Warum man nicht „kafkaesk“ schreiben kann. Ein Lehrstück in Romanform. Das Flüssige Land von Raphaela Edelbauer.

Neben dem Suhrkamp-Intellektualismus oder Handbremsenmodernismus kennt die deutschsprachige Literatur eine weitere Form der geschäftsmäßigen Verwaltung klassisch-moderner Traditionen, die ich einmal den Jahnnierismus getauft habe: Die Überfrachtung von Sätzen und Satzgebilden mit Wortschöpfungen und Archaismen, die Tiefe suggerieren sollen. Letztlich ein später Auswuchs des besonderen Verhältnisses des Deutschen zur Romantik. Der Jahnnierismus ist zum Glück im Aussterben begriffen, durchschnittlich ein bis zwei Preistitel fröhnen noch mehr oder weniger stark dieser Leidenschaft, für die Hans Henny Jahnn Pate steht. In diesem Jahr ist es Das Flüssige Land von Raphaela Edelbauer, das vor allem mit einer großen Dichte absurder Adjektiv-Bildungen aufwartet, die überhaupt nicht in den sonst naturalistischen Erzählstil passen. Warum muss ein Auto „sanft schmirglig“ gleiten (statt zB „schmirgelnd“, wenn schon), zerstörte Gebäude (Trümmer also) eine „Trümmerförmigkeit“ aufweisen, oder Verfallsprozesse „pilznetzig“ sein (was spricht hier und da gegen Vergleiche mit „wie?“). Solch eine an GymnasiastInnen, die gerade zum ersten Mal Benn, oder Grass, oder eben Jahnn gelesen haben, erinnernde Bildung von Adjektiven mit -ig erfolgt geradezu aufdringlich häufig in Das Flüssige Land, und ich kann mir vorstellen, dass das dem ein oder anderen Leser gehörig auf die Nerven gehen wird. Die Handlung dagegen ist interessant, und überzeugt trotz solcher Einwände erstmal, weiter zu lesen:

„(…) Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist.

Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. (…)“

Insgesamt dürfte dann auch für Das Flüssige Land weniger Jahnn, sondern vor allem Kafka das Vorbild gewesen sein. Auf dieses Verhältnis geht bereits ausführlich eine überzeugende Amazon-Rezension ein, der ich mich weitgehend anschließen möchte und die ich ausdrücklich zur Lektüre empfehle sowie des weiteren voraussetze. Liebes Feuilleton, nimm dir doch bitte einmal an solchen, die Urteile am Text begründenden, Besprechungen ein Beispiel.

Der Rezensent hat Recht: Das Flüssige Land entwickelt tatsächlich einen Lesesog, ohne den jemals zu befriedigen. Es befriedigt allerdings auch nicht in jener befriedigend-unbefriedigenden Weise wie Kafka, der ja auch was konkrete Antworten betrifft durchweg unbefriedigend bleibt. Als Grund lassen sich dafür denke ich zwei Unterschiede zu Kafka ausmachen, die fast alle Neo-Kafkaesken Romane gleichermaßen betreffen.

Einmal mehr zur Weltanschauung bei Kafka

Erstens: Im Gegensatz zu Das Flüssige Land wirken die Werke Kafkas nie konstruiert, bzw. auf einen Effekt oder gar eine Message hin konstruiert. Das liegt nicht daran, das Kafka seine Romane nicht wohlabgewägt niedergeschrieben hätte. Im Gegenteil, wie Dieter Lamping zeigt, ist Kafka ein durchaus sehr bewusster Text-Komponist und verwarf auch deshalb vieles, weil es seinem Plan nicht genügte. Doch die große Kraft Kafkas erwächst nicht aus dem Plan allein, sondern dadurch, dass dieser völlig konträr zur Welt steht, in der und über die Kafka schreibt. Kafka dürfte, ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen haben, durchaus eine (und relativ einfache) Weltanschauung gehabt haben, die den meisten Lesern entgeht:

„(…) Kafka war einerseits ein Autor mit relativ klaren metaphysischen Vorstellungen. Die Übermacht einer Welt, in die sich der Mensch kämpfend anpassen muss, um nicht unterzugehen, in der aber auf diese Weise durchaus seinen Platz finden kann, ist Grundgerüst aller Werke Kafkas. Eine Haltung, die relativ genau dem von Hacks geprägte Begriff von der „fröhlichen Resignation“ des Goethes der Weimarer Klassik entspricht. Platter, aber durchaus nicht ganz daneben, ist das alte Wort vom Gottvertrauen, mit oder ohne Gott. Genau in dieser Weise gibt es eine Tür im Gesetz, die „nur für dich“ bestimmt ist, in dieser Weise bleibt K. als Führer in den eigenen Tod Sieger. Das Kafkaeske ist genau die Kollision dieser klassisch-klassizistischen Haltung mit einer Welt, in der dieser Haltung absurd, besser noch: verzweifelt, wirken muss. Aber ohne, was wiederum Lamping richtig herausstellt, dass Kafka das Absurde bewusst herausarbeiten würde oder gar eine Philosophie des Absurden in der Denkweise des späteren Existenzialismus anstreben würde. Die Verzweiflung allerdings wird angenommen und trotzig als Notwendiges in den Kampf eingemeindet. Kafkas Schreiben ist das der fröhlichen Resignation in die dieser keinesfalls würdige industrielle verwaltete Welt bei gleichzeitigem ernstem Festhalten an der Würde der Resignation. Kafkas Erzähler ist daher auch niemals Ankläger, seine Figuren keine Opfer dieser Welt, sondern immer wieder: durchaus aktive Mittäter, mindestens aber auf einer grundlegenden Ebene Einverstandene. “

Und das ist ein Problem, das Das Flüssige Land mit vielen Versuchen, in der Folge Kafkas zu schreiben teilt. Hier ist die Konstruktion in Einklang mit dem philosophischen Konzept, das vermittelt werden soll. Und alle diese Bücher wirken genau dadurch ein bisschen zu schematisch, und deutlich zu didaktisch.

Zweitens: Kafkas Hauptfiguren sind sich im Großen und Ganzen dessen, was der Leser als die Absurdität der Handlung erfährt, nicht bewusst. Sie merken zwar durchaus, dass sich im Gegensatz zum bisherigen Gang ihres Lebens etwas geändert hat, akzeptieren aber die neue Lage als Status quo und versuchen darin über Wasser zu bleiben. Es gibt praktisch keine theoretischen Reflexionen über das Veränderte, das „Absurde“. Denn es ist eben nicht fremd. Auch hiervon weicht wie alle Postkafkaianer Edelbauer deutlich ab, und auch das gereicht dem Roman nicht gerade zur Stärke.

Als dritter, für Das Flüssige Land spezifischer Unterschied besteht das Problem, dass für die mysteriöse Art und Weise, wie sich die Handlung entwickeln soll, das Kritisierte zu spezifisch ist: Globalisierung, moderner Provinzialismus/Heimattümelei, und für das laute Verschweigen der Verstrickung in den Nationalsozialismus. All das lässt das flüssige Land unglücklich zwischen all zu offensichtlicher Parabel und Politsatire ohne Witz hin und her kippen. Dennoch hat das Werk für sich, dass es den Leser einfängt, und ist eines der wenigen Werke auf der diesjährigen Longlist, das tatsächlich zur Beschäftigung mit dem Gelingen und Misslingen von Literatur zwingt.

2 Kommentare zu „Warum man nicht „kafkaesk“ schreiben kann. Ein Lehrstück in Romanform. Das Flüssige Land von Raphaela Edelbauer.

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