Der Name der Rose – Funktioniert Sherlock Homes im Mittelalter?

Mir ist aufgefallen, dass ich abseits von „Der Friedhof in Prag“ noch überhaupt keine Romane von Umberto Eco besprochen habe. Das liegt wahrscheinlich daran, dass mit Ausnahme von „Der Name der Rose“ meine Lektüren dazu zu weit zurückliegen. Und Ecos Werk ist deutlich durchwachsener, als es die Heldenverehrung manchmal annehmen lässt, so dass es mich nicht unbedingt zur Relektüre gedrängt hat. Ich erwähnte das schon im Fall von „Der Friedhof in Prag„. Mehr oder weniger haben alle Texte die gleichen Schwächen, wenn auch mit einer unterschiedlichen Menge von Stärken gemischt. „Der Name der Rose“ bleibt wohl der stärkste Roman, da es ihm am ehesten gelingt, die Spielereien mit Verweisen und die Versuche, über historische Phänomene zu belehren und diese zugleich ein wenig zu „dekonstruieren“, mit einer tatsächlich gelungenen Geschichte zu vermischen. Ob man den Roman wirklich gelungen findet, hängt wahrscheinlich davon ab, wie viel Belehrung man zu ertragen bereit ist und wie viel Projektion moderner Phänomene in eine ferne Vergangenheit.

Denn wenn man ehrlich ist: Obwohl Eco mit William von Baskerville eine Figur gewählt hat, die mit Occham einen Gründervater des modernen Empirismus zum Lehrer hatte, bleibt die Projektion einer Sherlock Holmes-artigen Geschichte ins 13. Jahrhundert hanebüchen. Das Datensammeln, rational Abwägen und auf diese Weise einem Verbrecher auf die Schliche kommen ist vielleicht überhaupt das bürgerlichste Phänomen, das man sich vorstellen kann. Es liegt der Art und Weise, wie im frühen Hochmittelalter über Verbrechen nachgedacht wurde, so fern wie nur irgendetwas. Dass sich anders als bei vielen anderen historischen Schinken nur wenige Lesende darüber aufregen, zeigt aber vor allem: Ein Roman muss eben nicht realistisch sein, selbst ein sogenannter historischer Roman nicht. Sondern vor allem in sich plausibel. Und das ist Eco mit seiner Konstruktion von der aufgefundenen alten Handschrift ebenso gelungen wie mit seiner Einführung der Figuren William von Baskerville und Adson von Melk durch das Rätsel vom Pferd, das uns beide Figuren sogleich überlebensgroß vor Augen stellt und den Rahmen absteckt: So eine Art von Geschichte ist das.

Des Weiteren gestaltet Eco sein Kloster sehr atmosphärisch, und entsprechend am Platz wirken all die historischen Exkurse, auch wenn die durchaus das Problem des Romans sein könnten: Eigentlich noch immer zu oberflächlich für jemanden, der wirklich tief in christliches mittelalterliches Denken und dessen Konflikte eintauchen möchte, zugleich aber doch so breit, dass sie beim Wiederlesen, wenn man beginnt, sich halbwegs auszukennen, anfangen können zu langweilen.

Meiner Einschätzung nach ist Eco in diesem Roman aber eine Balance gelungen, die ihm später nicht wieder gelingen wird, auch nicht im gefeierten „Das Foucaultsche Pendel“, das mich bei der ersten Lektüre begeistert hat (aber mit 20 begeistert fast alles, das das Gefühl gibt, intelligenter zu sein als andere Lesende), als Hörbuch dann aber streckenweise später doch sehr angeödet. Ich werde für eine Rezension zu dem Text zurückkehren. Eine Balance also, die ihm später nicht mehr gelungen ist, was an dem relativ eng abgesteckten Rahmen der Erzählung liegen mag. Eco gibt sich das Kloster als Rahmen seiner Geschichte und nur das Kloster. Keine Reisen in andere Länder, keine Schnitzeljagd durch Frankreich, keine Besuche bei Figuren, die nicht im Kloster weilen. Was rund um Häretiker und Thomas von Aquin erzählt wird, geschieht meist offstage und erreicht uns nur stückweise. So ist der Autor viel stärker als bei späteren Texten gezwungen, sich auf die ursprünglich abgesteckte Geschichte zu konzentrieren und verliert sich nicht ganz so sehr in gelehrten Anspielungen und Spielereien.

„Der Name der Rose“ ist definitiv noch in erster Linie eine Geschichte, in der verschiedene Ideen verhandelt werden. Manch späterer Eco wirkt, als habe der Autor Ideen verhandeln wollen und drumherum so halbwegs eine Geschichte gestrickt. Dass das übrigens nicht nötig ist zeigt das kluge Buch „Die Geschichte der Schönheit.“ – habe ich das eigentlich schon mal irgendwo besprochen?

Bemerkenswert übrigens, dass die Rezeption dann oft sogar übertreibt, wie unmittelalterlich die Hauptfiguren sind. Denn der Roman ist nicht das begründete Sich-Erheben des modernen Rationalismus über den Irrationalismus der Vergangenheit, als den man den Schluss fehllesen könnte, wenn man sich wenig auskennt. So endet „Der Name der Rose“:

„Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier… Ich werde rasch vordringen in jene allerweiteste, allerebenste und unermessliche Einöde, in welcher der wahrhaft fromme Geist so selig vergeht. Ich werde versinken in der göttlichen Finsternis, in ein Stillschweigen und unaussprechliches Einswerden, und in diesem Versinken wird verloren sein alles Gleich und Ungleich, in diesem Abgrund wird auch mein Geist sich verlieren und nichts mehr wissen von Gott noch von sich selbst noch von Gleich und Ungleich noch von nichts, gar nichts. Und ausgelöscht sein werden alle Unterschiede, ich werde eingehen in den einfältigen Grund, in die stille Wüste, in jenes Innerste, da niemand heimisch ist. Ich werde eintauchen in die wüste und öde Gottheit, darinnen ist weder Werk noch Bild…“

„…ein lauter Nichts“, das mag manch Leser als atheistische Absage an das Christentum lesen. Tatsächlich kompiliert die gesamte Schlusspassage allerdings Echos des Denkens von Meister Eckhart. Nicht in die „Einöde“ des Irreligiösen flüchtet Protagonist Adson, desillusioniert von den Wirrungen der Kirche zwischen Scholastik, Ockhamschem Frühempirismus und Inquisition. Sondern in die Proto-Romantik der christlichen Mystik. Die übrigens in Eckhardschen Fall sehr viel fester auf dem Boden der Scholastik steht, als man es ihr in einem eher esoterischen Verständnis von „Mystik“ heute zuschreiben würde. Ja: Man könnte sogar sagen, Eckhart vollende Aquinas und seine Nachdenker. Denn die Scholastik selbst war ja der Anfang vom Ende des Christentums aus seiner inneren Notwendigkeit heraus. In ihrem Bestreben, auf Grundlage der griechischen Philosophie Gott rational zu ergründen, konnte sie langfristig vom Gott der Schrift nicht viel übrig lassen. Eckart ist der, der den Schritt weitergeht und all die schlechten Kompromisse mit der Schrift hinwegfegt. Sein Gott ist tatsächlich wieder nicht nur im klassischen Sinne bilderlos, sondern gänzlich ein „einfältiger [oder „dunkler“] Grund“, oder eben ein lauter Nichts.

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