Nochmal: House of Leaves

Oder: Aus drei mittelmäßigen Geschichten wird kein großer Roman.

Ich habe schon einmal skizziert warum ich von dem vielfach gehypten und schon fast wieder vergessen House of Leaves so viel nicht halte. Zu bemüht das Ganze, zu wenig handwerkliche Vollendung im Kleinen. Dass ein Autor alle Register der postmodernen Trickkiste (Geschichte in der Geschichte. Geschichte in der Geschichte der Geschichte. Intertext. Gaaaaanz viel Intertext. Fußnoten. Nicht Ernstnehmen des eigenen Werkes) zieht ist erstmal allein kein Ausweis von Qualität. Ja, es scheint mir sogar Hinweis darauf, dass dem Autor die Mängel des Textes allzu bewusst sind.

Schwacher Bukowski, schwacher Borges, schwaches Blair Witch

Aber beginnen wir mit den einzelnen Handlungen. Es kann mir niemand erzählen, dass er/sie, so der betreffende jemals eine meisterhaft ausgearbeitete Outsider/Drifter/Trinker-Story wie etwa einige der Texte Kerouacs, Hunter S. Thompsons, Fausers und anderer Größen des Fachs genossen hat, nicht irgendwann den Impuls verspürt das stilschwache mäandernde Geschwätz des Exegeten Truant in House of Leaves einfach zu überblättern (nebenbei: tatasächlich einer der Hauptkritikpunkte online). So wenig Mühe wurde darauf verwandt die einzelnen Saufeskapaden, Ficks und Fieberträume, die sich über hunderte Seiten ziehen, in einen auch für sich halbwegs interessanten Plot zu verarbeiten, dass man beim Lesen regelrecht spürt, wie sich hier etwas aus den Fingern gesaugt wurde um die nur aufgrund ihrer Kürze etwas stärkere Geschichte des blinden Filminterpreten Zampano (talk about Klischee) besonders edgy zu umrahmen. Während an das große Kunstwerk doch der Anspruch zu stellen wäre, dass jedes Wort an dieser und nur dieser Stelle zu stehen habe, wären hier komplett andere (und KÜRZERE, mein Gott!) Plotlines leicht denkbar, die als ähnlich gute oder deutlich bessere Kontrapunktik zum Filmplot fungieren könnten. Der Truant-Plot ist unglaublich schlecht geschrieben. Bandwurmsätze und Listen machen noch keine Fucked-up-Gossenpoetik, die trägt.

Die Beschreibung des Navidson Record selbst ist etwas besser gelungen, wobei die Drucktechnik doch im Großteil der Fälle Spielerei bleibt und auch vor der Frage warum gerade so ver-rückt und nicht anders wohl kapitulieren müsste. Die Probe aufs Exempel einmal mehr die Frage, ob man nicht vieles einfach weglassen könnte. Warum werden auf Seite 65f. genau so viele Fotografen zitiert, und nicht halb so viel oder doppelt so viele Namen gelistet? Hat die mehrseitige Liste der Architekturstile von S.120 bis 134 (!) und genau dieser Architekturstile ernsthafte Relevanz? Hätte man sie kürzen können? Oder durch einen Verweis auf Gympels Geschichte der Architektur ersetzen?1 Möchte mir irgendein Leser (nächste Probe aufs Exempel), der dieses Werk, wie es bei einem großen Kunstwerken möglich sein sollte, zum wiederholten Male liest, verklickern, er ging jedes Mal all diese redundanten Seiten akribisch durch? I dont think so. Es sei denn man nimmt, siehe Fußnote, das Buch als fettes Kreuzworträtsel. Doch auch als solches befriedigen weder Fragestellungen, noch Antworten.
Und fühlt man sich als Leser, wenn man mal ganz ernsthaft in sich geht, nicht doch etwas sehr für dumm verkauft, wenn das Gimmick des House of Leaves in House of Leaves, das den Holzhammer-Stunt vorbereitet, Navidson im Haus genau das Buch lesen zu lassen, das der Leser liest, gerade erst wenige Seiten vorher überhaupt als Liber ex Machina in die Handlung eingeführt wurde? Man könnte endlos weitermachen, aber ich kann mich kurz fassen.

Das gehört doch alles zur Vorstellung!

Aber in House of Leaves geht es doch darum, was das Haus BEDEUTET – 1Elf! Deshalb darf da jeder anders durch! Muss sogar! Das gehört doch zum Konzept! Deshalb ist es ja so geeeeeeenial!

Genau. Danke. Dass das Haus eine elaborierte Metapher für Laienpsychologie ist, wird ja zum Glück nicht bereits im Buch ungefähr hundertmal ausbuchstabiert und die naheliegenden Interpretationen nicht etwa ebenso oft unerträglich ausgewalzt. Es sind nicht die ungewöhnliche Form, die Fußnoten oder die Selbstreflexivität, die an House of Leaves per se nerven. Sondern die Tatsache, dass das ganze Brimbamborium offenkundig als Ersatz für gelungenes Storytelling und Subtilität der Reflexion herhalten muss. Danielewski erklärt und erklärt, weil es da eigentlich nichts gibt was erklärt werden müsste. Der Konflikt im Navidson Record ist generisch, eine Klischeefamilie die klischeehafter nicht sein könnte, die Auslegung wird von einer Alptraumhaften Borgesfantasie besorgt, wobei ich voraussetze dass Borges Albträume von langweiligen Buchhaltern handeln. Sogar die Gedichte in House of Leaves sind schlecht. Und der dunkle Ort Truants enpuppt sich, meine Güte, schlecht-freudianisch als Mutterkonflikt

Ja das weiß Danielewski doch!, wird mir jetzt der Freund des Machwerks entgegenbrüllen. Deshalb wird doch sogar das noch in House of Leaves reflektiert.

Dieses Lied scheiße, iss mir egal

Jepp. Und es sind genau diese Failsafe-Devices, die den letzten Nagel in das Totenhaus (huhuhu, ein Hauswortspiel, jetzt bin ich Teil des Kosmos!) kloppen. Stimmt. Danielewski wählt bereits seine Protagonisten so, dass es „unrealistisch“ wäre, auch nur eine literarisch sauber gearbeitete Passage im gesamten Buch vorzulegen. Das ist zumindest auf Schülerniveau ein geschickter Kniff, um Lesern 800 Seiten mittelmäßigen Text vorzulegen und das ganze als konsequent zu verkaufen. Aber „dieses Lied scheiße, iss mir egal“ mag in der Komik manchmal einen kathartischen Effekt haben, tragische Literatur macht sich dadurch eher lächerlich. Es handelt sich dabei vor allem auch um tumbesten Naturalismus. Ein Textverständnis, das exemplarisch für stockkonservative Anlage von House of Leaves stehen kann. Und so ist House of Leaves dann eben, wie ich es an anderer Stelle (s.o.) schon postuliert habe, kein formal avancierter oder gar experimenteller Roman, sondern innerlich ein Werk des 19. Jahrhunderts mit einem äußerlich zugegeben manchmal ungewöhnlichen Drucksatz, der auf Sprache und Ideenwelt allerdings nie ernsthaft übergreift.

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1Zugegeben, Fans haben aus solchen Fußnoten die verschiedensten codierten Nachrichten destilliert. Diese allerdings sind ähnlich banal wie die Psychologie der Fabel. Einige machen sich offenkundig über die postmoderne Geilheit aufs Verweisejagen lustig, und wenn das das Ziel von House of Leaves sein sollte ist das Ganze gelungen. Das Verarscht werden dann aber von akademischer Seite zum großen Kunstwerk hochzujazzen ist nicht als verzweifelte Realitätsverweigerung. Der Versuch das längst erfolgte Abdanken des Geistes in der Geisteswissenschaft doch wieder zum geistreichen Gewinn zu verbrämen. Zumal es Danielewski eben nicht gelingt, die banalen „Codes“ in story-relevantem Material zu verbauen. Er muss sich dafür arbiträre Namenslisten aus dem Hintern ziehen, bis es passt.