Das in fast allen Belangen überlegene Kunstwerk. Die 2019er Gerwig-Verfilmung von „Little Women“.

Ich beginne am besten gleich mit dem kontroversesten Aspekt dieser Besprechung: Die Greta Gerwig-Verfilmung von „Little Women“ ist ein dem Buch in fast allen Aspekten deutlich überlegenes Kunstwerk. Das liegt vor allem daran, wie formal das Problem des zweiten Bandes gelöst wurde, über das ich in meiner Besprechung zum Buch schon geschrieben habe. Denn im Roman fehlt dem zweiten Band die erzählerische Integration des ersten Bandes. Er springt wild von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort und wirkt als hake Autorin Alcott Lebensstationen ab. Das ist ein Problem an sich und führt zu weiteren Problemen, besonders mehreren späten Entwicklungen, die unvorbereitet wirken und wie zwanghaft entgegen der bisherigen Handlung entwickelte Happy Ends.

Der Film löst mit dem großen Bauplan größtenteils auch die Folgeprobleme durch das parallele Vorantreiben einer späten und einer frühen Handlung, die die relativ losen Plotpoints des zweiten Bandes zur Rahmenhandlung des ersten macht. Auf diese Weise in der Chronologie des Films später entwickelte Momente des Buchs sind oft frühe Momente im Film, was dazu führt, dass, was im Buch und zugleich unglaublich wichtig war und wie ein Nachgedanke wirkte, im Film nun folgerichtig ist.

Herausragendes Beispiel: Lauries relativ nahtloser Austausch seiner Verliebtheit in Jo mit der Verliebtheit in Amy. Was im Buch praktisch nicht vorbereitet wurde, steht nun am Anfang des Films, noch bevor wir erfahren, dass Jo und Laurie lange Zeit enge Freunde waren und viele Momente hatten, die wirken, als könnten sie eine Liebesgeschichte vorbereiten. Im Film erleben wir zuerst Laurie und Amy in Paris bei etwas, das sich auch sehr gut als Flirt lesen lässt und bereits ganz am Anfang wird etabliert: Diese beiden haben eine enge Verbindung. Dafür musste Gerwig nicht das Buch umschreiben, musste nicht die Zahl der Momente von Jo und Laurie verringern und die von Amy und Laurie erhöhen, sondern sie setzt gleich zu Beginn einen Moment, aus dessen Perspektive sie uns nun die früheren Momente betrachten lässt. Jo und Lauries Geschichte bleibt bestehen, und selbst der Moment, in dem Jo Laurie zurückweist, gewinnt dadurch noch etwas Gravitas, weil wir wissen: Diese Entscheidung ist tatsächlich endgültig. Wenn sie das jetzt macht, tritt ein, was am Anfang des Films schon angedeutet wurde. Sie könnte nicht zurück, selbst wenn sie wollte. Was hier gesagt wurde, lässt sich für fast alle Elemente des zweiten Teils wiederholen. Bhaer beispielsweise: Auch ein so spät eingeführter Nachgedanke, bei dem im Buch kaum klar wird, wieso sich Jo, die sich bisher nie verliebt hat, plötzlich in diesen gemütlich gesitteten Professor verlieben sollte. Was den hier interessanter macht, ist nicht, dass man ihn unnötigerweise super attraktiv gemacht hat und zugleich vom Deutschen zum Franzosen umgeschrieben, sondern dass er von Anfang an da ist, eine Verbindung von Jo und Bhaer aufgebaut wird und zugleich signalisiert: Diese Figur wird wichtig.

Aber nehmen wir den Film zuerst einmal für einen Moment für sich selbst. Das Ganze ist einfach filmisch sehr gelungen, von der bereits erwähnten Struktur über die einzelnen Szenen, über das Spiel bis zur Farbgebung und den einzelnen Shots. Die Figuren sind gut besetzt und transportieren die im Roman enthaltene Schwere ebenso wie die Lebensfreude, auch unter schwierigen Bedingungen. Der Film verzichtet einerseits auf aufdringliche Bildsprache, findet andererseits aber in entscheidenden Momenten, etwa wenn die ganze Familie beisammen ist, mit Joe und Beth am Strand, in Paris, zu Bildern, die komponiert wirken, wie gemalt. Die Doppelung von Motiven sowohl über lange Abstände innerhalb der Filmchronologie (etwa Amys frühes Verbrennen von Jos Buch und Jos späteres Verbrennen eigener Texte) oder über lange Abstände innerhalb der Chronologie der Handlung, die allerdings parallel montiert sind (Jos angstvolles Herunterkommen ins Wohnzimmer, als sie glaubt, Beth könnte gestorben sein, und sie findet die Schwester deutlich wiederhergestellt in der warm eingefärbten Vergangenheitshandlung, sowie die im kühlen Blau gehaltene parallele spätere Szene, als sie nur die Mutter vor einer erloschenen Kerze findet) – Diese und viele weitere Szenen sind einfach filmisch großartig gemacht. Gerwig erfindet das Rad nicht neu, und warum sollte man das, sondern sie nutzt zahlreiche etablierte Techniken der Filmkunst, um ihre Geschichte tatsächlich filmisch zu erzählen. Allein: kein VoiceOver! Wie selten ist das in einer Literaturverfilmung.

Zurück zum Vergleich mit dem Buch: Selbst etwas, was ich für den so viel stärkeren ersten Teil des Romans bereits sehr gelungen hervorgehoben habe, das Gegeneinander-Absetzen der verschiedenen Charaktereigenschaften der vier jungen Frauen, gelingt dem Film, wenn vielleicht auch nicht unbedingt besser, so deutlich ökonomischer. Und das muss so sein, denn der Film hat nicht die Zeit, die Figuren sich gegenseitig charakterisieren zu lassen und das dann noch mal in zahlreichen auktorialen Passagen und Handlungen zu wiederholen. Ja, ich würde sogar sagen, es gelingt dem Film tatsächlich besser. Nehmen wir wieder Jo: Ja, das Buch erzählt uns von ihrer Impulsivität und ihrer Tendenz, „laut“ und unweiblich im Sinne des 19. Jahrhunderts zu sein. Aber solche Momente wirklich spürbar macht das Buch nicht oder selten. Wie expressiv ist dagegen die Ballszene, in der Jo Laurie kennenlernt und Jo beim geheimen Tanz wirklich aus sich herausgehen kann, tatsächlich wirkt wie eine Figur, die zu allerlei emotionalen Ausbrüchen aus der Rolle neigt, die die Gesellschaft Frauen ihrer Zeit auferlegt hat, sei es durch das begeisterte Nutzen unangemessener Sprache, sei es dann auch im Tanz, der deutlich wilder und zugleich deutlich heimlicher durchgeführt wird, als im Buch beschrieben.

Der am meisten diskutierte Aspekt des Films dürfte freilich das Ende sein. Hier weicht die Verfilmung deutlich von der Vorlage ab. Anstatt des bekannten Endes, in dem Jo heiratet, werden zwei Varianten präsentiert. In der einen Variante kommen Jo und Bhaer noch einmal deutlich romantisierter zusammen, indem die ganze Familie dabei hilft, dem scheidenden Professor durch den Regen zu folgen und ihn noch am Bahnhof abzufangen. Parallel montiert ist ein wiederkehrendes Gespräch Jos mit dem Verleger, der ihr Buch „Little Women“ publizieren möchte und sie dazu drängt, für die Protagonistin ein Happy End zu schaffen. Frauen müssen am Ende des Buches verheiratet sein. Es liegt sehr nahe, dass das romantische Happy End kein gleichberechtigtes Ende mit der parallelen Handlung vom Buchdruck ist, sondern das Ende, das Jo ihrem Verleger schreibt. Überhaupt enthüllt sich das als die Prämisse des gesamten Films: Die rückblickenden, warm gefärbten, Passagen sind das Buch, das Jo geschrieben hat. Was meines Erachtens auch eine ganz gute Lösung ist, um die Doppeldeutigkeit, die „Little Women“ doch innewohnt, beizubehalten, und gleichzeitig einen Film zu machen, der nicht kitschig wird, außer er ist selbstbewusst kitschig. Einige Publikationen haben nun geurteilt, der Film gebe dem Buch endlich das Ende, das es verdiene, manche sogar: das, was die Autorin eigentlich gewollt habe. Aber es gab doch auch einige Kritik: Es sei nicht fair gegenüber Jo, dass sie am Ende praktisch einsam mit ihrem Buch dastehe, statt glücklich innerhalb der Familie wie ihre Schwestern. Der interessanteste Text, der in diese Richtung argumentiert, ist meines Erachtens dieser hier, da er sehr akribisch am Text arbeitet, und zwar viele Vergleiche mit dem Roman zieht, aber doch versucht, zu zeigen, dass das Ende nicht wirklich zum Rest des Films passe, nicht einfach, dass es dem Roman unrecht tue und die schöne heile Welt zerstöre, die dieser gezeichnet habe. Meines Erachtens geht der Text dann dennoch häufig fehl und belegt Dinge, die er für den Film belegen möchte, mit Textstellen aus dem Roman. Aber es ist eine interessante Lektüre, die versucht zu zeigen: Der Filmschluss tut der Figur Jo Unrecht, die Figur Bhaer macht keinen Sinn, so wie sie aufgebaut ist, wenn diese Figur am Ende Jo nicht heiratet, und vor allem:

“Jo might have her book published at the end of the movie, but that doesn’t resolve the fact that she still has this great sadness in her life. In many ways, Jo’s isolation seems to worsen at the film’s end since she’s presented totally alone with her book (as opposed to with her family). Maybe the film was trying to present a somewhat grim view of authorship as a lonely yet rewarding craft, but that’s awful, depressing, and not at all the message I got from Little Women in the 10+ times I have read it.”

Ich halte das dennoch für eine Fehleinschätzung. Das Wichtigste meines Erachtens dabei: Nein, Jo ist nicht am Ende einsam mit ihrem Buch. Es ist nicht so, dass sie erfolgreich, aber herausgelöst aus dem Kreis der Familie wäre. Sie wird nur allein gezeigt im Moment ihres großen Erfolges, und ich glaube, das ist ein Bild, das sich zu stark einprägen kann. Auch ich habe sie tatsächlich von meinem ersten Anschauen als einsame Erfolgsschriftstellerin erinnert, vielleicht auch, weil einige der positiven Betrachtungen sie isoliert haben: Eine Frau geht ihren eigenen Weg. Ja, das macht sie. Aber der Moment ihres Erfolgs wird in ihrer Erinnerung sofort an eine wiederum warm gezeichnete Familienszene zurückgebunden, die die Schwestern gemeinsam zeigt und praktisch noch einmal erinnert, was hinter dem Buch steht. Der Film gibt uns auch keinen Grund zu glauben, dass Jo nun mit der Familie gebrochen habe, dass sie nun isoliert lebt. Er hat uns zuvor immer gezeigt, dass die Familie hinter diesem Buch steht, sie ermutigt hat. Ja, vielleicht wäre es klug gewesen, das noch ein bisschen zu vereindeutigen, indem Jo in einem kurzen Flash den Erfolg mit den Schwestern feiert oder so ähnlich. Aber Jos Ende ist nicht bittersüß. Sie hat ihren Erfolg, und sie hat ihre Familie. Das einzige, was passiert ist: Sie heiratet nicht. Dass Menschen sich an die Schlussszene als traurig oder bittersüß erinnern, mag daran liegen, dass im Gesicht von Jo, während sie beobachtet, wie ihr Buch in liebevoller Handarbeit entsteht, unglaublich viele Emotionen gleichzeitig vorhanden sind, und das ist großartig gespielt. Mit ganz wenig Bewegung, sogar mit ganz wenig Mimik steht dort – nein, nicht Trauer, nicht Isolation – sondern Hoffnung, Freude, aber auch Überwältigung und vielleicht Angst – geschrieben. Und wer immer selbst schon einmal ein größeres Werk vollendet und vielleicht sogar veröffentlicht hat, kennt diese Ambivalenz. Es ist der originäre Stolz des Schaffens, verbunden mit dem Moment, den man mit Hegel als Entfremdung fassen kann, wenn das Werk einem plötzlich als anderes gegenübertritt und nun zum Spielball der Welt wird, was einerseits ganz existenziell das Werk aus dem Eigenen herausreißt und andererseits profan natürlich auch zu vielen Schwierigkeiten führen kann. Wahrscheinlich wurde selten bis nie ein hegelscher dialektischer Moment so überzeugend in Mimik ausgedrückt.

Ist das aber nun, wie der verlinkte Text nahelegt, ein schwaches Ende für die Figur Jo, die sich doch mit der Zeit mit der Idee der Ehe auszusöhnen schien und ein schlechter Einsatz der Figur Bär, die doch im Film sogar so viel stärker aufgebaut wurde als im Buch? Nein, denn erstens: Nur das Buch zeigt, dass Jo mit der Zeit der Idee der Ehe etwas abgewinnt, und selbst das ist schwach ausgeführt. Und man kann eine Figur auch stark einführen, als wichtig darstellen, wenn die wichtige Entscheidung dann gegen diese Figur getroffen wird. Ja, ein Nicht-Heiraten im Roman hätte deutlich weniger Kraft gehabt, wäre ein schwacher Abglanz der Entscheidung gegen Laurie gewesen, während es im Film eben fast auf der gleichen Stufe steht. Denn Bhaer war von Anfang an da und die beiden sind auch emotional als deutlicher kompatibel als im Roman aufgebaut werden. Es ist ja nicht so, dass Bhaer im Film nicht wichtig wäre für Jo. Er ist es nur eben nicht als Ehemann.

Also: Der Film ist wirklich stark. Viel mehr kann man wahrscheinlich aus einer Buchverfilmung gar nicht machen, wenn man nicht an zentralen Stellen noch deutlich stärker abweichen möchte. Ich kann trotzdem verstehen, dass nicht alle Fans mit der Verfilmung zufrieden sind. Tatsächlich kam mir der Film nämlich beim ersten Ansehen, als ich das Buch noch nicht kannte, stärker vor. Das liegt einfach daran, dass man nun die größere, detailliert ausgearbeitete Geschichte kennt und kaum darum herumkommt, einige Momente nun wie eine Clipshow, wie Illustrationen zu etwas zu sehen, das in Teilen abwesend ist. Aber da ich „Little Women“ zum Glück zum ersten Mal gesehen habe, als ich das Buch noch nicht kannte, weiß ich: Der Film funktioniert ganz für sich allein, ohne Buch. Man muss nicht mal sehr aufmerksam sein, um aus der nicht-chronologischen Erzählung am Ende ein Ganzes zusammenzusetzen. Das Ganze fügt sich.
Und ganz nebenbei, natürlich konnte Greta Gerwig nicht einfach das Buch nacherzählen. Anders als etwa im Fall von „Der Herr der Ringe“ handelt es sich ja nicht um die erste Verfilmung, wo man das vielleicht noch akzeptieren mag, sondern um eine von vielen, die, um überhaupt ihre Existenz zu rechtfertigen, irgendeine neue Perspektive auf den Stoff finden musste. Und nochmal, das ist großartig gelöst: Der Film bleibt der Vorlage so treu wie nur möglich, arbeitet mit großem Respekt vor dem Material und gewinnt sein Neues vor allem durch die formale Gestaltung und ein Ende, vor dessen Hintergrund man gezwungen ist, das bis jetzt Gesehene doch noch einmal ganz anders zu reflektieren.

Handelt es sich aber nun um das Ende, das die Autorin eigentlich gewollt hätte? Ich sehe dafür keine Hinweise. Dass Frauen unter die Haube gehören, ist trotz aller fortschrittlicher Momente gegenüber den Moralvorstellungen der Zeitgenossen durchaus ein Telos, das früh im Roman aufgebaut wird und das auch nicht dadurch durchgestrichen wird, dass die Autorin selbst nicht verheiratet war und auch im Roman später darauf hinweist, dass es gute Gründe gebe, nicht zu heiraten, und dass man unverheiratet kein schlechterer Mensch sei. Alles, was etwa schon relativ früh über Megs Ehe gesagt wird, weist darauf hin, dass der Roman letztendlich der Frau doch die Rolle im Haus und als Dienerin des Mannes zuweist, auch wenn man parallel Romane schreiben kann oder, wie Jo am Ende, eine Schule leiten. Dass die Ehe im Roman schlecht vorbereitet ist, ist kein Beleg dafür, dass sie nicht gewollt ist und praktisch vom Verleger aufgedrängt wurde. Fast alles im zweiten Band ist schlecht vorbereitet, das liegt einfach daran, dass der zweite Band erzählerisch nicht besonders stark ist. Ist es das Ende, das der Roman verdient hätte, das Jo verdient hätte? Wiederum nein, denn damit das Ende funktioniert, müsste man den Roman auch strukturell vollkommen umgestalten. Der Roman hätte insgesamt eine bessere und folgerichtigere Entwicklung des zweiten Teils verdient, aber das nun ist relativ irrelevant. Das Buch ist gut 150 Jahre alt. Das Ende des Films ist das Ende, das der Film verdient, es ist ein gelungener Abschluss eines gelungenen Werkes. Zwar auch einer gelungenen Verfilmung, vor allem aber eines Kunstwerks, das für sich selbst ünerzeugt.

Bild: Pixabay.

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