Kafka und die Folgen von Dieter Lamping

Kafka und die Folgen von Dieter Lamping hieße vielleicht besser Kafka und die Folgen.

Denn Franz Kafka – seiner Biographie, seinem Selbstbild als Literat, und den Kafka- Interpretationen anderer Autoren, wird doch deutlich mehr Raum gegeben als der Art und Weise, in der Kafka nach ihm verfasste Literatur nachhaltig verändert hat.

Der akribische Textarbeiter

Die besten Passagen sind dabei die, die zeigen, wie akribisch Kafka an seinen Texten gearbeitet hat, und dass sich etwa gegen die posthume Veröffentlichung der Fragmente auch ins Feld führen ließe, dass Kafka selbst die Geschlossenheit seines Werkes äußerst wichtig war und das Unabgeschlossenheit damit (auch aus Briefen zu belegen), zumindest aus Autorenperspektive, auch auf eine Schwäche des Materials verweist.

Was die Folgen betrifft nennt und bespricht Lamping zwar einige Autoren, die sich in ihrem Werk auf Kafka beziehen, verfolgt aber die von ihm selbst aufgeworfene spannende Beobachtung, dass es auch viele Versuche gewollt kafkaesken Schreibens gebe, aber fast keiner gelinge, leider nicht weiter. Dabei ließe sich anhand des „Warum?“ vielleicht auch noch ein neues Licht auf ein Thema werfen, das Lamping all zu leichtfertig abhandelt:

Kafka und die Philosophie. Kurz gesagt erteilt der Autor jedem Versuch eine Absage, es im Licht einer bestimmten Philosophie, und sei es einer unterstellten Kafkas, zu interpretieren. Das Werk sei eben so besonders, weil es uns Rätsel aufgibt.

Das wiederum hieße, wenn man die These von der bewussten Konstruktion ernst nimmt – und die ist, gut belegt, ernst zu nehmen, mit dem dankbaren Nebeneffekt, dass sie Kafka all den Literatur-Identitären entreißt, die in Texten wie Die Verwandlung den unmittelbar authentischen Schrei einer gequälten Seelen sehen wollen – dass Kafka seine Werke bewusst als Enigmata konstruiert hätte. Kafka ein früher Postmoderner? Ein Rätsel-Spiel-Autor, der das Rätsel als Selbstzweck bedient? Ich glaube, mit dieser Schlussfolgerung würde niemand glücklich.

Klarer als gemeinhin gedacht?

Nein, ich denke, Kafka war einerseits ein Autor mit relativ klaren metaphysischen Vorstellungen. Die Übermacht einer Welt, in die sich der Mensch kämpfend anpassen muss, um nicht unterzugehen, in der aber auf diese Weise durchaus seinen Platz finden kann, ist Grundgerüst aller Werke Kafkas. Eine Haltung, die relativ genau dem von Hacks geprägte Begriff von der „fröhlichen Resignation“ des Goethes der Weimarer Klassik entspricht. Platter, aber durchaus nicht ganz daneben, ist das alte Wort vom Gottvertrauen, mit oder ohne Gott. Genau in dieser Weise gibt es eine Tür im Gesetz, die „nur für dich“ bestimmt ist, in dieser Weise bleibt K. als Führer in den eigenen Tod Sieger. Das Kafkaeske ist genau die Kollision dieser klassisch-klassizistischen Haltung mit einer Welt, in der dieser Haltung absurd, besser noch: verzweifelt, wirken muss. Aber ohne, was wiederum Lamping richtig herausstellt, dass Kafka das Absurde bewusst herausarbeiten würde oder gar eine Philosophie des Absurden in der Denkweise des späteren Existenzialismus anstreben würde. Die Verzweiflung allerdings wird angenommen und trotzig als Notwendiges in den Kampf eingemeindet. Kafkas Schreiben ist das der fröhlichen Resignation in die dieser keinesfalls würdige industrielle verwaltete Welt bei gleichzeitigem ernstem Festhalten an der Würde der Resignation. Kafkas Erzähler ist daher auch niemals Ankläger, seine Figuren keine Opfer dieser Welt, sondern immer wieder: durchaus aktive Mittäter, mindestens aber auf einer grundlegenden Ebene Einverstandene.

Warum scheitert „kafkaeskes“ Schreiben?

Und genau in dieser Weise sind die Kafka Folgenden oder folgen Wollenden ihm in der großen Masse nicht gefolgt. Kafkaeskes Schreiben nach Kafka, das war fast immer die programmatische Parteinahme für die Ks und gegen das System. Und das, mindestens ebenso sehr wie die Tatsache, dass Epigonentum sowieso selten große Werk hervorbringt, erklärt, warum kafkaeskes Schreiben so selten auch nur ansatzweise überzeugt.

Kafka und die Folgen ist eine lohnende der Lektüre, auch wenn man viele Thesen kritisch durchleuchten sollte. Was noch aufstößt, sind unbelegte Nebenbemerkungen von einiger Tragweite, beispielsweise, Der Geschichtenerzähler sei „Vargas Llosas komplexester Roman“. Vielleicht ließe sich das plausibel machen. Indem man behauptet, Gespräch in der Kathedrale hätte ja eigentlich ein relativ einfaches Grundgerüst oder sei nicht komplex, sondern konfus (ich widerspreche). Oder: Der Wechsel der verbundenen Einzelgeschichten in Das grüne Haus sei all zu schematisch ausgeführt. Aber: Lamping versucht das nicht mal und stellt dem Leser in einem Nebensatz einen vergleichsweise einfachen Roman Llosas mal eben als de facto „komplexesten“ hin. Eine Kleinigkeit, sicherlich, aber eine, die die Frage aufwirft, wie viele unbelegte Tatsachenbehauptungen der Leser mangels genauer Kenntiss des jeweiligen Gebietes gar nicht als solche erkennt und schluckt, da der Autor mit professoraler Autorität spricht.

Bild: Wiki, gemeinfrei