Gelungene Vermittlung von Angst und Misstrauen. Distanz zu Figuren bleibt groß. „Kangal“ von Anna Yeliz Schentke.

„Kangal“ von Anna Yeliz Schentke könnte der Roman mit den kürzesten Kapiteln sein, den ich je gelesen habe. Nicht nur sind viele Kapitel kaum eine Seite lang, selbst die längsten dürften nicht mehr als zwei, höchstens drei Seiten haben. Erzählt wird der zwischen Istanbul und Frankfurt spielende Text aus der Perspektive von drei Figuren, Dilek, Tekin und Ayla, in kurzen Gedanken und Gesprächen.

Dilek und Tekin waren in Istanbul auf verschiedenen Demonstrationen und äußern sich online regimekritisch. Dilek flieht nach Deutschland, weil sie glaubt, dass auch sie bald verhaftet werden könnte, wie einige ihrer Bekannten. Tekin hält diese Sorge für übertrieben, bzw. glaubt, dass, da jeder aus jedem vorgeschobenen Grund verhaftet werden könnte, wenn man die Welt so sehe, eigentlich alle Oppositionellen die Türkei verlassen müssten. Und was würde dann aus der Opposition?

Dilek wiederum sucht in Deutschland Kontakt zu ihrer Cousine Ayla, deren Mutter nach (politischem?) Streit mit ihrer Mutter den Kontakt abgebrochen hat. Entsprechend vorsichtig ist Dilek. Was kann sie Ayla sagen? Denunziation kennt weder Familie noch Ländergrenzen, wird mehrfach wiederholt.

Die Gefahr für Oppositionelle in der Türkei, auch außerhalb der Türkei, das Klima des ständigen Misstrauens, das ist das Hauptthema von „Kangal“. Das vermittelt der Roman ganz gut, auch wenn er mir zumindest inhaltlich nicht mehr wirklich etwas Neues erzählt hat. Formal ist das Ganze ein zweischneidiges Schwert. Die kurzen Kapitel mit wechselnden Perspektiven transportieren durch die hektische Leseerfahrung Angst und Misstrauen ganz gut. Andererseits ist es abseits einer Passage, in der vor allem Ayla und Dilek gegenseitig ihre ersten Treffen reflektieren, schwierig, eine Beziehung zu den Figuren aufzubauen. Das nimmt natürlich dem Geschehen wiederum einiges an Kraft. So hat der Roman durchaus etwas von einem politischen Traktat, gelesen mit verteilten Rollen.

Kein schlechter Text, aber auch nicht wirklich herausragend.

Bild: Pixabay

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