Babylon Berlin Fragmente / Endgültige Absage an jegliche Einzelfolgenstruktur

Ja, für die einzelnen hier zusammengetragenen Fragmente hat man mich auf Facebook wieder mal zum Miesmacher erklärt. Aber irgendwer muss ja auch das machen…

Menschen, die Schauspieler spielen?

Erster Eindruck Babylon Berlin: Selbst deutsche „Vorzeigeproduktionen“ klingen noch so, als seien sie synchronisiert. Alle Stimmen seltsam deutlich abgesetzt von der restlichen Geräuschkulisse. Oder so: Die Schauspieler wirken weniger, als spielten sie einfache Menschen, denn wie einfache Menschen, die Schauspieler spielen.
Das ist wirklich faszinierend: Ich habe auch schon einiges an Serien wie Game of Thrones, The Sopranos oder Mad Men kritisiert. Aber den Eindruck, dass dort Menschen miteinander in Kontakt treten, hat man doch immer. Babylon Berlin mit seiner ganzen Überladenheit wirkt eher wie eine finstere zwanziger Jahre Nostalgie-Party dagegen.

Warum zieht sich der Trotzkist tagsüber so kaputt an? Ich zitiere mal die große Elaine Benes: „Just because you’re a communist, does that mean you can’t wear anything nice? (…) Fine, you want to be a Communist, be a Communist. Can’t you at least look like a successful Communist?“

„Hastn flotten Otto?“ /„Mein Lieber Freund und Kupferstecher“ usw, usf. Ich glaube ich habe noch nie so viele Klischeesätze hintereinander gehört wie in dieser Serie – naja, vll in der Umkleide beim Fußball. Als würde man einen „ernsthaften“ Film in Mexiko drehen, und die Protagonisten sagen ständig Sachen wie Caramba! Olé und Andalé. Spielte Babylon Berlin in Mexiko-Stadt, es wäre bevölkert von lauter gewichtig dreinblickenden Speedy Gonzales.

Spektakel als Köder

Überhaupt: Die Klischees: Nach der dritten Folge sollte spätestens klar sein: Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne um eine Serie. Babylon Berlin ist einer dieser modisch gewordenen Langfilme, dessen einzelne Episoden ohne jede innere Struktur auskommen (man klicke zu Hintergründen auch die Links im Ersten Eindruck), wäre es ein Roman, die einzelnen Szenen der insgesamt sechzehn Bruchstücke während durch ein dauerndes „und dann und dann und dann und dann und dann“ verknüpft. Damit steht die Show nicht alleine. Das gefeierte moderne serielle Erzählen stützt sich wieder allein auf den Kliffhänger als prägendes stilistisches Mittel und das Spektakel als Köder für den Voyeurismus des Zuschauers. Die Balance von Serien- und Episodenstruktur, das, was die Serie künstlerisch anspruchsvoll machen kann, wird ebenso drein gegeben wie die Forderung des Filmes nach Kürze, die ästhetische Konzentration verlangt.

Und das Spektakel wird hier eben durch Klischees, besonders klischeehafte Gewalt, Sex und Drogen geliefert. Habe ich mich gefreut, als sich Protagonistin Charlotte nach dem anfänglichen Streit um relativ viel Geld im Haushalt nicht wie erwartet als Prostituierte, sondern als Schreibkraft herausstellte! Die Freude ist von kurzer Dauer, natürlich ist sie doch Prostituierte, und das reicht nicht: Die zurückhaltende Frau muss natürlich Domina sein. Der Gute Bulle Gereon auf der anderen Seite ist Junkie, als hätte man sich fieberhaft gefragt: wir brauchen einen gebrochenen (!!!) Helden – was macht einen typischen deutschen idealistischen Polizisten gebrochen? Ach ja, natürlich, Drogen!

Schwarz/Weiß ergibt auch Grautöne…

Denn das schält sich spätestens nach vier Folgen so weit heraus, dass ich dafür meine Hand ins Feuer lege: Im Gegensatz zu echten Grauton-Serien wie Die Sopranos sind in Babylon Berlin die Guten tatsächlich gut, die Bösen böse. Vom Berlin der späten zwanziger lässt sich anscheinend nicht erzählen ohne einen recht typischen deutschen Fokus-Charakter a la Schimansky, sonst müsste man sich am Ende noch ernsthaft mit den Milieus auseinandersetzen, die die Kriminalhandlung nur streift.

(Update nach beiden Staffeln: Natürlich. Und der Böse Bulle ist gleich so richtig böse.)

Und immer diese Pseudo-Kunstfilm-Szenen: Schneiden des Essens, Befingern des Goldes. Oder der Zoom auf die Toilette, von der jeder, der schon mal einen Western gesehen hat, weiß, dass sich Karakow mittlerweile in der Scheiße versteckt. Das wirkt so schrecklich gezwungen, so überproduziert, und es verrät nie wirklich etwas Neues über die Charaktere oder die jeweilige Szene. Im besten Fall wird die vierte Wand gebrochen. Aber nicht im Sinne Brechtscher Verfremdung, bewusst und auf ein Ziel hin, sondern wie wenn das Kind mitten im Schauspiel sich an die Eltern wendet: Schau mal, Mama, Papa, ich kann auch großes Kino im Serienformat!

In eine ähnliche Richtung geht auch die Performance des Titelsongs „zu Asche, zu Staub“. Wofür die Einlage gut 5 Minuten braucht, wäre sicher dichter erzählbar. Stattdessen läuft ein Song, der eindeutig aus der Zeit gefallen ist, klingt wie Marlene Dietrich meets Kraftwerk. Dieses Brechen der vierten Wand hat etwas Disneyesques, es ist zwar nicht mehr unbewusst, aber offenkundig weniger auf die Serienhandlung als auf den Verkauf der Serie und des Songs ausgerichtet.

Nazis und Kommis als White-Walker-Ersatz

Zurück zum Kitsch: Besonders geschlampt wird natürlich im Politischen. Kitschfaktor Nummer 1: Es geht ausgerechnet darum, Adenauer zu retten. Das Symbol des guten Deutschland durch und bis nach dem Krieg (für alle, denen der Widerstandskämpfer Brandt zu rot war), wen sonst? Über die Darstellung der Trotzkisten haben sich andere ja schon lustig gemacht, aber mit dem Blutmai ist es letztlich auch im Ganzen nicht viel besser. Ja, da wird staatliche Willkür gezeigt, Gewalt, das war’s aber auch. Die Signifikanz dieses Moments, in dem sich die sozialdemokratische Stadtregierung mit dem rechten Klima der Republik und den Zielen des frühen Faschismus gemein macht, indem sie Arbeiterproteste brutal niederschießen lässt, dieser frühe Moment, in dem spürbar werden könnte, dass Widerstand gegen das Kommende zwecklos sein wird, weil selbst die linken Kräfte der Weimarer Demokratie im Zweifel auf Arbeiter schießen lassen, wird zur reinen Kulisse, austauschbar. Später kommen dann militaristische Rechte hinzu, deren Ideologie genau so wenig tiefer durchdrungen wird wie die der verschiedenen Kommunisten und Sozialdemokraten. Politik als Pappkamerad, weil Berlin leider keine Drachen und White Walker bereit hält. Ich glaube nicht, dass Babylon Berlin per se mehr Fehler macht als andere Serien. Aber die deutsche Geschichte ist nun einmal nicht die des Amerikas der 90er und Nullerjahre (Sopranos) oder ein fiktives Westeros – man kann die entscheidenden Jahre, die auf Nationalsozialismus und Holocaust hinführten, nicht ohne Verharmlosung zum bunten Bühnenbild für ein Sex&Crime Spektakel machen.

Immerhin, der Antisemitismus an Universitäten wird in einer späten Folge von Staffel 1 angerissen.

Oh je, Staffel 2!

Der Qualitätsabfall von Staffel 2 ist so krass, dass mir kaum noch etwas dazu einfällt. Die erste war ja zumindest unterhaltsam.
Nebenhandlungen, in Staffel 1 groß aufgebaut, wirken wie reines Windowdressing, werden teils über Folgen vergessen oder rasch beiseite geschafft. Die „und dann und dann und dann“-Struktur ist noch ausgeprägter. Folge 11 besteht eigentlich nur aus nem Flug in ner Ju und nem Gespräch mit Stresemann. Besonders übel die Schlussfolgen, reinster Action-Klamauk, mit ernsthafter Attitüde serviert. Ich weiß zB echt nicht was ich schlimmer finden soll: Den effekthascherischen Tod Charlottes oder deren Jon Snow noch in den Schatten stellende Auferstehung…

Bild: Wiki, gemeinfrei