platzes kneift (das ist doch originär Pumuckl, oder?). Auf einer kurzen Erzählung von wenigen zehn Seiten würde das vielleicht funktionieren, auf 300 Seiten nicht. Dass man es dennoch halbwegs unterhalten durchliest, liegt an der Stärke Dostojewskis in den Dialogen und in der Zeichnung der Nebenfiguren, an die großen Romane und auch an die stärkeren der kurzen Texte kommt „Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“ allerdings nicht im Ansatz heran .

Meckels „Licht“ fehlt das Einzigartige seiner anderen Texte.

Von Christoph Meckel habe ich hier auf Empfehlung einer Leserin hin bereits den kurzen Roman „Die Messingstadt“ und die Erzählungssammlung „Nachtsaison“ besprochen. Beide dürften in ihrer Kombination von Hardboiled und zarter Poesie in der deutschsprachigen Literatur, wenn nicht in der Weltliteratur, relativ einzigartig sein. Robert Walser trifft Raymond Chandler.

In der längeren Erzählung „Licht“, die 1978 erschienen ist und gerade neu aufgelegt wurde, fehlt der Hardboiledaspekt. Und entsprechend der Nimbus des Einzigartigen. Auch dieser Text hat seine schönen Momente, etwa:

“Der Winterabend begann am Nachmittag. Die Angler trugen volle Eimer nach Hause. Der Schnee wurde blau, jeder Baum ein Vogelhaus, Geflatter in Krähenbäumen, schläfriges Krächzen, Uferbäume und Bootshäuser dunkel. Glattgerodelte Wege im Zwielicht. Wir balancierten in eine Ortschaft, an hochgeschaufeltem Schnee vorbei in das nächste Gasthaus. In der Gaststube war es so heiß, daß die Brille beschlug und die Finger schmerzten. Es roch nach Schinkenomelett, Zigarren und Wein. Der Bauernstammtisch redete Dialekt, viel Hobelspäne im Maul und Bauchrednerei, ich kann das bloß verstehn, wenn aus der Zeitung zitiert wird.”

Gleichzeitig nimmt Meckels Tendenz zur reinen Aufzählung teilweise überhand. Besonders in der ersten Hälfte der Erzählung liest sich etwa jede zweite Seite so:

“Die leeren, langsam fahrenden oder im Regen parkenden Taxis, die schäbigen Hotels mit den Weltklasse-Namen (wir kannten einige aus der Zeit des Anfangs, als wir in billigen Zimmern verabredet waren ). Die Gartenstraßen, die Parks und die Tennisplätze , Villen und Bungalows unter Ulmen, Sacharinschachteln für die entsprechenden Leute, aber für mich ist das nichts, sagte Dole, ich könnte nie in solchen Kästen leben. Die mit Laub überschütteten Bahndämme im November, Rauch und Windlichtzauber eines frühen Juniabends, die Flohkinos auf der Nordseite, die Humboldtstraße mit den schmierigen Kellerkneipen, wo Katzen Fischreste unter Bänken fraßen; die Flußbrücken in der Nacht und die Uferwege am Kanal, Lametta-Geräusch in U-Bahnschächten, Sommerabende in einem Biergarten und plötzlicher Rock’n Roll, wenn ein Betrunkener aus der Nachtbar fiel und die Schwingtür sekundenlang zur Straße hin offen stand. Und wir dachten die Zeit mit, eine frühe Nacht, uneingeschränkt und kostbar für die Liebe.”

Inhaltlich dreht es sich um zwei Menschen in ihren 30ern, die beide als Journalisten arbeiten und seit Jahren durch eine schwierig genau zu definierende Liebesbeziehung verbunden sind. Anfangs findet der Erzähler einen Brief seiner Partnerin an einen – realen? Fiktiven? – Geliebten. Es scheint eine relativ klare Sache: Wir lesen die Erinnerung eines Betrogenen. Die Beziehung läuft dennoch weiter, und verschiedene Geschehnisse geben Anlass zu den Rückblicken, die in die monierten Aufzählungen münden. Am interessantesten aber wird mit der Zeit die Beziehung selbst. Wir stellen fest: Die beiden leben noch nicht einmal zusammen. Hat es in der Vergangenheit für beide jeweils andere Nebenpersonen gegeben? Auch das liegt zeitweise nahe, wird aber nicht wirklich festgemacht Erklärt das wiederum die relative Lockerheit, mit der der Erzähler über den Brief und dessen Bedeutung nachdenkt? Am Ende folgt allerdings eine so große Erschütterung, dass man auch auf die Idee kommen könnte, dass die Milde eine retrospektive Milde ist, die Erzählung also durch das Ereignis zum Schluss modifiziert wird.

Gleichzeitig steckt dieser Schluss fast wie ein Gewaltakt von außen in der Erzählung. Als hätte der Autor gemerkt dass man sich so immer weiter erinnern könnte, und musste irgendwie ein Ende finden. Ganz organisch aus dem vorher Entwickelten scheint der Schluss nicht.

„Licht“ ist ein durchwachsener Text, mit Momenten, die fast auf der Höhe sind mit dem Besten von Meckel, allerdings strukturell nicht überzeugend und zeitweise zu sehr ins reine Aufzählen abgleitend. Wie schon bei Else Lasker-Schüler und Klaus Mann stößt zudem die mehrfache unbedachte Verwendung des N-Wortes auf. Bei Mann und Schüler war ich bereit, über das reine Wort weitgehend hinwegzusehen, denn jeweils lang vor dem Zweiten Weltkrieg konnte man davon ausgehen, dass sich die AutorInnen der Problematik noch überhaupt nicht bewusst waren. „Licht“ ist von 1978, und vielleicht muss man das selbst für diese Zeit noch zugestehen, wenn auch definitiv nicht mehr im gleichen Maße. Allerdings gilt auch für Meckel: Es bleibt nicht beim reinen Wort. Schwarze Personen sind hier Teil der Aufzählungen, wie Staffage der Landschaft, in einer Weise, in der man etwa weiße Menschen definitiv nicht erwähnen würde. Sprich: Auch würde das ein Wort gegen ein politisch korrektes ausgetauscht, hätten die Passagen noch einen objektifizierenden Unterton. Das wiederum nicht in der gleichen Intensität wie bei Mann und besonders Lasker-Schüler, aber dennoch.

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Was ist irrational an dämonischen Einflüssen? Weitere Probleme des Fantasy-Krimis.

„Der Schrecken von Arlingen“ beginnt stark im Sinne eines gotischen Schauerroman. Ein abgelegenes Dorf an der Küste. Hohe Klippen, Sturm, wütendes Meer, Finsternis, Nebel. Dazu eine seltsame Mordserie und ein kleiner Adliger mittleren Alters, der mit seinem väterlichen Freund ausgezogen ist, die Mordserie aufzuklären. An den Aberglauben der Dorfbewohner rund um Dämonen und Ähnliches glaubt er nicht, es müsse etwas Menschliches dahinter stecken. Dieses Dorf und die Landschaft sind von Anfang an in starken Bildern gemalt, so rustikal wie poetisch:

“Ich blickte ihr lange nach. Nun, da die grauen Wolken sich verzogen hatten und das Dorf im sanften Licht der Abendsonne badete, erschien mir Arlingen mit einem Mal sehr friedlich und schön. Für einen Augenblick vergaß ich beinahe die Kälte und die Schrecken des vorangegangenen Tages. Da zerrte plötzlich ein kalter Windhauch an meinem Mantel, und mein Blick ging nach Westen über das Meer. Am Horizont versank die Sonne im Wasser. Ihr Licht hatte inzwischen nicht mehr das sanfte Glühen flüssigen Goldes. Wo ihre Strahlen das Meer berührten, nahm das Wasser die Unheil verheißende Farbe frischen Blutes an. Ich musste daran denken, wie viel davon die See an dieser rauen Küste schon aufgefangen hatte, und sehr schnell kehrten meine Gedanken zurück zum ›Schrecken von Arlingen‹ und der entsetzten Grimasse seines jüngsten Opfers.”

Auch ansonsten hat der Roman einiges für sich. Die Handlung in Arlingen ist spannend, wartet mit interessanten Wendungen auf, getragen von Figuren, die so interessant wie glaubhaft sind. Eine mysteriöse Efferdgeweihte, ein älteres Fischerehepaar, ein Fremder, der im Wald lebt und von den Dorfbewohnern argwöhnisch beäugt wird und noch tiefer im Wald, mehr Legende im Dorf als real, ein Druide. Die Detektivhandlung entwickelt sich nicht nur glaubhaft, sondern anders als in „Mörderspiel“ auch in einer Weise, die sich mit der DSA-Welt in Einklang bringen lässt. Das Ermitteln ist mehr ein hit-and-miss-Verfahren, als rein an der kühlen Rationalität bürgerlicher Detektive geschult, gleichzeitig finden sich in der Vergangenheit des Protagonisten mehr Gründe, warum er überhaupt der Ratio so zugetan ist. Und auch abseits der gotischen Horrorgefilde fährt der Text immer wieder eine starke bildliche Sprache auf, etwa bei der ersten Begegnung mit Hagunald, dem verhassten Fremden im Dorf:

“Dunkle Tannen rauschten leise im Wind. Fast schien es, als raunten sie einander Worte in einer unbekannten Sprache zu, als wisperten sie warnend von Wipfel zu Wipfel: »Fremde, Eindringlinge!« Die Fischer Arlingens fürchteten den Wald, so wie sie alles Unbekannte fürchteten. Und doch konnte ich verstehen, wieso sie flüsternd und misstrauisch über das Dickicht des Waldes sprachen, wieso sie ihre Kinder vor den wilden Tieren – und Schlimmerem! – warnten, die dort lauern mochten, und wieso sie den dunklen Forst niemals, niemals betraten. Das war so, seit Hagunald nach Arlingen gekommen war, woher und wann schien niemand zu wissen. Sicher war bloß: Hagunald war ein Fremder und würde es immer bleiben, wie lang er auch in der Nachbarschaft des Dorfs leben mochte, denn er war kein Fischer und er mied das Meer, wie die Bewohner Arlingens den Wald mieden. Den Menschen an der Küste war er unheimlich, weil er nur das Nötigste sprach, weil er nicht an ihren Festen teilnahm, nicht unter ihnen lebte. Hagunald und die Fischer begegneten einander nur, wenn es nötig war. Er schlug im Wald Holz und brannte Kohle. Dinge, die in Arlingen benötigt wurden, um Hütten zu bauen und Feuer zu machen. Im Austausch erhielt Hagunald Salz und Stockfisch, bisweilen ein Messer oder einen Wetzstein. Dinge, die ihm der Wald nicht bieten konnte.”

Oder später, beim Eindringen in den Druidenwald:

„Im Dämmerlicht des Madamals war die intensivste Farbe, die mich umgab, jene des feuchten Grases, des duftendes Mooses, der zitternden Tannennadeln: Grün. Staunend betrachtete ich die unzähligen Nuancen, die so unterschiedlichen Schattierungen. Bewegte sich ein Blatt nur ein wenig im Wind, so durchlief es eine farbliche Metamorphose mit schier endlosen Stadien: von einem zarten, durchscheinenden Lindgrün über die helle, leuchtende Farbe jungen Grases bis zum tiefdunklen, fast schwarzen Grün von Moos, das lichtlos darbend unter einem großen Stein kauert. Und dann die Gerüche: ein tiefer Tümpel, modrig und süß, ein Teppich von Tannennadeln, duftig und betörend. Jeder Windhauch trug das würzige Aroma wilder Kräuter und Farne mit sich. Selbst die kalten Ausdünstungen der großen Findlinge, die wie die Murmeln eines Riesen am Waldrand zu liegen gekommen waren, drangen kaum wahrnehmbar in meine Nase.“

Der Roman hat aber auch einige Schwächen. Zuvorderst die beiden „Liebes“-Geschichten, die sich zwischen dem Protagonisten und einer sehr jungen Frau im Dorf, sowie einer Frau in seiner früheren Heimat Methumis entspannen. Dorf: Was die beiden zueinander hinzieht, jenseits der Tatsache, dass es im „Mittelalter“ Usus gewesen sein soll, Frauen sehr früh in die Ehe zu geben (das stimmt so radikal noch nicht einmal), wird nie wirklich deutlich. Und auch die Affäre, die den Protagonisten schließlich aus der großen Hafenstadt Methumis in das gottverlassene Arlingen getrieben hat, ist elendig oberflächlich. Gleichzeitig wird so viel Zeit auf diese Vorgeschichte verwandt, dass sie vor allem wirkt wie ein retardierendes Moment, dass man sich deutlich kürzer hat wünschen mögen.

Ein kleineres Problem tut sich auf, wenn ein Kind aus dem Dorf schließlich gegen den Widerstand der Eltern zum Druiden in die Lehre gegeben wird. Diese Beziehung kommt aus dem Nichts, das Kind wird erst wenige Seiten vorher als magiebegabt enthüllt, eine Beziehung zum Druiden gibt es nicht. Hier hätte sich viel mehr draus machen lassen, wenn es das Mädchen schon früher zur Magie und in den Wald gezogen hätte, und sich die Eltern längerfristig dagegen gestellt hätten, bis der Widerstand überwunden wird. So wirkt es wie ein später Einfall, zu dem der Autor keine Vorgeschichte mehr schreiben wollte.

Ab hier größere Spoiler

Und dann ist da noch die Sache mit den Dämonen und der Ratio. Wenn man sich ein wenig in der Welt von DSA auskennt, fragt man sich schon, wie der Protagonist (den biografischen Gründen zum Trotz) auf die Idee kommen kann, Geister- und Dämonenglaube könnte der Ratio in dieser Welt in irgendeiner Weise entgegenstehen. Witzigerweise ist das dann auch die Lösung: Es stellt sich ganz empirisch heraus, dass Dämonen im Spiel sind. Aber warum überhaupt dran zweifeln? DSA ist so bevölkert von magischen Wesen, Greifen, Drachen und einer ganzen Masse von Dämonen niederer und höherer Höllenkreise, dass es geradezu überraschend gewesen wäre, während Dämonen einmal nicht im Spiel gewesen. Ich lese gerade schon wieder ein ganz anderen DSA-Roman, in dem es vor allem um Glücksspiel und eine kleine Intrige geht. Und tata! Dämonen. Nicht mal irgendwelche kleinen Dämonen, wie man sie in den Videospielen beschwört. Gleich einer der mächtigsten Erzdämonen mischt sich in die Handlung ein. Wenn in der DSA-Welt jemand bestialisch ermordet wird, verstößt es eben gerade nicht gegen „Ockhams Rasiermesser“, zuerst einmal an Dämonen zu denken.

Wenn man bereit ist, über die paar Schwächen hinwegzusehen, findet man einen sprachlich deutlich überdurchschnittlichen DSA-Roman mit einer relativ spannenden Handlung und einigen Passagen, die man vielleicht eher überfliegen wird.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

Noch ein DSA-Krimi, leider mit einigen Schwächen: “Die Elfe vom Veitner Moor”.

“Die Elfe vom Veitner Moor” ist ein noch relativ unterhaltsamer Kriminal/Abenteuerroman im DSA-Universum, der sich zwar von den größten Schwächen der Reihe fernhält, an die Stärken der von mir positiv besprochenen Texte aber nicht annähernd heran kommt.

Die Geschichte folgt Ayla, einst beim tulamidische Militär auf dem aufsteigenden Ast, dann einer Intrige zum Opfer gefallen und nun Hauptfrau der Stadtwache von Abilacht, einer kleinen Stadt in der Nähe von Havena. Als die Leiche einer Elfe im Moor gefunden wird, freut sie sich zuerst. Endlich mal etwas Action. Dann taucht ein geheimnisvoller Tulamide auf, die Aufklärungsarbeiten werden behindert, und schließlich macht sich Ayla gemeinsam mit einer Elfe, die ihrem Volk den Rücken gekehrt hat und bei einer Bauernfamilie lebt, auf den Weg, herauszufinden, was tatsächlich hinter dem Mord steckt.

Die erste Hälfte, der Kriminalroman, ist gerade so leidlich spannend, dass man weiter liest. Die Atmosphäre fehlt völlig. Außer das Abilacht ein verschlafenes Nest ist, bekommt man keine Bilder vor Augen gestellt. Das Moor wirkt niemals wie ein geheimnisvolles Moor, sondern wie der Ort außerhalb der Stadt, den man mal rasch für eine Quest aufsucht. Und erst heißt es, Elfen kommen eigentlich nie vor in die Gegend von Abilacht, und ein paar zehn Seiten später entscheidet man sich „Hey, lasst uns doch mal diese Elfensiedlung im Wald in der Nähe aufsuchen, und die Elfen befragen, man munkelt ja dass die dort schon tausende Jahre leben.. .“

Als die beiden dann auf Reise gehen wird es besser, und es entspannt sich ein relativ spannendes Abenteuer, wobei hinter dem Kriminalfall natürlich eine viel größere Intrige steckt. Deren Auflösung ist allerdings wiederum die im DSA-Universum generischst Mögliche.

Kein Buch, vor dem ich warnen müsste, man verschwendet seine Zeit nicht wirklich. Aber auch keine zwingende Leseempfehlung.

Bild: wikiart, gemeinfrei.

Feudalismus und verbotenes Bier. DSA – “Der Erbe von Tannfells”.

Auch “Der Erbe von Tannfells” ist noch einmal ein im Großen und Ganzen lesenswerter DSA Roman und gehört zum besseren der Fantasy, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe. Nicht auf dem Niveau von „Im Farindelwald“ und „Der Scharlatan“, aber doch zumindest atmosphärisch und spannend.

Der Roman erzählt von Erlmar (jepp, „Elmar“ mit extra-R), einem Schweinezüchter, der ganz langsam in einen Kampf um die Landesherrenschafft einer kleiner Andergastschen Gemeinde hineingezogen wird, nachdem er einen Flüchtigen beherbergt hat. Dieser stellt sich mit der Zeit als der wahrscheinlich rechtmäßige Erbe von Tannfels heraus.

Diese Geschichte ist zugegeben etwas generisch, obwohl sie ihre interessanten Wendungen hat, indem der typische Fantasy-Plot eines vom „Blut“ her berechtigten Thronfolgers, der einen Usurpator stürzt, mit der Zeit umgebogen wird in den eines Menschen, der versucht, als besserer, sozialerer, Herrscher einen Tyrannen zu stürzen. Erst, als der Aufständische versteht, dass nicht sein altes Recht, sondern die Unterstützung der breiten Bevölkerung ihn zum Herrscher machen könnte, wendet sich sein Los zum Besseren. Gleichzeitig bleibt der Erfolg ambivalent, denn dem Aufstand gelingt es, ein fremdenfeindliches Vorurteil, vergleichbar der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“, gegen den bisherigen Herrscher zu wenden. Auch wenn der neue Herrscher also einige Veränderungen einführt, die positiv zu sehen sind, gründet er seine Herrschaft zuletzt nicht mehr auf den reinen Zuspruch des Volkes, sondern auf den durch die negativste Eigenschaft dieses Volkes mitbegründeten Zuspruch.

Anders als etwa „Im Farindelwald“ glänzt „Der Erbe von Tannfels“ nicht sprachlich. Es ist eine einfache Gebrauchssprache, die den Plot vorantreibt. Nebst einiger zu modern klingender Entgleisungen. Seine Stärke zieht der Text aus dem relativ tiefen sich Versenken in Zusammenhänge des Land- und Dorflebens. Machtstrukturen, Wirtschaftskreisläufe, besonders die Schweinezucht, die Köhlerei und das illegale Bierbrauen werden plausibel beleuchtet, ohne dass das in Erklärexzesse ausartet. Man erlebt diese Dinge mit, während über das erste Drittel des Romans die Hauptfiguren aufgebaut werden, ohne dass sogleich der Kriegsplot dominant würde. Sehr putzig dabei auch das Verhältnis von Erlmar zu seinem zahmen Eber „Ork“.

Die Kampagne und der Kampf zum Schluss wirken allerdings etwas rasch dahingeworfen und es braucht viele Zufälle, um einige der tieferen Verwicklungen zu lösen. Fast habe ich den Eindruck, dass Autor Dominik Schmeller das alltägliche Leben mehr interessiert als Kriege und Thronfolgen. Vielleicht hätte er sich darauf konzentrieren sollen und hätte einen noch stärkeren Roman vorgelegt. Total misslungen ist meines Erachtens der kurze Prolog, in dem zwei Bäume eine Kampfszene beobachten. Oder sind es Waldschrate? Sie scheinen ihre Positionen ändern zu können. Gibt es in Aventurien ein Äquivalent zu Ents? Meines Wissens nicht. Egal, was es ist. Diese Figuren tauchen nie wieder auf, was die Passage wie einen Fremdkörper wirken lässt. Man hätte die Passage problemlos auktorial erzählen können, oder es ganz bleiben lassen, oder eben ein Leitmotiv daraus machen, um den Text rund zu bekommen. So wirkt es wie ein Gimmick, um ein paar Überlegungen zum menschlichen Raubbau an der Natur einzuschleusen, die dann im weiteren Text ebenso wie die sprechenden Bäume nicht mehr aufgegriffen werden. Schade, denn stilistisch ist dieser Prolog das Gelungenste an Roman.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.