Die unbekannte Murakami-Verfilmung. „After Dark“ aus Indien.

Wusstet ihr, dass es eine Verfilmung von Haruki Murakamis „After Dark“ gibt? Ich bisher auch nicht. Habe es zufällig beim googlen entdeckt.

Anscheinend haben indische Studierende aus dem Roman einen 48minütigen Kurzfilm destilliert. Einerseits naheliegend: „After Dark“ ist geschrieben wie ein Drehbuch. Ja, man könnte fast sagen es handelt sich um ein Drehbuch, das einfach noch nicht verfilmt wurde, zB:

„We are inside a Denny’s. Unremarkable but adequate lighting; expressionless decor and tableware; floor plan designed to the last detail by management engineers; innocuous background music at low volume; staff meticulously trained to deal with customers by the book: „Welcome to Denny’s.“
Everything about the restaurant is anonymous and interchangeable. And almost every seat is filled.
After a quick survey of the interior, our eyes come to rest on a girl sitting by the front window.“

Andererseits: Im Zentrum des Romans stehen die ausgiebigen Dialoge zwischen Mari und Takahashi (im Film Rhadika und Hrishi) über ihr Leben, über ihre Ideen und was sie von der japanischen Gesellschaft denken. So stark und filmisch der Roman ist, ein zweistündiger Film nach dem Muster könnte langweilen.

Das Uni-Projekt hat eine gelungene Lösung gefunden. Der Film fokussiert sich hauptsächlich auf die Geschichte der im Roman chinesischen, jetzt indischen Prostituierten, die im Stundenhotel verprügelt wurde, darauf, wie Rhadika/Mari beim Übersetzen hilft und das Engagement der Besitzerin, den Typen zu fangen, der das getan hat. Einige der Nebengeschichten werden angerissen, so dass man im Film wie im Roman das Gefühl hat, einen Ausschnitt einer riesigen Welt zu betrachten und natürlich werden alle Rollen in eine indische Großstadt transponiert. Die Prostituierte, für die Rhadika übersetzt, spricht also beispielsweise Marathi, nicht chinesisch.

Ich bin nicht hundertprozentig sicher, ob Menschen, die den Roman nicht gelesen haben, genügend Informationen bekommen, um dem Film gänzlich zu folgen, ich denke aber schon. Eine der größten Änderungen betrifft Takahashi/Hrishi, der von einer Hauptfigur zu einer Nebenfigur degradiert wurde. Wirklich auf tritt er nur in einer längeren Szene auf einem nächtlichen Spaziergang. Woher sich Rhadika und Hrishi kennen, bleibt unklar. Im Roman haben sie sich in dieser Nacht erst kennengelernt, aber für ihr Gespräch im Film ist das nicht so wichtig. Das Gespräch hängt auch nicht in der Luft, Hrishi ist zuvor schon mehrfach als Figur, über die gesprochen wird, anwesend.

Der Film verbessert narrativ das Buch an einigen Stellen. So fand ich es niemals plausibel, dass der passionierte Musiker Takahashi, der überhaupt nur des Nachts unterwegs ist, weil seine Band bis zum frühen Morgen probt, demnächst die Musik ganz an den Nagel hängen will, um ernsthaft Jura zu studieren. Das ist der Inhalt des zentralen Gesprächs zwischen Rhadika/Mari und Hrishi/Takahashi, und das wird im Film dadurch, dass es in einem Park verlagert wird, fast noch intensiver. Als Hrishi davon spricht, wie ihn Beobachtungen am Gericht darauf gebracht haben, dass die Grenze zwischen einem wie ihm und einem Menschen, der mit dem Gesetz in Konflikt kommt, sehr durchlässig ist, steht im Hintergrund eine bedrohliche Dinosaurier- oder Godzilla-Figur, aus einem Baum herausgeschnitten. Und als er seinen Entschluss kund tut, nun ernsthaft zu studieren, verharrt die Kamera lang auf einer Schleiereule, die dann in die Nacht entfliegt. Davon, dass er nie wieder mit der Band Proben wird, weil sich das mit Jura nicht verträgt, kein Wort mehr. Richtig so: Die Band ist keine professionelle Band, Takahashi/Hrishi liebt Musik und es macht einfach keinen Sinn, nur wegen des Studiums gar nicht mehr zu musizieren. Stattdessen muss die Band nun den Proberaum bald aufgeben, weil die Gentrifizierung Leerstand nicht zulässt.

Ebenfalls ein bisschen dichter verwebte wurde der Plot um den gewalttätigen Freier. Nachdem die Besitzerin des Stundenhotels den auf einer der Kameraaufnahmen identifiziert hat und das Foto an ein Mitglied der Gang weitergegeben hat, die die Prostituierte beschäftigt, kreuzen sich die Wege des Gangsters und des Freiers ein paar Mal beinahe, ohne dass die beiden das bemerken. Das baut in der zweiten Hälfte des Films etwas klassische Spannung auf, was nicht die Stärke des Romans ist.

Wenn ich nichts übersehen habe, funktioniert dagegen die Stelle, an der Hrishi auf dem Telefon des Freiers angerufen wird und verwirrt ist ob der Drohungen, die ausgestoßen werden, nicht. Anders als im Roman wird einfach nicht klar, wo Hrishi das Telefon gefunden haben könnte. Ich will nicht ausschließen, dass ich etwas übersehen habe, aber eigentlich gab es im Film keine Stelle, an der Freier und Hrishi am gleichen Ort sind. Keine Sorge, ich werde den Film nochmal schauen. Er ist so gut.

Vor allem beeindruckt der Kurzfilm aber durch die Atmosphäre. Es werden wenige Schauplätze genutzt, Musik spärlich eingesetzt. Sonst vor allem Umgebungsgeräusche. Die meisten Szenen sind mit jeweils feststehender Kamera gefilmt, geschnitten wird besonders im Vergleich zu modernen Hollywood-Filmen sehr selten. So hat jede Perspektive Bedeutung, wie einem in einem gut durchdachten Animationsfilm. Und wenn sich dann doch einmal etwas bewegt, etwa bei der Motorradfahrt oder der Taxifahrt durch die Stadt, hat das erst recht Bedeutung. Schummriges, leicht gelbliches, Licht sorgt für eine einheitliche Bildsprache und eine einheitliche Farbgebung, wie in einer Art farbigem schwarz-weiß Film. Das meines Erachtens deutlich besser als Technik, jede Szene mit einer Haupt- und einer Nebenfarbe auszustatten. Prinzipiell ist das eine effektive Technik, aber nur, bis der Zuschauende es bewusst wahrnimmt. Achtet einmal drauf. Irgendwann geht es Euch tierisch auf den Nerv, dass Figuren beispielsweise in Breaking Bad immer zufällig Hemden tragen, die die gleiche Farbe haben wie z.B die meerblauen Vorhänge und das Bild vom Ozean im Hintergrund. Oder die gelben Vorhänge und ein Foto von der Wüste. Und so weiter und so fort. In „After Dark“ tragen alle Figuren relativ unauffällige Farben, und das Licht ist gelblich dreckig. Im Freien scheint immer etwas Dunst oder Smog in der Luft zu liegen. Es ist „nur“ ein studentisches Projekt, aber ein wirklich gut gemachter Film. Ich ziehe diesen Film den meisten Hollywoodblockbustern und auch vielen dieser absichtlich auf anstrengend intelligent gemachten Indie-Movies vor. Denn er beherzigt bei allem Fokus auf Atmosphäre, auf kleine Momente, auf Gespräche, doch eins: Das Publikum nicht zu langweilen. Nicht sich auf den Fehlschluss zu verlassen: Das ist anstrengend, also muss es gut sein. Sondern: Ich habe hier etwas Gutes, ich will, dass ihr das schaut. Also gestalte ich es so kurzweilig wie möglich.

Bild: Pixabay.

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