Blog-Lesende interessieren sich noch für Böll. Bilanz zur Reihe.

Die mit „Gruppenbild mit Dame“ abgeschlossene Reihe zu den Hauptwerken von Heinrich Böll startete einerseits mit der Frage, ob Böll eigentlich überhaupt noch gelesen wird, und andererseits mit einer Diskussion zum leidigen Thema der „Relevanz“.

Während der Autor in der Onleihe praktisch nicht vorhanden ist und auch in der örtlichen Bücherei nur noch wenige Bücher stehen, was angesichts eines der „großen Drei“ der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur doch überrascht, fällt im Blog auf, dass die Artikel noch immer überdurchschnittliches Interesse erregen. Die Böll-Texte waren mit Blick auf die Klicks, teilweise auch mit Blick auf die Likes, in den letzten Monaten eigentlich stets unter den meistgeklickten. Allerdings ist das natürlich bezüglich des heutigen Interesses am Autor nur bedingt aussagekräftig, da ich befürchte, die meisten Bloggenden und Blogs lesende Menschen sind heute auch schon in einem Alter, in dem man Böll noch in der Schule lesen musste oder an der Uni kennengelernt hat.

Hat man literarisch etwas verpasst, wenn man Böll nicht liest? Nein, eher nicht. Gerade die zweite Werkhälfte ist regelmäßig unlesbar trocken, geprägt von einem pseudo-dokumentarischen Stil, über dessen Gründe ich mich im Artikel zu „Gruppenbild“ schon länger ausgelassen habe. Die erste Werkhälfte dagegen enthält durchaus einige interessante Texte mit sprachlich starken Momenten, mit überzeugenden naturalistischen Passagen zum Überlebenskampf zwischen Ruinen in den ersten Nachkriegsjahren. Besonders „Wo warst du, Adam?“ ist als Nachkriegsroman auch kompositorisch einzigartig und scheitert eigentlich vor allem am schrecklich kitschigen Ende. Auch Marcel Reich-Ranicki wies in seiner „Gruppenbild“-Rezension darauf hin, dass Böll für einen sogenannten „ernsten“ Schriftsteller oft gefährlich nah am Kitsch baut. Reich-Ranicki findet das schlimmer als ich, da von mir aus die unlesbaren späteren Romane so kitschig sein können, wie sie wollen – ich werde sie nie wieder anfassen.
Noch relativ gut lesbar war „Ansichten eines Clowns“, dem allerdings schon die Momente sprachlicher Schönheit des Frühwerks fehlen.

Auffällig sicher noch, dass Böll anders als etwa Grass oder Lenz in seinen Werken nicht krampfhaft den Holocaust verdrängt, auch wenn dieser, wenn er vorkommt, eher eine Nebenrolle spielt. In jedem Fall scheint das Herauslassen hier eher eine bewusste literarische Entscheidung zu sein, denn Böll hat außerhalb der Literatur sehr früh gegen genau diese Verdrängung angeschrieben. In meiner Rezension zu „Der Engel schwieg“ habe ich spekuliert, dass die düsteren Andeutungen, die auf irgendetwas verweisen, wegen dessen die Figuren sich immer mal wieder wünschen, den Krieg nicht überlebt zu haben, genau diese Schuld vergegenwärtigen sollen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie gelungen das ist, denn das lässt sich natürlich leicht umbiegen in eine Klage darüber, wie schrecklich der Krieg den Deutschen mitgespielt habe.

Nachdem sich die erste Werkhälfte lesbarer gestaltet hat, als ich befürchtet hatte, und die zweite unlesbarer, als ich es erwartet hatte, habe ich dennoch der Relevanz-Debatte nichts Neues hinzuzufügen. Denn in solchen Debatten geht es niemals um Relevanz in einem ästhetischen Sinne, also: Muss man das Lesen, wenn man durch besonders gelungene Kunstwerke seinen Geist bereichern möchte? Sondern es geht immer um sogenannte gesellschaftliche oder politische Relevanz. Auch heute noch werden Bücher empfohlen und mit Preisen überschüttet für eben diese Relevanz. Diese Bücher sind manchmal auch literarisch stark, aber das ist offenkundig keine Bedingung. Und vor diesem Gericht kann man Böll die Relevanz einfach nicht absprechen. Er war der Autor, der in den späten 40ern und 50ern mit dem Ohr wohl am nächsten am alltäglichen Leben war, und in den Jahrzehnten darauf hat er sich, wenn auch nicht so penetrant wie Grass, in politische Debatten gemischt. Eigentlich natürlich kein Grund, Romane zu schreiben oder gar zu lesen, aber hey, ich habe die Regeln nicht gemacht. Wer sich mit Literatur aus historisch-politischen Gründen beschäftigen möchte, kommt an Böll nicht vorbei. Alle anderen können sich vielleicht mal die relativ kurzen und ordentlich geschriebenen frühen Romane zur Gemüte führen und den Rest links liegen lassen.

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