Wieder ein schwerer Durchhänger. „Die Flüsse von London“ 6

„Der Galgen von Tyburn“, der sechste Teil der „Die Flüsse von London“-Reihe, setzt die durchwachsene Bilanz der Vorgänger fort. Wieder ist das Ganze halbwegs unterhaltsam, aber auch zerfahren und mehr von verschiedenen Zufällen als von einer Handlung getrieben, die es als solche bezeichnet zu werden verdient. Ein weiteres Verbrechen, bei dem sich bald herausstellt, dass es mit Magie zu tun hat, und natürlich führt der Versuch, das aufzuklären, bald wieder auf die Spur des gesichtslosen Dauer-Bösewichtes. Die amerikanische Geheimdienst-Bekannte aus dem dritten Teil warnt, dass eine amerikanische Magiebehörde sich für die britische interessiert, aber irgendwie finden die Figuren aus dieser Behörde nie wirklich zu einer Rolle, auch wenn sie hier und da anwesend sind. Vor allem stört mich aber weiter, wie wenig aus der anfangs wie eine gleichberechtigte Nebenfigur eingeführten Lesley gemacht wird. Ich dachte, nachdem sie zur dunklen Seite übergelaufen ist, bekommt sie dann wenigstens als Antagonistin mit interessanter Motivation tatsächlich eine Funktion. Aber nachdem sie im letzten Roman nur ein paar SMS geschickt hat, schafft sie es diesmal, sogar in ihrer Anwesenheit größtenteils durch Abwesenheit zu glänzen. Dass der Autor magische Begebenheiten so einführt, dass es die Figuren überhaupt nicht überrascht und wir entsprechend um das Staunen beraubt werden, das fantastische Welten doch erst interessant macht, scheint kein Unfall zu sein. Er scheint die Vorgehensweise „nach übrigens… okay, weiter im Text“ anscheinend wirklich für ein starkes stilistisches Mittel zu halten. Das gilt sogar für Lesleys überraschende Rückkehr.

Danach rennt der Erzähler Lesley noch ein paar Mal hinterher, und am Ende entkommt sie genauso wie der Gesichtslose. Keine wirklich bedeutenden Interaktionen. Kein Gespräch, das der Figur und dem Verhältnis, das doch eigentlich geprägt sein müsste von alter Zuneigung und tiefster Erschütterung, diese Tiefe auch für uns glaubhaft vermitteln könnte. Apropos Entkommen: Dieses jedes Mal halb zufällige Auf-den-Gesichtslosen-Stoßen, ihn beinahe haben und dann wieder Entwischen lassen, wird auch langsam richtig nervig. Das sind ja keine halbwegs sorgfältig vorbereiteten Showdowns wie z.B. in Harry Potter, die man natürlich auch zerpflücken kann (z.B., warum braucht Voldemort für seine Pläne immer genau ein Schuljahr), die aber doch immerhin einen für Kinderbücher überzeugenden Spannungsbogen ergeben. Sondern es sind eben halb zufällige Zusammentreffen, die dann meist ganz zufälligerweise dazu führen, dass man den Typen einfach nicht erwischt. Ein übergeordneter Plan des Bösewichts ist nicht vorhanden oder bleibt so weit im Dunkeln, dass es die einzelnen Bücher der Reihe kaum zusammenhält. Man hat nicht das Gefühl, das Ganze entwickele sich irgendwo hin. Die Reihe könnte prinzipiell ewig so weitergehen. Naja, mein Bruder meint, der folgende siebte Band sei eigentlich der letzte, und acht und neun dann nur noch als Geldmacherei hinten dran gehängt. So werde ich den wohl noch lesen und hoffen, dass endlich Lesley zu der Rolle findet, die sie verdienen würde.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

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