Kein Platz fürs Staunen. Das hastige „Die Flüsse von London“ ( 1) enttäuscht.

Als höchstwahrscheinlich relativ einfach zu lesende Lektüre mit viel Vorschusslorbeeren habe ich mir die „Flüsse von London“-Reihe von Ben Aaronovitch relativ lange aufgespart, für – naja, eine Zeit mit viel zu tun eben, in der genau solche Lektüren benötigt werden.

Der erste Teil ist leider nicht sehr überzeugend ausgefallen. Ja, von der Idee her ist das eine ganz nette Urban Fantasy. Ein noch junger Polizist findet heraus, dass die Welt von Magie durchwirkt ist und auch er begabt ist, zu zaubern. Er wird einer relativ kleinen, eigentlich auf eine Person beschränkten, Polizeieinheit zugeteilt, soll dort zum Magier ausgebildet werden und irgendwann dann die Führung von seinem Vorgesetzten Nightingale übernehmen. Parallel erschüttert eine Reihe von Morden London, die mit Geistern, Vampiren und einer alten Gilbert und Sullivan-Oper zu tun hat. Und wir erfahren, dass sogenannte Götter oder Genien, also Geister eines Ortes, in London weiter wirken, besonders zwei im Streit liegende Flussgötter der Themse sowie kleinere Gottheiten der heute größtenteils überbauten oder verschütteten Nebenflüsse der Themse.

Das klingt nach einem interessanten Hintergrund, doch das sogenannte „Worldbuilding“, das in Wahrheit einfach eine Folge gelungenen oder misslungenen Erzählens ist, ist die große Schwäche des Romans. Die Besonderheiten der Welt werden mit einer Nachlässigkeit hingeworfen, die teilweise wirkt, als solle der Roman eine Parodie auf andere Urban Fantasy-Texte sein, ohne sich dann aber voll zur Parodie zu bekennen. „Magie gibt es wirklich.“ „Oh ja? Krass, habe ich mir fast gedacht. Kaffee?“ „Du kannst dich zum Magier ausbilden lassen…“ „Na dann, warum nicht…“ „Es gibt übrigens auch Vampire, Werwölfe und den ganzen Kram…“ So ungefähr lesen sich die meisten Interaktionen, bei denen weltbewegende Dinge enthüllt werden. Etwa:

„Ich starrte ihn sprachlos an. Ich persönlich glaube nicht an Geister, auch nicht an Feen oder Götter, und während der letzten paar Tage hatte ich mich wie ein Zuschauer einer Zaubershow gefühlt – eigentlich hatte ich nur darauf gewartet, dass der Zauberer vor den Vorhang treten und mich auffordern würde, eine Karte auszuwählen, irgendeine Karte. Ich war nicht bereit, an Geister zu glauben, aber so ist das mit empirischen Erfahrungen – sie sind real. Und wenn es also wirklich Geister gab?
‚Lassen Sie mich raten, Sir: Gleich werden Sie mir erzählen, dass es eine geheime Einheit der Met gibt, deren Aufgabe darin besteht, Geistern nachzuspüren, oder Gespenstern, Dämonen, Feen, Hexen, Hexenmeistern, Elfen, Trollen…‘ Ich hob beide Hände. ‚Sie dürfen mich ruhig unterbrechen, mir fallen sowieso gerade keine über- natürlichen Wesen mehr ein.‘
‚Sie haben nicht mal einen Bruchteil von dem aufgezählt, was es gibt‘, sagte Nightingale gelassen.
‚Außerirdische?’Das musste ich einfach fragen.
‚Noch nicht.‘
‚Und die geheime Einheit der Met?‘
‚Besteht nur aus mir, fürchte ich.‘
‚Und Sie wollen, dass ich in … äh … in Ihre Einheit eintrete?‘
‚Dass Sie mich unterstützen‘, sagte Nightingale, »bei dieser Ermittlung.‘
‚Sie glauben also, dass sich bei diesem Mord etwas Übernatürliches ereignete?‘

Das ist das gesamte Ausmaß des Erstaunens über eine doch geradezu gewaltige Erschütterung des bisherigen Weltbilds des Protagonisten. Sofort geht der zur Tagesordnung über. Dem Entfalten der Welt fehlt ausgerechnet der Zauber, das ungläubige Staunen, das durch ein langsames Entdecken aus den Augen von Figuren vermittelt wird, die es selbst gar nicht glauben können. Auch das Gefühl, dass alle fünf Seiten von einer Szene zur nächsten gesprungen wird, kommt gerade dem nicht zugute.

Das ist übrigens kein Plädoyer, noch mehr Seiten zu füllen. Der Roman ist mit 500 Seiten definitiv lang genug. Sondern es ist ein Plädoyer für eine Konzentration aufs Wesentliche, einen sauberen Aufbau und das Treffen einer Entscheidung: Will ich cool-ironisch über dem Genre Urban Fantasy stehen oder möchte ich eine überwältigende Urban Fantasy-Welt schaffen?

Obwohl der Roman nicht besonders stark ist, muss zwei Kritiken, die ich auf Amazon häufiger gefunden habe, doch deutlich entgegengetreten werden.

Erstens: Nein, der Roman beschreibt nicht zu viel von London, im Gegenteil. Was geschieht, ist vor allem ein oberflächliches Nennen von Örtlichkeiten, ein wirklich ausgearbeitetes Vor-Augen-Stellen findet dagegen äußerst selten statt. Auch das trägt zum schwachen „Worldbuilding“ bei. Das mag für Menschen funktionieren, die sowieso ein Bild von London im Kopf haben, egal ob das nun am realen London oder an anderer Literatur geschult ist. Aber es ist etwas, was man von außen an den Roman heranträgt. Aus dem Text heraus wird keine plastische Stadt geschaffen (späterer Einschub – wer den Unterschied hier noch nicht sieht, versteht es vielleicht mit dem fünften Teil, wo eine tatsächlich belebte Kleinstadt gestaltet wird).

Zweitens: Es sei vollkommen absurd und dem politischen Zeitgeist geschuldet, dass die Göttin der Themse eine schwarze Frau sei. Diese Kritik ist großer Quatsch und zeugt vor allem von ungenauer Lektüre. Denn dass diese Göttin kein 5000 Jahre altes (oder wie weit man auch immer historisch zurückgehen möchte) Wesen ist, das schon immer an der Mündung der Themse wohnt, wird im Roman wirklich deutlich gemacht. Vielmehr ist es so, dass die Örtlichkeiten sich mit der Zeit neue Götter schaffen, und der Rückzug des alten Themsegottes aus dem Bereich des Hafengebietes weiter in Richtung Oberlauf der Themse und wie sich der Fluss dann gewissermaßen diese bis dahin ganz normal sterbliche Frau als Göttin berufen hat, ist eine der stärker ausgearbeiteten Passagen des Textes. Wobei nicht einmal klar ist, ob die Wesen im strengen Sinne als Götter betrachtet werden können. In jedem Fall handelt es sich gewissermaßen um metaphorische Verkörperungen der Landschaft und ihrer Bewohner, die damit natürlich dann auch dem Wandel unterworfen sind. Und wenn die „Flüsse von London“-Romane in Zukunft vielleicht noch stärker werden, dann dürfte das stark davon abhängen, dass der Autor konsequent an diesem Konzept weiterarbeitet. Ich werde den weiteren Texten auf jeden Fall noch eine Chance geben. Zum Zeitvertreib lässt sich das Ganze halbwegs herunterlesen, gerade auch, wenn man gerade keinen Kopf für Anspruchsvolleres hat.

Bild: wiki, gemeinfrei.

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