Vierecke auf Vierecken. Heinrich Manns unerträgliches „Die Jugend und Vollendung des Henri IV“.

Ich habe lange keinen Romane abgebrochen. Aber diese anderthalbtausend Seiten werde ich mir wirklich nicht geben. Und da hat ein Bekannter auf Facebook sich sogar dazu verstiegen, zu behaupten, dieser Roman sei besser als alles, was Thomas Mann je geschrieben habe…

Es handelt sich um Die Jugend und Vollendung des Henri IV von Heinrich Mann. Ein Roman, der vielleicht hätte ein gutes Theaterstück werden können. Es geht, wie der Titel sagt, um das Leben von Henri IV, dem einzigen protestantischen König Frankreichs. Vor allem seine Mutter ist eine engagierte Protestantin, die Auseinandersetzung und Krieg mit dem katholischen Königshaus sucht, zwischenzeitlich geschlagen wird, aber sozusagen im Sohn triumphiert. Rücksichtslose Brutalität und geschicktes Ränkeschmieden, arrangierte Ehen, Komplotte und so weiter und so fort. Alles ist dabei, was man von solch einem Stoff erwartet. Und in 2 bis 3 Stunden Theater, der natürlichen Bühne für genau diese Art von Dramen, hätte das recht kurzweilig werden können. Aber auf 1.500 Seiten schafft Heinrich Mann gegenüber diesem fiktiven Theaterstück praktisch keinen Mehrwert.

Als Roman lesenswert sind nur die frühesten Jugendtage des späteren Königs. Hier treten er und seine Freunde, die in relativem Desinteresse an Standesunterschieden und sogar Geschlecht miteinander herumtollen, noch als halbwegs realisierte Figuren auf. Das Land, die Landschaft wo sie ihre Spiele spielen, oft rustikal bis dreckig, stehen recht glaubhaft vor Augen. Doch sobald Henri beginnt erstmals in seiner Funktion hineinzuwachsen und mit der Mutter am königlichen Hof auftritt, ist das vorbei. Ab jetzt ist jede einzelne Figur tatsächlich nur noch Träger ihrer Funktionen, zu keiner einzigen bekommt man beim Lesen ein Bild vor Augen und die Dialoge, die unendlich langen Dialoge, dienen eigentlich nur noch dazu, zu berichten, wer wen wo hintergangen hat, welche Schlacht an welchem entfernten Ort des Reiches wie ausgegangen ist und vor wem man sich als nächstes wird hüten müssen. Wikipedia behauptet, dieser Roman solle auch eine Liebeserklärung an Frankreich sein. Aber wo ist Frankreich in diesem Roman? Atmosphäre, „local color“, all das ist dem Schriftsteller Heinrich Mann fremd, den ich auf Basis dieses Werkes wirklich nur Schriftsteller, aber nicht Erzähler nennen möchte. Tatsächliche Beschreibungen, besonders solche, die danach hängen bleiben, sind Mangelware und im besten Fall auf die Eröffnungen der Großkapitel beschränkt. Liest man Hugos Les Misérables oder auch Thomas Manns Buddenbrooks, dann hat man Bilder vor Augen, detailiert, künstlerisch ansprechend, teils überwältigend. Man kann sich sogar Gerüche vorstellen und all das bleibt noch lange, nachdem man die Bücher geschlossen hat. Ja, da es gar nicht so einfach ist, sich nach Jahren noch an detaillierte Plotentwicklungen zu erinnern, ist das oft das Einzige, das von einem Buch, das begeistert hat, wirklich bleibt. Im Falle von Die Jugend und Vollendung des Henry IV sehe ich generische Burgkulissen. Vierecke auf Vierecken. Sogar die Menschen stelle ich mir wenige Tage nach dem Lesen nur noch viereckig vor. Das wäre ganz treffend, hätte Mann versucht, ein kubistisches Werk vorzulegen, doch daran zweifle ich. Und es ist ja auch nicht so, dass Mann diese Vierecke geschaffen hätte, sie sind einfach, was bleibt, wenn man an Könige und Burgen denkt und davon alles abzieht, was irgendwie konkret sein könnte.

Nein, tut mir leid. Diesem Roman fehlt alles zum Roman. Es ist ein Theaterstück von anderthalbtausend (!) Seiten, dem dann auch noch bei den Dialogen jeglicher Witz abgeht, die Geschliffenheit, der Sprachfluss, auch die Verrücktheiten, die es etwa anderen dialoglastigen Schriftstellern wie beispielsweise Dostojewski ermöglichen, eine Welt fast ohne Beschreibungen zu beschwören. Meine Güte, was für eine Zeitverschwendung.

Bild: Wiki, gemeinfrei

2 Kommentare zu „Vierecke auf Vierecken. Heinrich Manns unerträgliches „Die Jugend und Vollendung des Henri IV“.

  1. Ich teile die Meinung, nur musste ich schon nach 50 Seiten aufhören. Ich ertrug die Langatmigkeit einfach nicht. Kubismus in allen Ehren. Wunderbar, rechteckige Charaktere!!

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