Noch ein Klassiker-Lob: Les MisérablesDie Elenden.

Les Misérables ist so ausufernd, dass man es am Besten kurz abhandelt, dann bleibt mehr Zeit, das Buch zu lesen.

Im Vergleich zu Der Glöckner von Notre Dame ist Hugos anderes weltweit bekanntes Werk formal wieder ein wenig konservativer, aber insgesamt auf einem gleichbleibender hohen Niveau. Einen traditionelleren allwissenden Erzähler findet man selten vor, selten einen, der bemüht ist, so viele Handlungsstränge zu integrieren.

Ich setze die Handlung mal als bekannt voraus.

Beim ersten Lesen dürfte das Buch durch seine drastischen Schilderung des Lebens der Armen einfangen, durch Ungerechtigkeiten, bei denen man mitleiden muss, durch sehr detaillierte Schilderung, die von großem historischen, technischen, sozialen und politischen Wissen unterfüttert werden.

Bei mehrmaliger Lektüre fallen doch einige störende Entwicklungen auf. Da ist das immer wieder neu Ansetzen: Erst scheint Gnaden-Bienvenue im Mittelpunkt zu stehen, eine ganze kleine Welt wird aufgebaut, nur um Jean Vallejean da reinstolpern zu lassen. Und dann entsprechend vergessen. Dann verlagert sich alle Aufmerksamkeit für halbe Ewigkeiten auf Fantine. Nur um Vallejean Cosette zuzuführen, woraufhin man auch Fantine wieder fallen lassen kann. Neuer Ansatz: Waterloo. Marius. Irgendwann dann trifft auch dieser Handlungsstränge natürlich wieder auf Vallejean. Und so weiter. Zwischendurch wird der fröhliche Gavroche aufgebaut, damit man jemanden hat, der später auf der Barrikade so richtig anrührend sterben kann, aber im Schluss des Romans nicht wirklich fehlt.

Das Problem dabei ist, dass alle Verknüpfungen geradezu gezwungen wirken müssen, um die immer neuen Ansätze doch irgendwie in ein Ganzes zu integrieren. Fourchelevant lebt ausgerechnet in einem Kloster in der Seitenstraße, in die Vallejean später vor Javer flieht? Na Klar! Die Thenardiers, die Cosette gequält haben und einst Marius‘ Vater gerettet, ziehen ausgerechnet in die Nachbarwohnung von Marius? Aber sicher! Und von allen Frauen in Paris fällt Marius wiederum ausgerechnet Cosette auf? Ok… Von mir aus.

Dass Les Miserable dennoch viel Spaß macht liegt wiederum an dem Eingangs aufgeführten. Die detaillierten Schilderungen, die ausgewogen-gewählte Sprache, all das überzeugt noch immer. Und der wie ein freundlicher Onkel klingende Erzähler hilft sehr dabei, dass weniger Überzeugende halbwegs überzeugend zu verkaufen.

Ich weiß nicht, ob ich das Buch noch einmal lesen würde. Das ungekürzte Hörbuch mit Gert Westphal höre ich alle ein bis zwei Jahren, und ich habe mich noch nie gelangweilt.

Bild: Wiki, gemeinfrei