Mit Brandon Sanderson wird „The Wheel of Time“ deutlich besser. Buch 12.

Ich schreibe gar nicht so gerne negative Rezensionen. Erstens: Es macht zumindest längerfristig keinen Spaß, sich durch schwache Texte zu quälen. Zweitens: Auch wenn es Spaß machen kann, einen Text wie den Verriss zu Grassens „Butt“ zu verfassen – ich weiß, dass sowohl Autorinnen und Autoren sich gerne googlen als auch Fans sich von Kritik regelmäßig vor den Kopf gestoßen fühlen. Obwohl das letztendlich deren Problem ist, da ich Texte normalerweise in der Sache und nicht unter der Gürtellinie diskutiere (ich denke das gilt im Großen und Ganzen selbst noch für den Butt, wobei sich Grass dort einige Witze auf seine Kosten gefallen lassen muss, denn das provoziert der Text definitiv und Grass ist selbst nie zurückhaltend aufgetreten), verletze ich nicht gern Menschen. Dennoch aber erwarte ich von mir, wahrhaftig zu bleiben und schwache Texte nicht zu Unrecht zu loben. Wenn dem Werk literarische oder gesellschaftliche Bedeutung abgeht, kann man es ignorieren. Dann schreibe ich einfach keine Rezensionen. Aber wenn etwas auf allen Kanälen oder sogar in der Schule gepusht wird , dann geht es nicht anders. Und auch wenn man immer wieder denkt: Auf einem so kleinen Blog liest das doch eh kein Schwein – für meine Grass- und Hessekritiken etwa hat mir schon der/die ein oder andere gedankt.

Zuletzt: Negative Rezensionen validieren positive. Nur Urteilskraft, die sich in alle Richtungen erweist, bleibt glaubhaft. Würde ich entweder aus Nettigkeit schwache Texte loben, oder vorselektiert nur noch Werke besprechen, die ich für gut halte – die LeserInnen müssten immer zweifeln: Lobt der einfach alles? Kann ich diesem Urteil trauen (was nicht heißt, ihm folgen. Doch zumindest er ernst nehmen)?

Ja wie ist denn WOT 12 nun?

Viel der Vorrede, um zu sagen: Ich freue mich, dass Brandon Sandersons Fortsetzung von „The Wheel of Time“ tatsächlich einige Schwächen der Vorgänger deutlich zurück fährt und Bewegung in die Serie bringt. Ich habe mit dieser Reihe nicht angefangen, um „The Wheel of Time“ zu bashen, sondern weil ich nach zahlreichen Vorschusslorbeeren die Hoffnung hatte, hier tatsächlich eine literarisch anspruchsvolle und erzählerisch vielschichtige “High”-Fantasy-Serie zu bekommen. Und ich hatte bekanntlich einigen Spaß an den ersten drei Büchern, wobei ich im Laufe des zweiten einige Prognosen aufgestellt habe, die sich fast durchgängig bewahrheitet haben. Und dann trat die Reihe auf der Stelle, wurde zu einem Computerspiel in Buchform, trat weiter auf der Stelle und wurde schließlich zu einem dieser Computerspiele, bei denen man sich irgendwie verzettelt hat und jetzt durch die Welt stolpert und nicht weißt wie es weitergeht.

Sandersons hat mit „The gathering Storm“ offenkundig das Rätsel gelöst, das die Protagonisten am Fortschreiten gehindert hat. Gewiss, er hatte die Komplettlösung, also Jordans Notizen zum weiteren Verlauf der Handlung. Aber die hatte Jordan selbst auch, also kann es allein daran nicht liegen. Die positiven Eindrücke beginnen bereits mit dem Prolog. Der hat wieder nur knapp 50 Seiten, immer noch ein bisschen viel, aber deutlich weniger als zuvor und vor allem: Er ist nicht einfach Haupthandlung, die Prolog genannt wird. Und auch wenn das Szenario der ersten Hälfte des Prologs – ein einfacher Farmer, dem ein ungewöhnlicher Sturm Sorgen macht, der sich schon lang am Horizont ballt, woraufhin der Farmer dann wie die meisten Dorfbewohner mitsamt seiner Familie flieht – etwas an den Haaren herbeigezogen wirkt, es ist gut gestaltet und wirft endlich einmal wieder einen halbwegs überzeugenden Blick von der Warte der einfachen Menschen in Richtung des weltbewegenden Geschehens (an den Haaren herbeigezogen, weil die Welt längst von so viel Krasserem erschüttert wurde als von einem Sturm, und das praktisch überall).

Ziemlich stark entwickelt ist auch die Handlung rund um die immer noch im weißen Turm gefangene Egwene. Die führt ihre politischen Intrigen aus dem vorherigen Band fort und gelangt in glaubhafter Weise von der Position einer Gefangenen in die der defacto stärksten Figur im Turm. Ich bin geneigt, diesen Handlungsstrang noch größtenteils Jordan zuzuschreiben, da das Kapitel rund um Egwene bereits im Vorgänger-Roman das stärkste im Buch war und die Handlung dort eigentlich komplett so angelegt, wie sie nun entwickelt wird. Diese Entwicklung macht viel von „The Gathering Storm“ aus und stärkt damit das ganze Buch.

Profil und Konflikte

Doch auch andere Figuren bekommen, teils erstmals überhaupt, Profil oder bekommen ihr Profil zurück. Etwa die im Lauf der Zeit wichtiger gewordene Nebenfigur Gawyn. Der war eigentlich die ganze Zeit hindurch nichts als ein eindimensionaler Do-Gooder. Irgendwie sollte seine Liiiiihiehiebe für Egwene, von der im typischen Jordan-Style niemals klar wurde, was das eigentlich bedeuten sollte und was diese motiviert, ihm Mehrdimensionalität verleihen. Was macht Sanderson? Der stellt Gawyn vor einen echten Konflikt, den der mit seinem früheren Kommandanten und Mentor durchkämpfen muss und am Ende des Streits steht eine folgenschwere Entscheidung. Konflikte lösen nicht alles, doch sie helfen definitiv, profillosen Figuren Profil zu verleihen. Und ein Konflikt: Das ist eben ein entwickelter Widerspruch, der aufgelöst oder ausgehalten werden muss, nachdem er aus etablierten Charaktereigenschaften erwachsen ist. Jordans „Konflikte“ waren oft genug eher zufällig erwachsene Wutausbrüche, die aufflammten und vergingen und oft höchstens rudimentär aus den Figuren und ihrer Welt selbst kamen.

Was Rand betrifft agiert Sanderson ähnlich. Er sagt: „Ok, Robert. Du behauptest jetzt seit ungefähr acht Büchern, dass deine Hauptfigur einerseits einen unglaublichen inneren Konflikt zwischen seiner einfachen Herkunft und den krassen Entscheidungen, die Herrschaft verlangt, austrägt. Und andererseits, dass er dem Wahnsinn immer näher rückt. Lass doch mal schauen, was passiert, wenn wir diese Entwicklung tatsächlich verfolgen und das zeigen, statt es hier und da in irgendwelchen Angstmonologen zu erwähnen. Ja: Rand wird endlich ein Herrscher, der sich auf die letzte Schlacht vorbereitet und bereit ist, um seine Rolle zu erfüllen schreckliche Dinge zu tun! Der Welt gegenüber und sich selbst. Die behauptete Entfremdung von seinen Freunden wird endlich real. Zuletzt wird auch Matt wieder zu einer Figur, die man sich als überzeugende Weiterentwicklung des Matt der Bände 1 bis 4 vorstellen kann, statt einem ziellos hier und dort in Schwierigkeiten geratenden Boy-Toy. Und achja! Mat und seine Gruppe erleben ein echtes Abenteuer. Eine spannend geplottete Side-Quest innerhalb der Hauptquest, könnte man sagen. Da gibt es eine Reise durch ein bedrohliches Gebirge. Ein Geheimnis rund um ein mörderisches Dorf. Lauter Dinge, die ich mir von einer solch langen Fantasy-Serie eigentlich regelmäßig erwartet hätte. Solch eine große Welt, da sollte man doch tatsächlich fantastische Erlebnisse unterbringen können, unzählige Geschichten, die nicht direkt mit dem großen Handlungsbogen zu tun haben, aber als Abenteuer für sich spannend zu lesen sind und das große Ganze vielleicht interessant kommentieren oder am Ende doch in die Haupthandlung zurückführen. Stattdessen gab es über Zehn Bücher größtenteils Weglaufen, verfolgt werden, Tee trinken und über Politik sprechen, die als Politik leider gegenüber tatsächlichen politischen Romanen schrecklich platt und unglaubwürdig wirkt.

Sanderson ist kein unkritischer Fan

Der 12. Band von „The Wheel of Time“ löst natürlich längst nicht alle Probleme, die die Serie und die einzelnen Bücher hatten. Er hat auch weiterhin einige Schwächen. Die Forsaken etwa agieren erneut wie aggressive Teenager und lustigerweise scheint es Sanderson auch aufgefallen, dass dieser Gruppe definitiv die Gravitas beinahe unsterblicher Magierinnen und Magier abgeht, als die sie ursprünglich aufgebaut wurden. An zwei Stellen lässt er Figuren nämlich erklären:

““True,” Merise said. “Though she’s lived for three thousand years. Three thousand, Cadsuane.” “She [Semirhage, eine der Forsaken] spent the bulk of that time imprisoned,” Cadsuane said with a dismissive sniff. “Centuries locked up in the Dark One’s prison, likely in a trance or hibernation. Subtract those years, and she’s no older than any of us. A fair sight younger than some, I would imagine.””

und

““The Chosen [= Forsaken] are like a bunch of squabbling children, each trying to scream the loudest and attract their father’s attention. It’s easy to determine what they want: Power over the other children, proof that they are the most important. I’m convinced that it isn’t intelligence, craftiness, or skill that makes one Chosen—though of course, those things are important. No, I believe it is selfishness the Great Lord seeks in his greatest leaders.”

Auch dieser Roman ist allerdings für das, was darin tatsächlich an Handlung vorkommt, weiterhin schrecklich lang. Und die stilistische Brillanz der anfangs von mir so gelobten ersten 150 Seiten des ersten Bandes sowie einiger der Stadtszenen der folgenden beiden wird nicht wieder erreicht. Aber man kann sich, wenn das Niveau gehalten wird, besser vorstellen, warum manche Menschen diese Serie in einer solch hohen Meinung halten. Denn dann haben wir eine Reihe, die ziemlich gut beginnt, die, wie ich damals schrieb, gewissermaßen das platonische Ideal der Fantasy möglichst ungefiltert zu Papier bringt. Die dann, und wie ich durch meine Prognosen nachgewiesen haben sollte, notwendigerweise, in tiefste Tiefen abstürzt, was sich als Fan oder jungeR LeserIn allerdings vielleicht noch nicht bei Buch 4 oder 5 sondern erst bei Buch 7 oder 8 bemerke. So entsteht der Mythos des „Slog“, durch den sich eben quälen muss, wer dann mit einem relativ starken Finale belohnt werden möchte. Den Slog gibt es nicht, aber wenn die beiden Schlussbände das Niveau halbwegs halten, und so viel Vorgriff sei erlaubt: sie halten es, wird nachvollziehbar, wie der Mythos entstehen konnte. Und dann ist da eben noch die große Wahrscheinlichkeit, dass die meisten LeserInnen diese Bücher als Jugendliche gelesen haben, wo man viel mehr verzeiht und die schiere Länge des Ganzen noch ein Feature ist, weil das sich Kämpfen durch unglaublich viele Buchstaben einem das gute Gefühl gibt, etwas Besonderes bewältigt zu haben, quasi mit den Protagonisten gekämpft zu haben. Ging mir, wie in einer früheren Rezension erwähnt, ganz ähnlich mit Tad Williams „Otherland“.

Band 12 ist zumindest seit langem der erste, nach dem ich weiter lese, nicht, weil ich ungern kurz vor dem Schluss aufhöre und weil ich Einwände gegen meine Kritik nach dem Motto „das würdest du verstehen, wenn du fertig gelesen hättest“, vermeiden möchte, sondern weil die Handlung in einer Weise entwickelt wurde, die dazu führt, dass ich wissen möchte, wie es weitergeht. Etwas exzessiv finde ich es dennoch, dass ich jetzt noch weitere 1800 Seiten vor mir habe, also noch einmal mehr als den ganzen Herr der Ringe. Und das in einer Serie, deren tatsächliche Handlung, egal was man euch weiszumachen versucht, nicht so viel komplexer ist als die von Der Herr der Ringe. So oder so, „The Gathering Storm“ könnte das zweit bis drittbeste Buch von „The Wheel of Time“ sein. Und das ist durchaus bemerkenswert. Normalerweise erholen sich Serien, die mal derart abgestürzt sind, nicht mehr.

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