Zum irgendwie doch überraschenden Tod von Tom Wolfe: Sein Meisterwerk.

Für mich tatsächlich überraschend scheint Tom Wolfe verstorben zu sein – er schien sich ja nie älter als 32 gefühlt zu haben… zufällig habe ich gerade sowieso eine Besprechung seines frühen Meisterwerkes The Electric Kool-Aid Acid Test in Arbeit:

Old New Journalism

Wow, was für ein Text. Normalerweise ging mir der ewig zwischen Journalismus und Belletristik unentschlossene Tom Wolfe ziemlich am Allerwertesten vorbei. Stetig schlug er in beiden Sphären daneben. Zu geschwätzig, unkonzentriert und oberflächlich seine Romane. Zu langatmig seine Reportagen. Und neu ist am Wolfeschen Neuen Journalismus eigentlich nicht viel. Ausschweifende persönlich eingefärbte Berichte, die dennoch nicht Belletristik sein wollen, sind so alt wie das Schreiben selbst, ja, sie sind sogar die Keimformen der Romanliteratur.
Aber dann: dieses Buch! Manchmal lohnt es sich eben, an die Wurzeln zu gehen. Wer wissen möchte, wie das aussieht, wenn Literatur ihren Gegenstand ganz durchdringt, muss nicht weiter gehen als bis The Electric Kool-Aid Acid Test. Wolfes Englisch tack-tack-tackert mit dem Prankster-Bus, springt in wilden Wortgirlanden von Prankster-Hirn zu Prankster-Hirn, nimmt den „Rap“ Cassidy’s spielend auf und vermittelt noch in den chaotischsten Phasen der Acid-Tests das Gefühl absoluter Nulldistanz zum Geschehen. Meine Fresse, sogar die eingestreuten Beat-Style-Gedichte, von denen ich mir nicht sicher bin, ob es Eigenproduktionen des Autors sind, gehören zum Besseren, was die Beat- und Post-Beat-Bewegung hervorgebracht hat.

Fingierte Nulldistanz

Wolf war sicher alles andere als ein Beatnik, Hippie oder gar ein Prankster. Doch The Electric Kool-Aid Acid Test ist der am tiefsten vom Beatsound gesättigte Text seit On The Road und wohl auch kompositorisch das Epochalste, das im Zuge der rasch verflachenden Hippiebewegung geleistet wurde. Die Improvisationen der Dead wirken wie die Anwendung immer gleicher Melodie- und Rhythmusschemen dagegen. Man ziehe zur Evaluation der Genialität dieser Komposition nur die Schlussszene der Acid-Graduation heran, als die verbliebenen Prankster noch einmal alles auffahren, was ihren Ruf begründet hat. Lichtshows, Musik, von Mund zu Mund fließende Freestyle-Poetry und die wahnwitzige Idee, die eigene Performance zeitversetzt in Kopfhörer einzuspielen und auf die eigene Improvisation erneut zu improvisieren, was allerdings den Zuhörern verborgen bleibt. Wolfe montiert Beschreibungen der Szenerie in assoziativer Zerrisenheit, Monologfetzen der Performance, Erinnerungen an glorreiche Prankster-Tage und das langsame sich Verlaufen der verstörten Hippieszene, die mittlerweile kohärentere Inszenierungen gewohnt ist und Angst hat dass Kesey ihr Drogen-Idyll stört, zu einem herrlich traurigen Abgesang, gegen den die Aufnahmen der tatsächlichen Zeremonie eher ein wenig verspießert wirken. Ein Feuerwerk, das einem die Tränen ins Auge treibt. Und allein das ist eine Kunst für sich.
Die angesprochene Distanzlosigkeit ist also offenkundig Konstruktion. Das wird vom Schluss her zurückblickend immer deutlicher. Stärker als bei der gewollt distanzierten und der Psychedelic Scene sehr kritisch gegenüberstehen Joan Didion schleichen sich Dissonanzen in den Film ein, den Kessey, seine Crew und später das ganze Haight Ashburry leben möchten. Wie viel Führerkult eigentlich in solch unvermittelt, charismatisch zusammengehaltenen Gruppen steckt, wird spätestens bei Keseys temporärem Abgang deutlich. Mobbing, Sexismus, die fast vollständige Verdrängung der Schwarzen aus der „Hippen Szene“ durch entlaufene weiße Mittel- und Oberschichtskids – das sind noch die eher normalen Ähnlichkeiten zur Restgesellschaft. Aber in der Antipolitik der Pranksters steckt auch ganz bewusst ganz viel Nietzsche (und unbewusster ne fette Portion Ayn Rand). Ersterer wird gelesen, zitiert, vor allem aber: gelebt. Der „Nichtführer/Nichtlehrer“ Kesey herrscht eben doch mit harter Hand, da wie später Mansons Sekte auch die Prankster seine Wünsche zu antizipieren suchen, ehe sie ausgesprochen sind. Mechanismen der Vermittlung, das infrage zu stellen oder abzufedern existieren nicht. Alles muss ultrauthentisch sein. Gegen die spießigen Friedensmarschierer kokettiert man schon mal mit Nazisymbolik, die Hells Angels üben eine ungemeine Faszination aus.
Wolfe lässt all die Ambivalenzen stehen, die das trotzdem begeisternde Lebensmodell der Merry Pranksters ausmachen, nimmt sie auf in diesem unglaublichem sprachlichen Sog eines perfekt auskomponierten Kunstwerkes, einer psychedelischen Symphonie vom feinsten, aus der der Leser verändert herauskommen wird, egal wie er sich zum Werk stellt. Absolute Leseempfehlung. Zwingend auf Englisch.

Bild: Pixabay, gemeinfrei.

Ebenfalls über das Buch schreibt heute Bersarin.

4 Kommentare zu „Zum irgendwie doch überraschenden Tod von Tom Wolfe: Sein Meisterwerk.

  1. Ja, bei Tom Wolfe ging es mir ganz ähnlich: ich habe nur dieses eine Buch gelesen. Da mein Bezug zu New York nicht weiter als die Filme von Woody Allen reicht, interessierte mich sein Klatschgeschichten kaum, obwohl sie, wie in dem Roman Fegefeuer der Eitelkeiten sicherlich ein gutes Sitten- und Zeitbild abgäben. Sprache und Stil, die Art des Berichts von „The Electric Kool-Aid Acid Test“ sind schon besonders und wegen der Photographien überlege ich in der Tat, ob ich mir nicht das Buch bei Taschen kaufe. – wobei 300 EUR eben doch happig sind. Es müssen dann schon gelungene und aussagekräftige Bilder sein.

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