Was Stanišić kann & Biller nicht

Saša Stanišićs Fallensteller gelesen. Über weite Strecken tatsächlich das schöne Buch, als dass es die Presse und auch die Kollegen von Postmondaen besprochen haben. Zwar lässt sich bei der Erzählungssammlung teilweise kaum von Erzählungen reden, zu sehr fehlt ein Ziel auf das die einzelnen Geschichten zutreiben, aber es ist doch genug Handlung da, um schöne Formulierungen, treffende Bilder und allerhand kondensierte Gesellschaft dran aufzuhängen. Umso mehr sticht allerdings die Inkonsequenz in der Gesamtanlage des Bandes hervor. Offenkundig will Fallensteller mehr sein als unverbundenen Kurzgeschichten, doch wie viel mehr genau wird nicht wirklich klar. Und manchmal schleicht sich die Ahnung ein, dass das Ganze hier weniger sein könnte als die Summe seiner Teile. Aufgehängt ist der Band einerseits an einer dreiteiligen Erzählung um einen sorglosen Erzähler und den noch sorgloseren Mo, die stets mit verrückten Plänen Europa bereisen. Und andererseits um die kleine Novelle Fallensteller, die sich zurück in das Dorf aus Vor dem Fest begibt. Die letzte kleine Erzählung geht aus einem Gedanken aus der Novelle Fallensteller hervor, alle anderen Texte dagegen scheinen auf gleicher Ebene angeordnet. Vor allem die 2. Erzählung Billard Kassatschock steht allen anderen dabei seltsam unverbunden gegenüber. Genauso lang wie Fallensteller sind übrigens die drei Mo-Fragmente, und die ebenfalls dreiteilige Geschichte rund um einen Dichter/Unternehmer namens Horvath. Warum die erste durchgängig, die zweite gesplittet, und Horvath zwar gesplittet aber hintereinander weg erzählt wird, wird im Verlaufe des Bandes nie wirklich klar. Ebenso wenig, wie die inhaltlich zu den drei Hauptsträngen komplett unverbundenen Erzählungen im Band sich rechtfertigen. Gewiss, es gibt thematische Anklänge, aber diese unmotivierte Verknüpfung des spielerischen ineinander Verschlingens von Texten mit dem bloß thematischen Nebeneinander wirkt … Ich sagte es bereits … inkonsequent. Dabei bleibt Fallensteller durchaus lesenswert, schon allein, wer besser verstehen will, warum Biller so gegen den Autor stänkert sollte sich das Buch zulegen. Stanišić erzählt mit poetischer, doch reduzierter Sprache: nie um der Sprache selbst willen. Er setzt nicht auf Effekte, will nicht beeindrucken. Klar wird Politisches angesprochen, doch Stanišić predigt nicht. Er bringt hintergründig Moderne in die deutsche Sprache, schreibt über eine Welt voller Verrückter und mit einer gehörigen Portion Sex, ohne ständig die Pornobrille anzuziehen. Und: Er bringt für das Lächerliche Sympathien auf, die es erst interessant machen. Während Biller in vielen Fällen mit seinen moralisierenden Kollern doch nur den Grass spiegelt, den er sich doch eigentlich als Antagonisten denkt.

Bild: André Karwath, cc-by-2.5, zugeschnitten

4 Kommentare zu „Was Stanišić kann & Biller nicht

  1. Hi Sören! Danke sehr für die Kritik. Kurz zum Aufbau, da so viele Fragen:

    Bei den Erzählungen handelt es sich um eine Art Spiegel der letzten 10 Jahre meiner Arbeit als Autor, aber auch als eine Art „Begleit-Track“ meines Lebens.

    Ich beginne – parallel zum Beginn meines Schreibens, dem Grammofon-Roman – mit einem Zauberer. Dieser steht auch auf der ersten Seite des Romans, Aleksandar, der jugendliche Protagonist bekommt einen Zauberhut geschenkt und soll sich damit die Welt „schöner erzählen“. „Sägewerk“ (auf der Eins) nimmt also dieses Motiv auf und erweitert es, da es sich gleichzeitig um eine Hommage an die Illusionszauberei per se handelt, was im „Grammofon“ keine Rolle spielt.

    Auf der 2. dann ein mit Kasatschok die älteste Geschichte, die noch aus der Zeit stammt, als ich in Heidelberg gelebt habe, die also – nach dem Arbeitsbezug im „Sägewerk“ – Bezug auf meine Zeit in einem abgeschlossenen Kosmos des Billardsalons nimmt, wo Identität keine Rolle spielt, dafür umso mehr Talent. Ein Wunschdenken für die echte Welt.

    Mit dem ersten Roman ging es für mich auf die Reise, und so geht es auf der 3. auch im Erzählband auf die Reise mit Mo und ich (übrigens eine „sie“), ihre Stationen sind auch meine, nur sind die späteren eben viel später erfolgt, daher die räumliche Trennung im Band – die letzte, nach Norwegen erst kürzlich (daher so weit hinten im Band).

    Dazwischen immer wieder aber Bosnien (daher auf der 4. „die Hirten). Die aber auch thematisch mit „Mo und ich I“ verbunden sind, auch dort geht es im Prinzip um das Fremd- und Befremdetsein innerhalb fest gefügter sozialer Kreise (die Hirten – die Menschenrechtsaktivisten) und darüber hinaus für das Nichtzurechtkommen mit der eigenen Identität, wenn sie auf das Vergehen der Zeit / Unflexibilität stößt.

    Georg Horwath (5.-7.) ist auf der persönlichen Seite meine nächste große Reise gewesen, und ist für mich das Herzstück des Bandes, da es sich um einen Text handelt, der mein Schreiben so gut poetologisch fasst, wie ich es sonst mit einem nicht-erzählenden Text niemals vermögen würde. Es handelt sich, genau genommen, um eine Novelle nach Goethes Novellenbegriff, und die Dreiteilung entspricht auch den Momenten der Novelle mit der „Unerhörten Begebenheit“ (der Verwechslung) und dann dem Auftreten des Magischen im Urwald.

    Mit dem kleinen „Ferienlager“-Text geht es (einmal wieder) um das „Problem“ des „Andersseins“, eine Umkehrung zu Kasatschok (wo das kein Problem ist) und zu den „Flüssen“, wo es quasi gefeiert wird, aber auch so Probleme schafft.

    Und die beiden letzten dann als bewusst gesetztes Ende des Bandes eine Ankunft in der Gegenwart –ein Mal in der literarischen, also in der Uckermark, und einmal als die Schließung des Kreises zur ersten Geschichte, zu meiner Biografie und zur Biografie meines Romanhelden Aleksandar, der hier nicht mehr zaubern kann, sondern dem zaubernden Großvater einen letzten kleinen Dienst erweist.

    The thing ist: Ich schreibe in erster Linie immer zuerst für mich. Das mag eine Floskel sein, aber ich könnte sonst diese Texte nicht für wichtig genug nehmen, um sie zu veröffentlichen, wenn sie nicht meine, an mich gerichtete, für mich recherchierte, mit mir ausgemachte Texte wären. Insofern ist für mich dieser Band, so wie er da liegt, der konsequentest Mögliche. Alles ist genau dort, wo es sein muss, um mein Schreiben und mein Leben zu – ja, was eigentlich: ernst zu nehmen? Begleiten? Beschreiben. All das wahrscheinlich.

    Grüße!
    Saša

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  2. Lieber Saša,
    danke für diesen ausführlichen Kommentar und die interessanten Einblicke in den literarischen Produktionsprozess darin. Ich muss natürlich mich bei struktureller Kritik auf das stützen, was ich von außen durchdringen kann, werde aber sicher noch mal genau lesen und vielleicht dank der Hinweise das ein oder andere Neue in der Tiefe entdecken (wie ich zB auch bei Joyce das Gilbert-Schema zur Kenntnis nehme & am Ende dennoch beurteilen will/muss ob der Roman mich in sich überzeugt). Das Grammophon, das ich bisher noch nicht gelesen habe, habe ich mir gleich einmal aus der nahen Bibliothek besorgt.

    „The thing ist: Ich schreibe in erster Linie immer zuerst für mich (…)“ – klar, anders geht’s ja kaum oder man wird schnell manieriert. Will sagen, geht mir genauso, und dass niemand sezierend an meine „Kleinstadtminiaturen“ herangeht ist wohl Fluch und Segen des fehlenden Ruhms ;)

    lg
    Sören

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