Starke Atmosphäre, starker Schluss, erste Auflösungserscheinungen. „A Song of Ice and Fire“2

Um mit dem Positiven zu beginnen (und zu „A Clash of Kings“, dem zweiten Teil von „A Song of Ice and Fire“, gibt es durchaus einiges Positives zu sagen): Auch dieser Roman schafft es wieder, mit einem fesselnden Einstieg zu punkten, und er baut seine Welt überzeugend atmosphärisch auf. Der Einstieg ist nicht mehr ganz auf der Höhe von „A Game of Thrones„, dessen Doppelprolog ich als mit das Beste zumindest in der High Fantasy bezeichnet hatte, aber so etwas ist in einem zweiten Band auch schwer zu wiederholen. Doch die Art und Weise, wie neue Figuren in einem neuen Landstrich eingeführt werden, die im ersten Band nur am Rande genannt wurden, in Dialogen und Beschreibungen von Leuten und Landschaft, ist noch einmal sehr überzeugend plastisch, so dass man nicht das Gefühl bekommt, die Welt werde ausgeweitet, nur damit es mehr zu erzählen gibt. Überhaupt ist, denke ich, die Atmosphäre die große Stärke der ersten Romane. Das ließ sich jetzt für mich besonders wertschätzen, weil ich parallel mich durch die Wüste von Brandon Sandersons erstem Stormlight-Band gekämpft habe, in dem kaum Figuren Sprechrollen haben und kaum Örtlichkeiten auftauchen, die nicht direkt den großen Welten-Kampf-Plot voranbringen sollen. Dabei bewegt sich dieser Plot, das ist das traurige Paradoxon dieser Romane, kaum von der Stelle. Einmal ziehen wir etwa in dieser Reihe durch ein düsteres Viertel und an einer Taverne vorbei, und das ist alles, was wir erfahren:

„Shallan found herself creeping. Her slippered feet could feel every change in the ground underfoot, each pebble and crack. She looked about nervously as they passed a group of workers gathered around a tavern doorway. They were darkeyes, of course. In the night, that distinction seemed more profound“

Auch Martin schreibt natürlich Tavernen-Szenen, und beispielhaft darf eine relativ zu Beginn von „A Clash of Kings“ stehen, in der sich lauter Nebenfiguren größtenteils niederer Geburt andeutungsweise und gerüchteweise über Ereignisse des ersten Romans unterhalten. Auch wenn Martin nie den letzten Schritt geht, und uns nicht kämpfende oder um den Thron intrigierende Figuren tatsächlich einmal in ihrem Alltag und ihren Erfahrungen vor Augen stellt, so gibt schon allein die Art und Weise, wie diese Figuren reden, wie ihnen die großen Ereignisse faszinierende Gerüchte sind, aber gleichzeitig unendlich fern, das Gefühl, dass dieses Westeros tatsächlich eine belebte Welt ist, und nicht nur Kulisse für Thronkämpfe. Gewiss, das ist auch bei Martin noch mehr Trick als tatsächliche Offenheit für die kleinen Geschichten, die sich in einer solchen Welt abspielen. Am Ende sind ihm seine Arbeiter und Bauern doch vor allem Verfügungsmasse, um zu zeigen, wie grausam die Herrschaft mit solchen Menschen umspringt. Aber es ist doch immerhin ein relativ guter Trick, von dem Sanderson wirklich etwas hätte lernen können. Martin füttert diese Atmosphäre immer wieder mit vielen kleinen Details, indem etwa bei Wein oder Speisen erwähnt wird, wo sie herkommen und welche Charakteristika sie haben, und wenn schon nicht durch unterschiedliche Dialekte und Akzente, so immerhin hier und da durch unterschiedliche Sprachregister: ein eher geschliffenes, ein eher flapsiges, ein eher gebrochenes Englisch. Hörbuchvorleser Roy Dotrice fügt, möglicherweise unbewusst, da noch gewisse Akzentfärbungen hinzu, was den atmosphärischen Eindruck der Hörbücher gegenüber der Lektüre noch einmal verstärkt.

Nachdem ich mittlerweile Romane aller ganz großen Namen der schon klassisch gewordenen High Fantasy gelesen haben dürfte (ich zähle neben Martin, Sanderson, Tad Williams, und Jordan noch Abercrombie hinzu, und Tolkien natürlich auch, aber eigentlich gehört der durch sein viel tieferes mythologisches und sprachwissenschaftliches Verständnis nicht ganz in die Reihe derer, die doch vor allem in seiner Nachfolge schreiben), kann ich durchaus verstehen, warum Fans des Genres auf diese Reihe anfangs so abgingen. Martin ist atmosphärisch deutlich besser als Sanderson und etwas besser als Abercrombie und Williams. Seine Figuren sind deutlich glaubhafter als die von Sanderson, Williams und ganz besonders Jordan, und seine dreckigere, glaubhafter pseudomittelalterliche Welt war damals noch neu. Besonders, als dann „Game of Thrones“ auf HBO anlief, wurde „A Song of Ice and Fire“ allerdings nicht mit anderen Fantasyautoren verglichen, sondern ganz gerne mal behauptet, hier habe einer das Genre auf die Höhen der großen modernen Literatur gehoben, Virginia Woolf, Dostojewski, Thomas Mann, was auch immer, und die Serie habe gleichzeitig neue Maßstäbe im filmischen Erzählen gesetzt. Beide Behauptungen sind so lächerlich, dass ich hier nicht noch einmal viele Worte darauf verschwenden möchte. So plastisch Martins Figuren werden, psychologisch sind sie eher seicht. Seine Themen (ewiger Kampf ist scheiße und lenkt vom Wichtigen ab, jeder kann sterben, irgendwo gibt es Magie in der Welt, aber „echte Ritter“ gibt es nicht) sind einfach und bleiben einfach.

Man nehme nur dieses Beispiel, wo sich Martin nicht zu schade ist, den brutalen und verschlagenen Hund zum Autoren-Sprechrohr zu machen, um zum ich weiß nicht wievielten Male die unglaublich wichtige Botschaft zu verkünden, dass es diese richtigen Ritter aus dem romantischen Ritterideal nicht gibt, sondern Ritter vor allem Mordmaschinen sind:

„Just as if I was one of those true knights you love so well, yes. What do you think a knight is for, girl? You think it’s all taking favors from ladies and looking fine in gold plate? Knights are for killing.“ He laid the edge of his longsword against her neck, just under her ear. Sansa could feel the sharpness of the steel. „I killed my first man at twelve. I’ve lost count of how many I’ve killed since then. High lords with old names, fat rich men dressed in velvet, knights puffed up like bladders with their honors, yes, and women and children too-they’re all meat, and I’m the butcher. Let them have their lands and their gods and their gold. Let them have their sers.“

Ja, wir haben es verstanden. Du sagtest es davor, und du sagst es danach ja noch oft genug. Echt, die Wortkombination „True Knight“ kann ich schon genauso wenig mehr hören wie „Almost a Man grown.“ Und das weniger, weil ich etwas gegen das romantische Ritterideal habe, von dem längst der letzte Depp weiß, dass es eben ein romantisches Ideal ist (das aber viele schöne Geschichten befruchtet hat), als weil die Phrase und ihre platte Botschaft zusätzlich zu der Geschichte, die ja das gleiche zeigt, so oft wiederholt wird, dass es einfach weh tut. Und das ist natürlich keine Ausnahme. Martin verbreitet nicht nur einfache Botschaften, die trotz der vorgeblichen Grautöne der Erzählung relativ schwarz-weiß sind, er lässt sie seine Figuren auch immer mal wieder ein wenig lehrerhaft aussprechen, statt sie rein durch die Erzählung zu vermitteln.

Nie werden zwischenmenschliche Beziehungen, Krieg, Leben, Tod, ja, wird selbst das spannungsreiche Verhältnis zum Magischen, zum Wunderbaren, auch nur ansatzweise in der Komplexität ausgelotet, wie es etwa in Thomas Manns „Der Zauberberg“ geschieht, in Arundathi Roys „Der Gott der kleinen Dinge„, in Carpentiers „Explosion in der Kathedrale“ oder Tony Morrisons „Jazz„. Vor allem sind Martins Romane natürlich formal Romane des 19. Jahrhunderts; die gesamte literarische Moderne ist an ihnen vorbeigegangen. Und wenn es nicht gerade High Fantasy sein muss, haben Autorinnen wie Ursula K. Le Guin, Esther Rochon, Joy Chant, Angelika Gorodischer oder Hope Mirlees das Unterfangen, tatsächlich Fantasy ästhetisch auf der Höhe der Zeit vorzulegen, teils viele Jahrzehnte vorher in Angriff genommen. Und vielleicht, je nachdem, wie man die Romane einordnen möchte, Le Guin mit der „Erdsee“-Reihe sogar für die High Fantasy.

Innerhalb des Genres aber ist „A Clash of Kings“, wie gesagt, durchaus gehobene, sogar ziemlich gehobene Kost. Die Intrigen bleiben spannend, von den Reisen der Stark-Kinder versprechen vor allem die von Arya und Bran noch interessant zu werden. Und auch der anschwellende Krieg gibt bisher vor allem Raum für interessante persönliche Konflikte statt für langweilige ausschweifende Schlachtenszenen.

Und wenn wir von Schlachtenszenen sprechen – Positiv hervorzuheben ist in jedem Fall die Schlacht um King’s Landing. Das ist eine sehr lange Schlachtenschilderung, was in den meisten Romanen zur Katastrophe gerät, aber Martin erzählt diese Schlacht aus mehreren Perspektiven und stellt nicht in den Mittelpunkt, wer wem was wohin sticht oder schlägt, sondern nutzt die Gelegenheit, um wichtige Figuren wie Tyrion und Sansa in existenziellen Situationen zu schildern, im Umgang mit denen diese Figuren deutlich und überzeugend weiterentwickelt werden. Gleichzeitig wird die Schlacht gut und abwechslungsreich vor Augen gestellt, indem wir uns sowohl an verschiedenen Stellen auf dem Schlachtfeld befinden, als auch größere Zusammenhänge immer wieder per Mauerschau (ich benutze den Begriff weit, also als Berichte, sei es direkt, gewissermaßen live, oder später weitergegeben) vermittelt bekommen. Das ist auch rhythmisch gut gelöst, so dass die lange Schlacht dennoch nie lang wird und wir einfach das Gemetzel von Anfang bis Ende erzählt bekommen. Wahrscheinlich eine der besseren Schlachten aus literarischer Sicht, mindestens in der High Fantasy, vielleicht aber überhaupt.

Freilich werden mit dem zweiten Roman auch die Schwierigkeiten, die die Reihe bekommen wird, noch deutlicher, als sie es bereits im ersten waren.

Da ist in erster Linie die Vernachlässigung der Fantasy-Plots, wie Matt Hilliard die beiden Linien „Jon Snow & der Wall“ und „Daenerys & die Drachen“ nennt, zugunsten der Thronkämpfe in Westeros. Die Wall wird immerhin nur durch die erste Hälfte des Romans hindurch fast komplett vergessen, doch danach beginnt Martin teils über Jon, teils über Bran, teils über Tyrion, der von seinen Erlebnissen spricht, ein wenig Spannung in Richtung Rückkehr der Whitewalkers aufzubauen. Nicht ideal, aber immerhin, es geschieht. Daenerys dagegen ist über so weite Strecken abwesend, dass man fast vergessen könnte, dass es die Figur überhaupt gibt. Einerseits verständlich, Drogo und der Bruder sind tot, und damit die spannendsten Konflikte aus dem ersten Band vorerst aufgelöst. Die Drachen dagegen sind noch klein, man kann mit ihnen nicht viel anfangen. Und es ist definitiv keine gute Idee, über eine Figur zu erzählen, nur um irgendetwas zu erzählen, damit sie nicht vergessen wird. Auf der anderen Seite wurden eben diese beiden Handlungen, Wall und Drachen, im ersten Roman als das eigentlich Zentrale aufgebaut, was dann mit der Daenerys-Feuerklimax noch einmal bestätigt wurde. Da muss ich irgendeinen Weg finden. Zumindest an einigen neuralgischen Punkten muss ich etwas Interessantes zu erzählen haben, und ansonsten vielleicht Daenerys durch Gerüchte in Westeros häufiger einmal einstreuen. Es ist eben auch nicht einfach persönliche Vorliebe, ob einem die Fantasy-Plots oder der Thronkampf wichtiger sind. Martin hat seinen Text in einer bestimmten Weise aufgebaut und damit bestimmte Wichtigkeiten abgesteckt. Der grobe Rahmen ist ganz klassische Fantasy: Ein altes Übel erwacht, aber die machtgeilen Vollidioten sind zu beschäftigt mit sich selbst. Und klar, ich kann mich dann in einer Weise auf die Machtgeilen Vollidioten fokussieren, wie das in der Fantasy vorher vielleicht noch nicht geschehen ist, aber eine gewisse Balance zum Rest muss ich finden, sonst wirkt das Ganze irgendwann unrund. Und auch wenn man es durch den zweiten Band allein noch nicht allzu deutlich spüren würde, die späteren Bände, in denen die Thronkämpfe weitergehen, während am Wall wenig passiert und auch der Daenerys-Plot im Vergleich immer etwas leblos wirkt, zeigen, dass hier etwas nicht stimmt.

Auch dieser Ninja Quatsch rund um Arya schlägt hier bereits erste Wurzeln. Das ist noch nicht wirklich schlimm , obwohl ich nicht nachvollziehen kann, wie sich den ja angeblich erwachsenen Lesern dieser Bücher nicht alles zusammenzieht, wenn Sie diese pseudomysteriösen Phrasen mit „ein Mann macht bla bla bla“ oder „ein Mädchen macht bla bla bla“ hören. Prinzipiell ist Arya eine der cooleren Figuren der Reihe, und ich habe absolut nichts dagegen, dass sie kämpfen lernt, wie es ja bereits in den ersten Streits zwischen den Kindern auf Winterfell angelegt war. Aber diese ganzen Gesichtslosen Männer, die nun mal nichts anderes sind als Ninjas, und damit meine ich nicht die reale japanischen Ninja-Tradition sondern das, was aus Ninjas in Videospielen, Comics und ähnlichen Medien wurde, passt so unglaublich schlecht in die plausible pseudomittelalterliche Welt, die Martin zeichnen möchte.

Dennoch, gerade im Vergleich mit dem, was ich bei Sanderson ertragen musste, ziehe ich diese unfertige Reihe voller Atmosphäre und interessante Ideen, bei der die Gründe fürs Nicht-Fertig-Werden rückblickend relativ früh zu Tage liegen, einem fertigen Text vor, der über zigtausende Seiten zwar irgendwie folgerichtig einen Plot entwickelt, aber darüber vergisst, das auch interessant zu gestalten. Zumal ich, wenn Martin es nicht tatsächlich testamentarisch verbietet, überzeugt bin, dass „A Song of Ice and Fire“ am Ende leicht von jemand anderem fertiggestellt werden kann. Man besinnt sich dann eben einfach wieder auf den Originalentwurf, der mittlerweile vorliegt, und bringt all die störenden Figuren, deren Plots Martin so verwickelt hat, dass er sie nicht für sich befriedigend entwirren kann (und nur für sich, objektiv gibt es keine unlösbaren Probleme), um die Ecke oder ignoriert sie. Gerade das um die Ecke bringen gilt in dieser Reihe den Fans ja sogar noch als Feature.

Bild: Wiki, gemeinfrei

2 Kommentare zu „Starke Atmosphäre, starker Schluss, erste Auflösungserscheinungen. „A Song of Ice and Fire“2

  1. Also ich habe das Buch (1. Teil) des Ersten Bandes (also Die Herren von Winterfell) gelesen und bin schon etwas enttäuscht von der Unterkomplexität. Deine Rezension trifft da sehr gut, wenn du schreibst, dass die gesamte Moderne daran vorbeigegangen ist – die Figuren erleben die Welt ja gar nicht. Sie sprechen mit sich und anderen, und teilweise habe ich das Gefühl von einer Oper, der die Musik fehlt. Dennoch habe ich den Band zu 50% mit Unterbrechungen also ohne Langeweile lesen können. Doch irgendwie weiß ich nicht, ob ich die Luft habe, noch acht weitere (acht?) Bücher dieser Art zu lesen, von Figuren, die wie Schachbrettfiguren umhergeschoben werden.

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