Ironischen Brechungen als kulturelle Übersetzungsarbeit – „Jane the Virgin“ ist eine der besten Shows der letzten Jahre.

„Jane the Virgin“ hat sich zu meiner Überraschung zu einer der besseren Shows entwickelt, die ich in der letzten Zeit gesehen habe. Zu meiner Überraschung vor allem, weil die erste Staffel doch noch etwas langsam startet und weil die grotesk übertriebenen Telenovela-Plots nicht unbedingt das sein sollten, was mich zu einer Serie zieht. „Jane the Virgin“ ist gewissermaßen eine selbstbewusste Telenovela, also diese Form der Serie, die besonders in den Mittel- und südamerikanischen Ländern eine große Gefolgschaft hat. Alle Verrücktheiten sind da, von der Prämisse (Jane hat ihrer Oma Jungfräulichkeit geschworen und wird dann von einer betrunkenen Ärztin aus Versehen künstlich befruchtet und findet sich bald in einer Love-Triangle mit dem Vater des Kindes und ihrem Verlobten) über lange verlorene Zwillinge bis hin zu Amnesie bei einer Hauptfigur. Allerdings wird das immer wieder ironisch gebrochen und in gewisser Weise auch für das amerikanische Publikum erklärt. Man könnte sagen, „Jane the Virgin“ ist die Art von Show, die Janes Vater, selbst ein großer Telenovela-Star, machen möchte, als er versucht, Telenovelas in die Vereinigten Staaten zu bringen. Denn „Jane the Virgin“ ist auch keine Telenovela-Parodie, sondern durchaus voller Respekt für das Format. In gewisser Weise könnte man die ironischen Brechungen (abgesehen davon, dass sie einfach saukomisch sind), vielleicht durchaus auch als kulturelle Übersetzungsarbeit ansehen.

„Jane the Virgin“ hat zwei Stärken, die anderen Shows meist abgehen.
– Die Serie ist fähig, konservative Figuren zu zeichnen und ihnen einige Raum zu widmen, ohne dabei herablassend zu werden oder konservativer als eigentlich liberale mit einigen Quirks darzustellen. Der größtenteils hispanic-amerikanische Cast ist nicht in allem, aber doch in einigen Fragen des Lebens deutlich konservativer als der amerikanische Durchschnitt und insbesondere das Amerika der großen Küstenstädte. Jane glaubt an große Liebe, Ehe und Familie, und wenn sie in ihrem Glauben einmal unsicher wird, ist da die Großmutter, die die Tradition aufrechterhält. Die Mutter dagegen ist ein Libertin, aber doch auch teilweise voll Reue für Entscheidungen, die sie in ihrer Jugend getroffen hat. Auch der Verlobte Michael, Polizist, ist eher traditionell gegenüber Familiendingen eingestellt. Gerade Jane öffnet sich mit der Zeit progressiveren Vorstellungen, und entsprechend liegen Großmutter, Mutter und Tochter öfter über Kreuz. Das aber wird als Konflikt zwischen Figuren entwickelt und nicht billig als „teaching Moment“ genutzt, um uns zu zeigen, wie falsch eine Seite doch liegt.

– Die Serie ist sehr gut darin, progressive Handlungen und Ideen zu entwickeln, ohne dabei predigend zu werden. So geht etwa eine Hauptfigur nach einigen Staffeln eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft ein, was man zuvor von ihr sicher nicht erwartet hätte, und das wird vor allem als Liebesgeschichte erzählt. Oder: In dem zuvor entwickelten Konfliktfeld (siehe oben) wird eine Abtreibung durchgeführt und das wird ebenfalls vor allem als Konflikt entwickelt. In beiden (und vielen anderen Fällen) steht zwar sicherlich am Ende beim aufmerksamen Zuschauer eher die Realisation „das ist auch absolut okay so“, aber dem Konflikt wird als Konflikt unterschiedlicher Weltanschauungen Raum gegeben, die Figuren bleiben glaubhaft in ihren Rollen und man hat nie das Gefühl, dass die Serie sich gerade zum Zweck des Belehrens an die Zuschauerschaft wendet. Zwar sorgte gerade die Sache mit der Abtreibung, die viel zu locker genommen werde, bei konservativen Fans von „Jane the Virgin“ wohl für Aufruhr, aber das haben die sich selbst zuzuschreiben. Die Behauptung, das Thema werde leicht genommen, ist in jedem Fall grober Unfug (ich hab natürlich mal recherchiert, weil mich interessierte, ob auch dieser Show bereits vorgeworfen wird, sie sei „woke“). Tatsächlich wird ganze zwei Folgen eigentlich nur darum gestritten. Es braucht schon eine ziemlich ideologische Verbotheit, um sich hier aufzuregen, nur weil einem dann schlussendlich das Ergebnis nicht passt.

Das Entscheidende: „Jane the Virgin“ funktioniert als Show. Vielleicht gerade, weil die Plots dem Genre geschuldet so hanebüchen sind, kann die Serie die Welt, aus der sie schöpft, relativ unvoreingenommen behandeln. Und funktioniert an den Stellen, an denen sie bestimmte Ideen und Werte vermitteln möchte (und die sind letztendlich dann doch eher progressiv, weltoffen), umso besser. Weil auch das eben aus der Geschichte heraus geschieht, aus folgerichtigen Entwicklungen der Figuren (und ich weiß, es klingt bekloppt, bei einer Serie rund um künstliche Befruchtung, wieder auferstandene Tote und Doppelgänger sowie internationale Crime-Lords von Folgerichtigkeit zu sprechen, aber im Rahmen des Genres trifft genau das zu). Hinzu kommt, dass „Jane the Virgin“ mit etwas konsequent ist, auf das sich die moderne Serienlandschaft ja sowieso hin bewegt. Die gefeiertsten Serien, ich hatte schon öfter darauf hingewiesen, sind eigentlich keine Serien mehr, sie sind Endlosfilme, denen für einzelne Folgen, teils für ganze Staffeln, die Struktur abgeht, endlose Beschäftigung mit der Frage: Wer geht mit wem ins Bett? Wer bringt mit wen um? Das geht soweit, dass sich viele neuere Streaming-Serien für einzelne Folgen nicht mal mehr die Mühe machen, Cliffhanger zu setzen, so dass man das Gefühl hat, selbst die Folgeneinteilung sei komplett willkürlich geschehen. Ich habe „Game of Thrones“ entsprechend schon einmal als Seifenoper bezeichnet, und das ist nun eben genau die Stärke von „Jane the Virgin“. Die Show ist eine solche Seifenoper, was natürlich eine schlechte Übersetzung von Telenovela darstellt. Aber eine sich dieser Tatsache bewusste, die entsprechende Konventionen des Genres mit aller Kraft nutzen kann und als Trumpf dann noch die ironische Brechung in der Hinterhand hat. Überraschende Wendungen, Cliffhanger und so weiter und so fort, „Jane the Virgin“ tut wirklich alles, um die Zuschauer bei der Stange zu halten und besitzt so eine Form, die wieder durch Folgen und Staffeln trägt, auch wenn es nicht die der pre-Endlosfilm US-amerikanischen Serien ist. Wie gesagt, die erste Staffel startet etwas langsam, aber danach bestehen gute Chancen, dass man die ganze Serie bingen will.

PS: Rogelio ist eine der großartigsten Figuren, die mir in jüngerer Vergangenheit untergekommen ist. Ein alternder Soapstar, Schönling, unglaublich selbstbezüglich, und zugleich mit dem größten Herzen, vollkommen ohne Bösartigkeit. Der perfekte Comic-Relief-Charakter, der dann aber auch überraschend viel Tiefgang zeigen kann. Der Typ hat ernsthaft einen Themesong, den er manchmal vor sich hin singt oder pfeift („It’s another beautiful day to be Rogelio“, komponiert von seiner Mutter) und sagt regelmäßig Dinge wie „Don’t worry. I believe in you almost as much as I believe in myself“ und trotzdem kann man ihm einfach nicht böse sein.

Bild: Pixabay.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..