Schwacher Houellebecq-Abklatsch mit Sicherungsseil: „Der Mann, der vor Lachen weinte“ von Frédéric Beigbeder.

Frédéric Beigbeder gilt als einer der großen Schriftsteller Frankreichs. Die Neuerscheinung „Der Mann, der vor Lachen weinte“, ist der erste Text, den ich von Beigbeder lese, und zumindest bei diesem Roman handelt es sich um einen eher schwächlichen Abklatsch von Michel Houellebecq, der gerne auch den bissigen Bösewicht geben würde, aber sich gleichzeitig in alle Richtungen absichern, und bloß nicht auch als solch ein Bösewicht behandelt zu werden.

Beigbeders Octave ist ein typischer Houellebecq’scher Antiheld. Octave Parango war ein erfolgreicher Schriftsteller, wurde allerdings vor allem berühmt durch die Gründung eines exklusiven Clubs dekadenter Nihilisten in den 80er Jahren, durch Grenzüberschreitung und Ausschweifung. Jetzt ist er vor allem bekannt durch eine wöchentliche Kolumne im größten französischen öffentlich-rechtlichen Sender und der Roman beginnt damit, dass Octave während der Übertragung gefeuert wird, weil er Dinge gesagt hat, die man einfach nicht sagen kann.

Der Rest des Romans besteht in einer Rekonstruktion des Vortages, der wiederum aus jämmerlicher Sauferei und Suche nach Bettgeschichten bestand. Rückblicke breiten derweil das weitere Leben des Protagonisten vor uns aus.

Der ist, natürlich, ein unzuverlässiger Erzähler, präsentiert sich etwa die meiste Zeit als Junggeselle, bis wir kurz vor Schluss erfahren, dass er verheiratet ist. Außerdem findet er alles schrecklich. Moderne Massenkommunikationsmittel, die Entwicklung des Humors, alle Musik seit den Neunzigern, „Cancel Culture“, wie Kontaktanbahnung heute abläuft und so weiter und so fort. Der Unterschied zu den Figuren Houellebecq? Dieser Erzähler ist nicht nur unzuverlässig und die Erzählung „doppelbödig“, dieser Erzähler weiß das selbst und erklärt uns mehrfach, wie wir ihn zu nehmen haben (und die Konstruktion der Erzählung ist deutlich schlechter als alle Houellebecq-Romane vor Serotonin, alles geschieht mit dem Holzhammer, es bleibt praktisch kein Spielraum für Interpretationen, für Zwischentöne). Beigbeders Erzähler sagt regelmäßig solche Dinge:

“Jeder Blick von mir ist ein Hilferuf, jede Frau, der ich begegne, eine Möglichkeit. Ich bin der letzte Vertreter einer ausgestorbenen Spezies: der jämmerliche Aufreißer. Alles, was ich trage, muss unendlich weich sein, damit jede Frau Lust hat, mich zu streicheln. Als Romanfigur bin ich lustig, im wahren Leben dagegen supernervig.”

Oder :

“Ich boykottiere Facebook, Instagram und Twitter seit ihrer Gründung, einerseits aus Snobismus (in meiner Selbstbezogenheit bin ich natürlich gegen jede Form der Demokratisierung von Ruhm), andererseits aus Misstrauen gegenüber dem technologischen Fortschritt.“

Nun könnte man meinen, Beigbeder habe es mit „Der Mann, der vor Lachen weinte“ vor allem auf eine Satire auf den Houellebecqschen Text-Typus angelegt, was allerdings schon deshalb unnötig ist, da dieser längst selbst zur Satire seiner selbst verkommen ist. Aber ich glaube die These kann keinen Bestand haben. Dafür legt Beigbeder zu viele Ernst in die theoretisierenden Auslassungen seines Protagonisten. Wenn dieser zu sich selbst doziert (und es gibt viele solche predigenden Passagen), besonders über die Nähe von Humor und Gewalt und darüber, wie konsequent die Machtübernahme der Komiker (Trump, Johnson, Grillo, Selenskyj usw.) sei und wie lang sie sich angedeutet habe, oder auch über die eigene Verwicklung in und Mitschuld an genau den Verhältnissen, die Octave so zu schaffen machen, dann sind das gänzlich unironische Passagen, die die Leserschaft definitiv auf Augenhöhe nehmen soll. Der witzige (also eigentlich traurige) Nebeneffekt dieser Gemengelage: Während Houellebecqs Texte vor Serotonin tatsächlich regelmäßig die Botschaft, die man bei oberflächlichem Lesen herausziehen möchte, unterlaufen, und ihre Helden rein durch das Entfalten der Erzählung sogleich als jämmerliche Würstchen, wie man so sagt, „dekonstruieren“, stellt sich der Effekt in „Der Mann der vor Lachen weinte“ nicht ein. Gerade durch die dauernde Distanzierung, durch die Selbstkritik, sagt Octave: „Seht her, ich bin einer von den Guten (er gibt sich auch viel Mühe, klarzumachen, dass er ein desillusionierter Linker sei), und das Ganze wirkt wie ein schrecklich durchsichtiges Sicherungsmanöver, um gegen alles verhasste Linke, Grüne, Gutmenschliche vom Leder ziehen zu können.

Wenn der Roman etwas für sich hat: Er liest sich recht locker, allerdings als Essaysammlung mit etwas Handlung. Und in einem Sachbuch, einer Biografie etwa, könnten die Einblicke in die französische Kunst- und Wirtschaftselite durchaus informativ sein, selbst wenn man die Schlüsse des Erzählers nicht teilt. Aber: Dadurch, dass es sich um einen Roman handelt, muss man auch all das unter dem Vorbehalt der Fiktion betrachten, so dass es als Information wertlos wird. Und mehr ist da leider nicht. Die Handlung verläuft praktisch im Sand. Ja, wir bekommen zum Schluss die Kolumne zu hören, die Octave seinen Job kostete. Aber warum bloß? Das ist ein ultrazahmes Stück darüber, dass die Welt ziemlich am Ende ist, Klimawandel, Politikmüdigkeit und so weiter wahrscheinlich nicht mehr effektiv zu bekämpfen, und eine Selbstanklage des Protagonisten, daran seine Teilschuld zu tragen. Nichts, was man nicht regelmäßig mit ähnlichem Inhalt zu hören bekommen würde. Unwahrscheinlich, ach was, unglaubwürdig, dass dieser Protagonist in der Welt, die er beschrieben hat, für so etwas gefeuert wurde.

Aber selbst wenn – muss uns das kümmern? Was ist die Fallhöhe? Der Mann hat mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben, es wurden zwei Filme über ihn gedreht. Er lebt also auch ohne die schlecht bezahlte Kolumne weiter gut von Tantiemen. Das wirkt alles sehr hastig konstruiert, um schwache „kulturkritische“ Essayistik zusammenzuhalten.

Kennt jemand frühere Texte von Beigbeder und weiß, ob es sich lohnt, da einmal reinzuschauen? Der Autor ist zwar noch nicht unglaublich alt, aber manche Schriftsteller bauen ja spätestens dann ab, wenn Sie sich eine Nische beziehungsweise eine Marke erobert haben…?

Bild: Wiki, gemeinfrei.