Ein schwebend distanzierter Text über das Beobachten und Nachdenken – “Dagegen die Elefanten!” von Dagmar Leupold.

“Dagegen die Elefanten!” von Dagmar Leupold ist eine gelungene in sich gekehrte Erzählung über einen Mann, der beobachtet, Wörter sammelt und nachdenkt. Das klingt langweilig und könnte langweilig werden, doch der Text ist wirklich gut gearbeitet. „Herr Harald“ arbeitet an der Garderobe eines Opernhauses, und hat viel Zeit zum Nachdenken. Sein Blick auf die Welt ist gleichzeitig seltsam distanziert und detailfixiert:

“Auf dem Rückweg, mit dem Erreichten zufrieden, denkt er über das Wort des Monats nach, ergebnislos. Es ist vielleicht noch zu früh im April, so ein Stichwort stellt sich dann ein, wenn der Weg bereitet ist. Er überquert die Kreuzung des Beinah-Unfalls unbeschadet, ein leichter Wind trägt aus der Ferne frühen Fliederduft heran, zu sehen ist der Fliederbusch nicht. Herrn Haralds Lungen legen sogleich einen Vorrat an. Damit genug Zeit zur Fliederluftanschaffung bleibt, beschließt er einen kleinen Umweg. Entlang des Canaletto, so nennen Mitbürger mit Talent zum Ausschmücken ein unscheinbares Wassersträßchen. Das Schnittgut der Böschung schwimmt in Fladen – oben von der Frühlingssonne schwarz gebacken, unten bereits faulig – einher. Ein paar Meldungen der gerade gelesenen Zeitungen bedenkt er ein zweites Mal, während das Bächlein zu seiner Linken leise gluckert, als würde es in sich hineinlachen.”

Er macht sich Gedanken über die Menschen die er sieht, und erfindet Geschichten für sie, er macht sich Gedanken über Worte und kürt jeden Monat sein persönliches Wort des Monats, und er macht sich Gedanken über seine Gedanken:

„Herr Harald hält inne, nicht zufrieden mit dem Gedachten. Es hat abgelenkt, aber nicht erhellt, also Stopp. Bei diesem Wörtchen begrüßt er die beiden Ps, sie machen die Vollbremsung wirksamer. Es gibt Sätze, die taugen, man kann auf sie bauen und an sie anbauen, ähnlich der allmählichen Besiedlung und Ausweitung von Korallenbänken. Nur solche Sätze will Herr Harald behalten und in seinem Notizbuch festhalten. Die anderen – wie die Überlegungen zu den sogenannten Olympischen Spielen – dürfen verdunsten und ausbleichen, zurückkehren ins Ungedachte.“

Irgendwann verguckt er sich in eine Umblätterin in seinem Lieblings-Konzerthaus (nicht das, in dem er arbeitet), und auch hier erschafft er sich vor allem eine fiktive Person, in die er sich „verliebt“. Dann wird bei ihm ein Mantel zurückgelassen, in dem sich eine Pistole befindet, und er beginnt zu überlegen, ob die Tatsache, dass er, dieser unscheinbaren Mann, den sie gar nicht kennt, eine Pistole besitzt, seine Angebetete womöglich beeindrucken könnte und es ergeben sich ein paar Verwicklungen, doch weiter größtenteils gedanklicher Natur. Unter anderem verkompliziert auch noch eine zugelaufene Katze Denken und Leben.

Schon die Bezeichnung des Protagonisten als „Herr Harald“ zeigt an, dass Leupold uns Lesende in der gleichen seltsame Distanz zum Protagonisten und seinen Erlebnissen hält, in der der Protagonist zur Welt steht, die er beobachtet. „Dagegen die Elefanten“ wird sicher nicht zu einem Buch für die breiten Massen werden, aber der Kniff, die Lesenden zu einem Herrn Harald zweiter Ordnung zu machen, der tatsächlich gezwungen ist, sich das seltsame Empfinden des Protagonisten nicht nur erzählen und voragieren zu lassen, sondern es quasi selbst nachzuempfinden, ist ein starker, und hätte diesen Text durchaus auch als Buchpreis-Shortlist-Kandidaten empfohlen. Besonders angesichts einiger schwächerer Texte, die ihm vorgezogen wurden.

PS: „Dagegen die Elefanten!” kommt als Phrase im Roman einmal vor. Sonst hat der Text nichts mit Elefanten zu tun.

Bild: Pixabay.

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