„Regen“ von M. Somerset Maugham.

„Regen“ von M. Somerset Maugham ist der dritte Band meiner aufgrund der Vorrätigkeit in der Bibliothek dann auch genau auf diese drei Bände beschränkten Reihe zum Autor. Die darin versammelten Texte sind wieder ein gutes Stück stärker als das komplett aus dem Leim gegangene „Der Menschen Hörigkeit„, bleiben aber meist noch deutlich hinter „Der Magier“ zurück, das den Ausschlag gab, mehr vom Autor lesen zu wollen.

Eigentlich am interessantesten an der Sammlung ist das Vorwort bzw. der Umriss einer Erzählung, „Der verkaufte Brief“, statt eines Vorworts. Darin kauft eine Person einer anderen, die regelmäßig Briefe bekommt, einen Brief ab, weil sie selbst nie Briefe bekommt. Nach dem Verkauf möchte die andere Person aber dann doch wissen, was in dem Brief steht, doch der Käufer sperrt sich dagegen. Was in seinen eigenen Briefen stehe, habe er nicht zu verraten. Der Autor schließt den kurzen Text nun:

„Das ist alles. Wenn ich einer der modernen Erzähler wäre, würde ich diese Geschichte vermutlich so aufschrei- ben, wie sie ist, und es dabei bewenden lassen. Aber mir widerstrebt ein solches Vorgehen. Ich lege Wert auf Form, und meines Erachtens ist eine Form nur zu erreichen, wenn man der Geschichte einen Abschluß geben kann, der keine berechtigten Fragen mehr offenläßt. Selbst wenn man es über sich bringen könnte, den Leser in der Luft hängen zu lassen, möchte man doch wenigstens als Erzählender nicht mit ihm zusammen in der Luft hängen.“

Das ist natürlich grober Unfug. Ein literarischer Text ist nicht deshalb formvollendet oder abgeschlossen, weil alle Fragen in ihm beantwortet sind und er mit einer Pointe endet, sondern weil seine Teile ästhetisch ineinandergreifen, weil Sprache, inhaltlich Vermitteltes und Komposition ein Ganzes ergeben. Nur so ist zu erklären, warum sogar ein Nonsensgedicht wie „The Jabberwocky“ von Lewis Carroll funktionieren kann.

Maughan selbst hält sich freilich auch nur leidlich an sein Diktum. In der Titelerzählung „Regen“ treffen ein Arzt mit Ehefrau und ein Missionar mit Ehefrau auf den Inseln von Hawaii zusammen und werden durch lang anhaltende Regenfälle aufgehalten. Der Missionar und besonders dessen Frau schwärmen davon, wie sie in ihrer Mission die Eingeborenen unter Kontrolle gebracht haben. Und da der Aufenthalt lang wird, entdeckt der Missionar, dass eine Prostituierte bei ihnen im Hotel wohnt. Und richtet seinen Eifer nun auf die Bekehrung dieser Frau, was der Zerstörung von deren Leben gleichkommt, da sie als Prostituierte in San Francisco polizeilich gesucht wird und nun vom Gouverneur zurück gezwungen wird. Kurz bevor es zu der erzwungenen Abreise kommen soll, wird der Missionar tot aufgefunden, angeblich Selbstmord. Der Text endet folgendermaßen:

„>He, Doc, Sie wissen doch, wer ich bin. Was wollen Sie in meinem Zimmer?<«<
Was meinen Sie?<< rief er. »Was meinen Sie?<«<
Sie straffte sich. Unbeschreiblich waren der Hohn ihres Gesichtsausdrucks und der verächtliche Haß, den sie in ihre Antwort legte.
Ihr Männer! Ihr gemeinen, dreckigen Schweine! Alle seid ihr gleich, alle, alle! Schweine, nichts als Schweine!<<
Dr. Macphail schnappte nach Luft. Er hatte verstanden.“

Wenn ich richtig verstehe, was Maugham mit diesem Ende insinuieren will, ist der Missionar zum Schluss als Kunde zu der Prostituierten gegangen oder hat sich bei einem letzten Gespräch verführen lassen und deshalb selbst getötet. Das allerdings scheint mir ziemlich abseits des Charakters, den der Missionar bisher zeigte, und vor allem für die Pointe gemacht. Ich würde daher nicht sagen, dass es sich um die zwingende Lösung handelt. Aus dem vorher Erzählten naheliegender hervorgehen würde, dass die Prostituierte den Mann getötet hat und dann den Selbstmord inszeniert. Hier sind also definitiv nicht alle Fragen beantwortet, und gerade deshalb funktioniert das Ende. Und natürlich gäbe es auch ansonsten keinen Grund, hier mit der Erzählung aufzuhören. Wir wissen ja überhaupt nicht, wie es mit den Figuren weitergeht. Klar ist das Ende, wenn man im Rahmen des literarischen vernünftige Maßstäbe anlegt, eher geschlossen. Aber eben doch so offen, dass Maugham die Arroganz gegen moderne Erzähler nicht gut ansteht.

Fast alle Geschichten sind übrigens solche Kolonialgeschichten, in denen vor allem weiße Protagonisten vor dem Hintergrund kolonialer Verwaltungen und Spannungen zwischen Kolonisten und Kolonisierten agieren. Zweitere treten dabei kaum als Subjekte auf, obwohl die Texte die Kolonisten oft in schlechtem Licht darstellen. Literarisch fällt dem Autor sein Bestreben, Texte stets mit einem Twist enden zu lassen, noch öfter auf die Füße. In „Red“ etwa ist der Twist, dass der alte Seemann, dem ein Kneipenbesitzer von einer lang zurückliegenden Liebesgeschichte erzählt, einer der jungen Liebenden war, schrecklich voraussehbar. In „Der Brief“ dagegen sind die Verwicklungen rund um einen Mord so verwickelt, die Geschichte wendet sich so häufig, dass es auch etwas abgeschmackt wirkt. Dabei sind die Texte durchaus spannend, unterhaltsam und auch sprachlich ordentlich erzählt, wenn auch ohne bildliche Höhepunkte, wie man sie noch in „Der Magier“ fand. Lustigerweise hätte „Der verkaufte Brief“ wahrscheinlich der beste Text des Bandes sein können, wenn Maugham ihn als Erzählung mit offenem Ende ausgeführt hätte.

Wer etwas vom Autor lesen möchte, halte sich am besten an „Der Magier“. Das ist zwar vielleicht der am schwersten verdauliche, aber auch der wahrscheinlich beste Roman des Autors. Denn bereits im Vorwort erklärt Maugham ja, dass er so nie wieder schreiben wolle. Man darf also erwarten, dass späteres insgesamt eher den Verfahrensweisen von „Regen“ und „Der Menschen Hörigkeit“ entspricht. „Der Menschen Hörigkeit“ kann man sich mal mit an den Strand nehmen, es ist ein leicht lesbarer Wälzer mit vielen Schwächen. Die Erzählungen kann ich nicht wirklich empfehlen, obwohl sie nicht unbedingt langweilt. Aber es gibt einfach so viele bessere Kurztexte von so vielen besseren Autorinnen und Autoren.

Bild: Pixabay.

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