Volker Kutschers Rath-Romane sollten langsam zum Ende finden. „Transatlantik“.

Ich hatte die Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher für Unterhaltungsliteratur mit einem gewissen politischen Anspruch bisher relativ positiv bewertet. Deutlich stärker in jedem Fall als die Serie „Babylon Berlin“, und durchaus ein effektiver Versuch, mit den Mitteln des bürgerlichen Romans in die Barbarei hinein zu erzählen und so diesem Erzählen gewissermaßen immer mehr die Luft abzuschnüren. Gerade weil am Anfang Nostalgie zu überwiegen scheint, „Roaring Twenties“ undsoweiterundsofort, fühlt man sich ernsthaft in den Aufstieg des Nationalsozialismus involviert und nicht wie in vieler anderer deutscher Anti-NS-Literatur eher distanziert belehrt. Der 9. Roman, „Transatlantik“, ist nun entweder ein weiterer Durchhänger, wie die Reihe schon ein oder zwei hatte, oder der Roman, an dem sich zeigt, dass das Konzept ein Ablaufdatum hat. Das ist, weil man nicht unendlich weit vom ursprünglichen Prinzip (Kriminalromane mit politischen Hintergründen) weg kann, ohne dass die Romane sich nicht mehr wie Rath-Romane anfühlen. Das funktionierte gut, während sich die Reihe in die Frühzeit des NS bewegte, aber das große Finale von „Olympia“ hätte eigentlich ein Finale sein müssen. Aber halt auch nicht wirklich eins sein können, da man, wenn man sich erst einmal entschieden hat, vom Nationalsozialismus zu erzählen, schlecht 1936 abbrechen kann.

Das Dilemma spürt man im Fall von „Transatlantik“ allenthalben. Der Roman ist im Vergleich zu den Vorgängern sehr zersplittert. Wir haben einen Prolog um die Witwe Goldstein, die dann später auch noch mal ein oder zwei Episoden bekommt. Da dreht es sich um Drogenhandel in New York. Wir haben Charlie, die sich um das Sorgerecht von Fritz bemüht. Wir haben Fritz, der seine eigenen Ziele verfolgt. Wir haben Rath, der am Anfang in Wiesbaden untergetaucht ist und dann mit dem Luftschiff in die USA flieht. Wir haben Kollegen von Charlie, die teils eigene Handlungsstränge bekommen. Und auch der alte Bekannte Marlow hat ein paar keine Kapitel. Ich sagte es auch schon an anderen Orten: Auch wenn die Einheit von Ort, Handlung und Zeit selbst auf dem Theater kein Dogma sein darf, für alle Fiktion ist es zumindest ein guter Rat, sich grob an diesen Vorschlag zu halten oder eine wirklich starke Art und Weise zu finden, verstreute Handlungen zusammen zu halten. Und gerade die Rath-Romane lebten von dieser Einheit: Ort: Berlin. Zeit: Nicht nur frühe 20er und 30er, sondern auch ein sehr überschaubarer Zeitraum pro Roman. Handlung: Ein Kriminalfall. Dieser Roman spielt nun in Wiesbaden, Berlin, New York und auf dem Land, es gibt, je nachdem, wie man es einordnet, bis zu vier Kriminalfälle, und die Gewichtung der jeweiligen Handlungen ist relativ unausgegoren. Wir sind nun in dem Territorium, in das sich so viele Serien bewegen, dass des reinen „was passiert als nächstes? / wer mit wem? / wer gegen wen?“.

Für diesen einen Roman ist das noch nicht so schlimm, denn wegen dem, was vorher aufgebaut wurde, bleibt man dran. Und handelte es sich um einen Überführungs-Text, der dann vielleicht wirklich endlich in ein großes Finale führte, es würde für die Serie als Ganzes kaum stören. Etwa: Der nächste Roman könnte bis zum großen Knall des Kriegsbeginns erzählen, und die Figuren verlieren sich in ähnlicher Weise ins Nichts wie Hans Castorp im Zauberberg. Dann vielleicht noch ein kurzer Nachkriegs-Epilog oder eine kleine Novelle, oder auch nicht. Den wenn diese Serie, die mittlerweile heftig aus dem Leim zu gehen droht, tatsächlich versucht, in mehreren Bänden in den Holocaust hinein zu erzählen, könnte einer bis hierhin recht gelungenen Reihe durchaus noch eine literarische Katastrophe drohen.

Das Hörbuch wird von David Nathan gewohnt gelungen und ohne Overacting gelesen.

Bild: wiki. gemeinfrei (Lesser Ury).

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