Ernie Yue. Ernst Jüngers Mary Sue

You know when „That’s finesounds true? When someone yells at you and spits!“

(Chandler, Friends)

„Doch keine Sorge: ein moraltheologischer Traktat ist nicht beabsichtigt“, lässt Ernst Jünger seinen Erzähler in Eumeswil behaupten. Ach, wärs doch wahr.

Wo schon die Marmorklippen und Heliopolis dem Leser moralphilosophisch sicher reichlich zu kauen gaben, standen in beiden Werken dennoch die jeweiligen Haltungen und Ideen der Hauptpersonen eingebunden in große und widersprüchliche Kontexte, so dass sich ein vielschichtiger, literarisch ausgetragener Widerstreit von Anschauungen und Weltumständen entfaltete. Gerade Heliopolis kassiert zuletzt durchaus überraschend und überzeugend scheinbar zuvor festgefügte Gewissheiten.

Nichts davon in Eumeswil.

Hier hat Jünger tatsächlich eine der unerträglichsten Mary Sues der Literaturgeschichte geschaffen. Oder sagen wir geschlechtspolitisch korrekter vielleicht: Einen Marty Stue. Nein: Einen Ernie Yue.

Und Ernie Yue doziert. Davon, wie man Geschichtswissenschaft „richtig“ betreibt, indem man statt zu interpretieren und zu sezieren auf Ursprünge und Mythen lauscht, davon dass es in langen Zeiten der „Vorgeschichte“ keinen Grund zur Unzufriedenheit im Volke gegeben habe (und nicht etwa keine Schrift diese aufzuzeichnen, neineinnein, das kann nicht sein), vor allem aber davon wie unglaublich souverän, in sich ruhend und keinesfalls ein Anarchist oder Partisan der „Anarch“, den er selbst vorstelle, doch sei.

In eklatanter Unsouveränität wird die Anarchenrolle glorifiziert, ernsthaft regelmäßig Sätze mit „Als Anarch uswusf tue/denke ich das und das“ eingeleitet, Erklärungen der Marke

Ich sagte bereits, daß ich nichts gegen die Autorität habe, doch auch nicht autoritätsgläubig bin. Ich bin vielmehr autoritätsbedürftig, denn ich habe von Größe eine Vorstellung.“ [der nächste Satz dieses Inhaltes folgt ernsthaft kaum 10 Seiten später]

kommen so häufig vor, dass man den Verdacht nicht los wird Jünger sei zu faul den eigenen Text nach Abschluss wenigstens noch einmal durchzulesen. Immerhin dieser Widerspruch durchzieht dann doch das Werk: Die ständige salbadernde Selbstvergewisserung der eigenen Größe, flankiert vom koketten von sich Weisen à la „Als Anarch halte ich mich nicht für über Anderen stehend“. Es ist als pubertiere Jünger auf seine alten Tage noch einmal gewaltig, Ernie Yue klingt erbarmungswürdiger als die ähnlich unerträgliche Erzählerin der Hunger Games.

Performativer Selbstwiderspruch ist in der Folge dann auch das Dauermantra, an Politik nichts als ein rein beobachtendes Interesse zu haben. Denn wo einer stillen selbstgenügsamen Existenz im Stile des Anarchen tatsächlich ein gewisser Adel innewohnen mag, so lange sie ihre schwächlich dahintheoretisierende Sabbel hält, wird die Behauptung von Antipolitik politisch, wo sie x-tausendfach durch die Druckerpresse gejagt ganz ungenügsamen in die Welt geschrien wird. Zwar „scheitert“ wie Jüngers früherer Helden auch Ernie Yue, doch wo jene ihre Weltengebäude an der Welt zu erproben und im Streite zu korrigieren oder ihnen beim Zerfallen zuzusehen hatten, schlägt hier das Scheitern Deus-Ex-Machina qua verschollener Expedition auf den letzten Seiten zu. So ist sichergestellt, dass zuvor der „Roman“ sich rund 380 Seiten lang vor allem als pseudometaphysisches Pamphlet entfaltet, das sich zwar jederzeit kalt gegen das Moralisieren verwahrt, nur um sogleich selbst wild drauflos zu moralisieren:

Wäre er nicht Anarchist, sondern Anarch ohne Moralismen und Vorurteile, so könnte er als Historiker sich einen Ruf gründen. Allein er zieht, wie alle seinesgleichen, den großen Umsatz und das Kassieren vor[Ernst Jünger in einer Büttenrede für Occupy]

Pseudometaphysisch, weil es Jünger um ernsthafte Metaphysik, also die begründbare Spekulationen über die Grundlagen und Bedingungen der Möglichkeit von wissenschaftlichem Denken, der Formulierbarkeit von Naturgesetzen und ähnlichem, nie zu tun ist. Sondern ums Baden im raunenden Mythenstrom bar jeder Denkanstrengung.

„Sie fühlen, wo sie denke müssten“, sagt der Anarch über Liberale und Anarchisten. Das lässt sich gut auch auf einen Ernie Yue münzen, der in seinen zahmeren Momenten das notwendige Moment der Aufklärung aus seiner Aufklärungskritik ausklammert.

Etwa wenn zuerst gejammert wird „Hinter dem Firnis, durch den die Aufklärung sie trübte, treten die Bilder in Ihrem Glanz hervor“, nur um dann wie der Islamist die moderne Kalaschnikow ein genau dieser Aufklärung entrungenes Bild gegen sie selbst in Anschlag zu bringen:

Sie müssen bedenken, daß diese Wendung um neunzig Grad nicht nur den morphologischen Schaden repariert, sondern daß auch die Anatomie bis in die Feinstruktur sich wandelt, bis in die Narbenbildung, die der Forstmann das Wundholz nennt“

Der den „Gleichheitswahn“ und nicht etwa den Überlegenheitsdünkel als Grund heranzieht, warum „Die Juden so oft drankommen“ (mit verfolgt werden), und der an anderer Stelle lakonisch hinwirft, der zweite Weltkrieg sei der „endgültige Triumph des Technikers über den Krieger“ gewesen.

Hier wird dann nicht nur die Behauptung von Antipolitik politisch, sie muss sich auch als Wiedergänger der letzten großen antipolitischen Bewegung die Untiefen des völkischen Mythenstroms vom Halse schaffen, der bleibt wenn alles Werten und alle Technik gleichermaßen verfemt sind, weshalb die NS-Relativierung noch weiter geht als gar die Heideggersche im Gestell.

Auch sprachlich übrigens zersetzt das Primat des („un“)politischen Pamphlets die sonst so virtuos gehandhabten schillernden Bilder Jüngers. Da ist wenig übrig vom überbordenden Reichtum der Marmorklippen, dieses „Idylls auf vulkanischem Grund“ (mit Lampe gesprochen) oder von Heliopolis. Größtenteils Deklaration, dagegen kaum ausgearbeitete Szenerien, Charaktere, oder gar eine glaubhafte Gesellschaft. Nur noch ein Büttenredner, dessen Narrenkappe die stillosen Nachplapperer der Neuen Rechten nicht sehen wollen, die sich ausgerechnet auf diesen, Jüngers schlechtesten Roman seit den Stahlgewittern, berufen, wenn es um die Haltung des aufrechten Deutschen in undeutschen Zeiten geht.

Viel Spaß beim Waldgang.

Bild: Auch ein Waldgang. Rouseau. Gemeinfrei.