So funktioniert das nicht mit moralischen Dilemmata und Grauzonen. Jackas London (5).

„Der Meister von London“, Teil 5 in Benedikt Jackas London-Reihe, hat sich mit dem absurden moralischen Dilemma aus dem Vorgängerroman, wie befürchtet, große Probleme eingehandelt. Der reine Plot ist diesmal ziemlich einfach: Anne, die Lebensmagierin, wird entführt, Alex versucht sie zu retten, und wie bereits im Vorgänger angedeutet, kehrt der Meister Richard Drakh, der Schwarzmagier, zurück. Erschwert wird natürlich alles dadurch, dass sich im letzten Roman sowohl Anne als auch der Zeitmagier Sonder aus hanebüchenen Gründen von Alex losgesagt haben.

Kurz gefasst: Eine Gruppe Adapten wollte Alex ermorden und hat bei allen Versuchen, irgendwie zu vermitteln, nicht locker gelassen. Am Ende hat Alex die Adapten in eine Falle gelockt und getötet. Es geht aus dem Roman so offenkundig hervor, dass es keinen anderen Weg gab, und dennoch werfen die beiden Freunde Alex nun vor, ein Mörder und ein schlechter Mensch zu sein. Zusätzlich absurd, weil wir Anne schon aus dem Vor-Vorgängerroman kennen, und sie dort zwar ungern selbst kämpfte, aber zugleich keine Probleme hatte, sich in Situationen zu begeben, in denen andere möglicherweise für sie töten müssen.

“Der Meister von London” verwendet nun viel Zeit auf diesen zwischenmenschlichen Konflikt, ehe es dann zu besagter Entführung kommt. Normalerweise können Spannungstexte nur besser werden, wenn sie sich stärker auf zwischenmenschliche Konflikte einlassen. Aber dieser Konflikt ist nun mal einfach absurd, und weil das anscheinend nicht reichte, lässt Jacka nun auch noch Alex seinen Vater aufsuchen, der nicht weiß, dass er ein Magier ist, dem er aber verklausuliert in der Vergangenheit immer mal wieder von seinem Leben erzählt hat (was wir erst hier erfahren – Daddy-Issues ex machina), so dass das natürlich klingen muss, als habe Alex sich mit Gangstern eingelassen. Dem Vater teilt Alex mit, dass er mehrere Menschen töten musste, die hinter ihm her waren, und irgendwie tut es ihm sehr weh, dass der Vater das verurteilt. Der Vater weiß aber halt nicht, dass es diese äußerst brutale Magierwelt gibt, der sich Alex gar nicht entziehen kann, obwohl er es versucht hat. Er denkt, sein Sohn ist ein Gangster, der Ärger mit anderen Gangstern hat und jetzt ein paar umgebracht hat. Was will man da erwarten? Eigentlich reagiert der Vater noch relativ mild. Ich meine, wenn Harry Potter irgendwelchen Muggeln erzählt hätte, dass er kürzlich ein paar Leute um die Ecke gebracht hat, aber vergisst zu erwähnen, dass es sich um das magische Äquivalent von Hitler und ein paar seiner Schergen handelt, fänden die Muggel das wahrscheinlich auch nicht besonders cool.

Jacka versucht die Sache mit Anne dann zu lösen, indem im Laufe der Handlung herauskommt, dass sie in ihrer Zeit als Sklavin des Schwarzmagiers Sagash häufig als Methode der Folter in Situationen gebracht wurde, in denen sie nur töten konnte oder getötet wird, und dass ihr äußerster Radikalpazifismus daraus entstand. Allerdings bleibt das weiterhin eine schwache Lösung für etwas, das ursprünglich als moralisches Dilemma aufgebaut wurde. Es gibt hier nur eine Seite, die auf Basis der Romanhandlung recht hat, und eine Traumatisierte, die überzeugt werden muss, die Welt “realistischer” zu sehen. Und es wird noch absurder. Als Alex und Anne in höchster Lebensgefahr schweben, kommt endlich Richard Drakh zurück und bietet den beiden einen Deal an, der wahrscheinlich Schlimmeres beinhalten würde, als „nur“ Notwehr. Plötzlich ist Anne beinahe bereit, auf den Deal einzugehen, und damit nicht nur sich, sondern auch noch Alex dem mächtigen Schwarzmagier auszuliefern. Eine komplette 180°-Wende, und das ohne dass irgendetwas passiert wäre, das diese erklären würde. Und während Alex immerhin nur Menschen schadet, die ihm oder seinen Freunden schaden wollen und dabei durchaus versucht, die jeweils mildesten möglichen Mittel anzuwenden, ist Anne nun bereit, nicht nur sich, sondern auch ihren Freund zu opfern? Es ergibt keinen Sinn.

Man möchte es nicht glauben, aber obwohl der zwischenmenschliche Kern der Handlung diesmal überhaupt nicht funktioniert, liest sich der Text im Großen und Ganzen doch weiterhin kurzweilig und spannend. Ich hoffe nur, Jacka findet einen Weg weg vom Thema „Wann ist Töten gerecht, wann werden wir wie unsere Gegner?“ Ihm fehlt offenkundig die Einsicht, diesen Komplex plausibel aufzubauen. Wenn nicht, dürften die kommenden Romane immer größere Probleme bekommen. Es besteht allerdings Hoffnung, der Romanschluss lässt es sehr wahrscheinlich erscheinen, dass dieses Thema jetzt erstmal abgehakt ist.

Bild: wiki, gemeinfrei.

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