„Die hungrige Straße“ – Ben Okris Meisterwerk.

Die hungrige Straße bleibt mein Lieblingsroman Ben Okris, und ich würde auch sagen, es bleibt sein bester Roman. Hier kommen Lust an Symbolen, Metaphern und erzählerischer Ausschweifung noch am besten mit so etwas wie einer Handlung zusammen, die durch den Roman bei der Stange hält.

Später bewegt sich der Autor oft so weit ins Allegorische, dass es schwer wird auf den weiterhin mehreren hundert Seiten das Interesse nicht zu verlieren. Denn es hat seinen Grund, dass allegorische Erzählungen, ob es sich nun um künstlich geschaffene handelt (Goethes Märchen) oder um die der verschiedensten internationalen Erzähltraditionen, in den meisten Fällen relativ kurz gehalten sind. Sicher, Ben Okri findet weiter sein Publikum, aber ich habe bis heute keinen Text von ihm gelesen, der noch einmal das Niveau von Die hungrige Straße erreicht.

Die hungrige Straße erzählt von Azaro, dem „Geisterkind“ das durch die Umstände seiner Geburt halb an die Geisterwelt gebunden bleibt. Immer wieder versuchen deren Bewohner ihren Bruder ganz zurückzuholen. Doch Azaro ist der ganz normale Familie gewogen und nimmt an deren Leben teil. Der Vater, geplagt von den Schwierigkeiten, die Familie im Slum einer namenlosen Großstadt zu ernähren, verfällt, zwischenzeitlich sogar erfolgreich, auf die verrückte Idee, Preisboxer zu werden. Azaro wird als eine Art Maskottchen für die heruntergekommene Kneipe von Madame Koto geworben, die auch ungewöhnliche Verbindungen zur Geisterwelt aufzuweisen scheint. Und immer streiten zwei ganz weltliche Parteien, korrupte Politiker, um die Seelen und noch wichtiger um die käuflichen Stimmen der Slumbewohner.

Ben Okri erzählt all das in wechselnden Passagen, die zwischen farbenfrohen, doch naturalistischen Schilderungen, und einem beinahe biblisch anmutenden Stil, wo immer die Geisterwelt ins Spiel kommt, hin und her springen. Die Geisterwelt wird stets besonders stark, wenn es zu Krisen kommt, sei es im Leben Azaros, in dem der Familienmitglieder oder auch allgemeiner im politischen Leben. So hyperbolisch der Stil dabei ist, so hyperbolisch präsentiert sich auch die Handlung. Man möchte zeitweise beinahe von einer im Kreis laufenden Geschichte sprechen, die immer wieder die gleichen Elemente wiederholt (Zielsetzung, Krise, Ausgreifen der Geisterwelt, sich Losreißen davon, neues Ziel usw.). Allerdings träfe es das Bild einer Spirale letztlich besser, denn aus jeder Kreisbewegung nimmt Azaro etwas Neues mit und begegnet der Welt fortan mit einer etwas anderen Haltung. Ich möchte dabei nicht unterschlagen, dass diese Redundanz ihrem erkennbaren Zweck zum Trotz mit der Zeit ein wenig ermüden kann und Die hungrige Straße vielleicht nicht mit der gleichen Konsequenz stets die Aufmerksamkeit fesselt, wie, sagen wir Hundert Jahre Einsamkeit, das durch die Generationen hindurch einem ähnlichen Spiralen-Prinzip folgt. Ich würde auch jederzeit die unglaublich dichten Kurzgeschichten aus Stars of the new Curfew diesem anerkannten Hauptwerk Ben Okris vorziehen.

Dennoch ist es ein schöner Text mit Sätzen und Bildern zum genießen, und ein großer Text mit diesem allumfassenden erzählerischen Anspruch, wie sie immer seltener in Angriff genommen werden. Und ein Text, dessen Hauptcharaktere trotz aller Symbolik und Absstraktion dem Leser durchaus auch ans Herz wachsen können. Kurz: Ein Text, an dem gar nicht vorbeikommt, wer von Weltliteratur heute sprechen will.

Bild: Pixabay.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..