Mehr als Nils Holgerson 2 – Selma Lagerlöfs „Charlotte Löwenskold“.

„Charlotte Löwenskold“ ist der zweite Teil von Selma Lagerlöfs Löwenskold-Trilogie. Und auch ein ganz anderer Text, dessen Verbindungen zum Vorgänger sich rein auf Örtlichkeiten und Personen beschränken. Wir sind wieder im ländlichen Värmland, und die Familie Löwenskold steht im Mittelpunkt, genauer gesagt deren Tochter Charlotte, die seit Jahren mit dem Priester Karl Arthur verlobt ist. Der Text greift die Eigenschaft des Vorgängers auf, mehrfach neu anzusetzen, um zu Beginn einige Zeit zu überbrücken, doch das funktioniert hier deutlich schlechter als in ‚Der Ring des Generals,‘ in dem der Ring als verbindendes Element Personen aus verschiedenen Zeiten verknüpfte. Hier dagegen lernen wir zuerst die alte Baronin Erkenstedt kennen und haben das Gefühl, es werde ihre Geschichte. Etwas später studiert der Sohn Karl Arthur in der Stadt und streitet sich mit der Mutter, und wir bekommen den Eindruck, es werde die Geschichte des Sohnes. Im nächsten Kapitel wird Charlotte eingeführt und ihr Verlobter, eben dieser Sohn. Lange Zeit wird nun Karl Arthur nur als „der Pastor“ oder „ihr Verlobter“ benannt, was es unnötig schwer macht, überhaupt die Verbindung herzustellen. Das gilt auch für weitere Figuren im Roman. Zugleich kann man aber nicht behaupten, das sei ein besonders pfiffiges Spiel mit Perspektiven, das sich dann durch den ganzen Text zieht, das zB die Tatsache, wie unterschiedlich wir Menschen sehen, zum Prinzip macht. Denn jetzt ist es vorbei mit den Sprüngen, und es entspannt sich die Geschichte, wie ein reicher Hüttenbesitzer um Charlotte wirbt, und Arthurs Überzeugung, diese könnte „ja“ sagen, ihn sozusagen proaktiv dazu bringt, die Beziehung zu beenden. Dann versöhnen die beiden sich noch einmal beinahe, doch da kommen Blumen des Hüttenbesitzers an, und Arthur ist wiederum überzeugt, Charlotte müsste diesem nach ihrer initialen Abfuhr doch einen Grund dafür gegeben haben. Er schwört, das nächste Mal Gott seine Frau wählen zu lassen, begibt sich auf eine Wanderung und trägt der ersten Frau, die er trifft, einer armen Hausiererin (wobei er ein paar Tricks anwendet, um zwei im Dorf bekannte Klatschweiber nicht zu treffen), die Heirat an. Der Hüttenbesitzer derweil ist sehr traurig, was er angerichtet hat, und versucht alles, um die beiden wieder zusammenzubringen. Er willigt aber zugleich ein, Charlotte zu heiraten, falls das nicht klappt. Denn die Familie Löwenskold ist verarmter Adel, und er hat ihr gewissermaßen eine zwar nicht besonders gute, aber doch solide Partie versaut. Es gibt noch einige Verwicklungen, aber anders als man es in so einem Text für gewöhnlich erlebt, bleiben tatsächlich Charlotte und der Hüttenbesitzer schließlich zusammen. Und da der Nachfolger „Das Mädchen aus Dalarna“ heißt, denke ich, erfahren wir dort, was mit dem Pastor Karl Arthur und der Hausiererin passiert.

Der Roman ist nicht langweilig. Er hat durchaus einen ordentlichen Stil, auch wenn er nicht annähernd das Niveau des Vorgängers erreicht. Das liegt vor allem daran, dass der Text nicht so recht zu wissen scheint, was für eine Art Text er sein möchte. Soziale Milieustudie? Dafür hängt zu viel der verwickelten Liebesgeschichte in der Luft. Lustige Romanze? Wofür dann das dreifache Neuansetzen zu Beginn? Auch der Ton schwankt doch recht stark zwischen ernsthaft und amüsant, ohne dass das stets wie aus einem Guss wirkt. Auch die Figuren hängen teilweise ein wenig sehr zwischen Karikatur und ernsthaften runden Figuren eines Gesellschaftsromans. Besonders Arthur mit seiner übertriebenen Eifersucht und seiner Unfähigkeit, einfach mal mit seiner Frau und dem Hüttenbesitzer zu reden. Aber auch Charlotte tut mit ihren Sticheleien, „Der Mann könnte mehr aus sich machen, mindestens Probst, vielleicht sogar Bischof werden,“ nicht gerade etwas dafür, die Lage zu entspannen und den Verdacht zu entkräften, ihr ginge es in der Ehe vor allem um sozialen Aufstieg. So etwa im letzten Drittel stellt sie fest, dass, als der Pastor beginnt, sich für die Kinder in der Gemeinde zu engagieren, sie das genauso bewundert, wie wenn er Probst oder Bischof gewesen wäre. Aber teilt sie ihm das mit? Nein, das wäre zu einfach gewesen.

Man kann den Roman mit seinen etwa 200 Seiten gut einmal lesen, wenn man ihn irgendwo in der Bibliothek, im offenen Bücherschrank oder auf dem Wühltisch findet. Anders als ‚Der Ring des Generals‘ empfehle ich ihn aber nicht zwingend, und es wirkt auch nicht, als ergäben die drei Bände eine derart inhaltlich wie formal geschlossene Löwenskold-Trilogie, dass das dazu zwingen würde, tatsächlich alle drei Texte zu lesen.

Bild: Eigene Zeichnung.

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