Vielleicht der größe Roman der Neuzeit: To the Lighthouse von Virginia Woolf

To the Lighthouse ist sicher Virginia Woolfs formvollendetster Roman. Wahrscheinlich sogar der gelungenste Roman der Moderne. Nicht ganz so elegant und leichtfüßig gewebt wie Mrs Dalloway, doch das hat seine Gründe: Stärker noch als in Zweiterem werden in To the Lighthouse die dunklen Seiten der gutbürgerlichen Gesellschaft mit hervorgekehrt.

Die gesamte Handlung spielt auf der kleinen Hesperiden-Insel Sky und dreht sich um die Familie Ramsay und deren Nachbarn und Sommergäste. Fokus-Charaktere sind die Frau des Hauses Mrs Ramsay und die anfangs wenig selbstsichere und von den Männern skeptisch bis sexistisch kritisierte Malerin Lily Briscoe. Doch das ist nur eine grobe Aufhängung. Wie schon in Mrs Dalloway bewegt sich die Erzählperspektive wie eine frei schwebende Kamera durch die Szenerie, fängt dabei Gedanken und Äußerungen auf wie Stimmen einer Sinfonie. Die Handlung treibt derweil auf die symbolträchtige Reise zum Leuchtturm zu, die allerdings vor allem durch ihre Aufschiebung bedeutend wird. Schlechtes Wetter, Streitigkeiten, zuletzt der Erste Weltkrieg verhindern die Bootsfahrt. Schonungslos wird währenddessen die Ehe der Ramsays seziert, eine Liebe unter den jungen Leuten gestiftet und Briscoe arbeitet an ihrem Meisterwerk, das als Allegorie zum Roman gelesen werden kann.

Groß ist der Text auch in dem was nichts gesagt wird: Die vier Jahre des Krieges verfliegen und schreiben sich nur im Verfall des Ortes und des Sommerhauses der Ramsays in das Buch ein. Gestorben wird off-screen. Wenn dann im Schlussteil Mr Ramsays mit Tochter und Sohn tatsächlich zum Leuchtturm aufbrechen ist die Welt eine ganz andere, die Kinder fast erwachsen, dabei sich vom Elternhaus abzugraben, Mutter und ältester Bruder tot und Briscoe – eine positive Note – hat ihr Gemälde vollendet – es spiegelt formal den Roman samt seiner zentralen Lücke.

Mag sein: Mrs Dalloway liest sich eleganter. Während Krieg und Trauma in dem früheren Roman nur Thema waren, sind sie sich hier elementar für Komposition und Stil. Der kurze zweite der drei Teile, der beim ersten Lesen sicher verstört, ist ein meisterhafter Kniff: Erst durch die so beredt beschwiegene Katastrophe gewinnen auch die kleinen Katastrophen und Glücksmomente des alltäglichen Lebens richtig Gewicht.

Bild: Pixabay, gemeinfrei

7 Kommentare zu „Vielleicht der größe Roman der Neuzeit: To the Lighthouse von Virginia Woolf

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