Starker letzter Übergangsband. Jackas London (11) macht fast alles richtig.

“Der Jäger von London”, Teil 11 von Benedikt Jackas Urban-Fantasy-London-Reihe, macht fast alles richtig, was man so spät in einer Reihe (es folgt nur noch der 12. Teil) machen muss. Ich fürchte, das wird sich relativ schwer ohne größere Spoiler besprechen lassen.

Der Roman steigt diesmal direkt in die Action ein. Es gibt kein ausführliches Vorgeplänkel mehr mit Normalität, aus dem die Protagonisten dann gerissen werden. Alex dreht den Spieß um und schmiedet Pläne, um sowohl Ratsmitglieder zu jagen und zu töten, als auch endlich Rachel auszuschalten, sollte sie sich nicht doch noch auf irgendeine Weise bekehren lassen. Dazu arbeitet er mit dem uns bekannten Schwarzmagier Morden zusammen. All das ist durchweg spannend erzählt, verschiedene Fraktionsbildungen und Wechsel ergeben sich, und der Band ist sogar noch ein paar Seiten kürzer als die vorherigen Bände im Durchschnitt. Das rechne ich der Reihe wirklich hoch an, dass sie niemals wie andere Fantasy-Reihen bei den Seitenzahlen eskaliert ist. Jacka scheint von Anfang an ziemlich genau gewusst zu haben, wo er hinwill oder zumindest jeweils den Rahmen für einen Roman gut abgesteckt zu haben. Natürlich ist das Verhältnis zu Anne und ihrem unglaublich mächtigen Dschinn ganz wichtig für diesen Roman, und zumindest zeitweise sieht es aus, als könnte es zu einer Auseinandersetzung oder sogar zu einer Zusammenarbeit mit Verus kommen. Der Schluss stellt uns dann freilich noch einmal vor einen radikalen Wechsel der Allianzen und dürfte entsprechend ein vielversprechendes Finale erlauben. Das muss man auch hoch anrechnen: Anders als viele andere Reihen, die mit der Zeit zu reinem Content-Pushen geraten, hat der Autor hier immer wieder dafür gesorgt, durch Beschreibungen und ein wenig poetischere Momente die Atmosphäre seiner Welt aufrechtzuerhalten. Viele andere Spannungsautoren hätten ihren Roman vielleicht an dieser Stelle beendet.

“Ja, scheiß doch drauf“, sagte Luna. „Wie finden wir Vari?“
Ich zögerte lange. „Ich denke … wir haben vielleicht ein größeres Problem.”

Aber in diesem Fall folgt noch ein Absatz:

“Luna öffnete wütend den Mund, aber bevor sie etwas sagen konnte, sprach ich. Und dann wich die Wut aus ihrem Gesicht, ihre Augen wurden immer größer. Karyos beobachtete mich, ihre Miene unlesbar. Über uns sank die Sonne der Niederung durch den vielfarbigen Himmel herab, und der Abend erlosch langsam in der Dämmerung.”

Das darf stellvertretend stehen für die Bemühungen, die Lesenden auch sprachlich-bildlich immer wieder ans Werk zu binden und uns eben nicht allein über die Mechanismen der Daily Soap auf die Folter zu spannen: Wer mit wem? Wer gegen wen? Wie geht es weiter?

Wie schon zum letzten Band angemerkt: Es tut der Reihe wirklich gut, dass Starbreeze zurück ist. Ja, vielleicht hätte sich der vergessliche Luftelementar mit der Zeit abgenutzt, aber den mittleren Bänden fehlten einfach witzige Interaktionen wie diese hier mit dem sehr ernsten Schwarzmagier Cinder:

“Kannst du Farben machen?“
„Nein.“
„Ich könnte helfen.“
Keine Antwort.
„Ooh!“, machte Starbreeze. „Was, wenn ich die Farbe errate?“
In den direkten Zukünften flackerten verschiedene Szenarien auf, in denen Cinder Starbreeze umbringen wollte. Das störte den Faden, dem ich versucht hatte zu folgen und der daraufhin sofort verschwand. Ich seufzte innerlich. Vielleicht war ich auch zu optimistisch.
„Rot!“
„Nein.“
„Orange!“
„Nein.“
„Blau.“
„Nein.“
„Orange.“
Cinder blitzte sie wütend an. „Du hast gerade schon Orange gesagt.“
„Hab ich?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil …“ Cinder schien zu merken, was er da tat, und schloss den Mund.
„Oh“, sagte Starbreeze. „Worüber haben wir geredet?“
„Starbreeze“, unterbrach ich, bevor Cinder die Geduld verlor. „Könntest du nachgucken, ob jemand zusieht?“

Starbreeze ist als ernsthaft plot-relevanter Comic Relief Charakter überhaupt eine ziemliche Seltenheit in der Literatur wie im Film.

Schwierigkeiten hat Jacka weiterhin damit, überzeugende moralische Dilemmata zu konstruieren. Während mittlerweile einige der Schwarzmagier tatsächlich nicht mehr als absolut Böse, sondern vor allem als chaotisch intrigant, Cinder sogar mit einer Tendenz Richtung chaotisch gut dargestellt werden, ist der Weiße Rat und alles, was dran hängt, mittlerweile derart diskreditiert, dass die große Debatte mit dem Widersacher Vistus schrecklich schal wirkt. Denn dessen pseudo-gesellschaftliche Argumente, Verus würde einfach nicht das große Ganze sehen und mit seinen egoistischen Handlungen viel Schaden anrichten, lassen sich mittlerweile wirklich leicht kontern mit: Euer großes Ganzes ist abgrundtief böse. Der Rat mordet praktisch, wie er Lust hat, indem man rasch jemanden für vogelfrei erklärt. Fast alle Mitglieder sind in abartige Skandale verwickelt, und zu den angeblich schlimmen Taten, für die der Rat jetzt Verus und seine Freunde verfolgt, hat eben offenkundig der Rat genau diese Leute damals schon mit den gleichen Erwägungen zum großen Ganzen gedrängt. Das sorgt dafür, dass einige der Momente, die dem Autor wahrscheinlich am wichtigsten waren, verpuffen. Was bleibt, ist eine spannende Geschichte über einen Wahrsager, der versucht, seine Freunde, auch die, die sich von ihm abgewandt haben, irgendwie sicher durch eine Welt zu bringen, die zusehends in einem nicht erklärten Krieg zerfällt, und er dafür Dinge tut, die er sich vor wenigen Jahren noch nicht hätte vorstellen können.

Sehr gut gemacht übrigens auch der Einsatz des Schicksalswebers, ein unglaublich mächtiges Artefakt, mit dem sich Alex im vergangenen Band verbunden hat und das wir seit dem ersten Roman kennen. Dass solche mächtigen Artefakte oder auch einfach mächtige Superkräfte möglichst große Schattenseiten haben sollen, damit man Geschichten erzählen kann, die auch spannend bleiben, vergessen vor allem Filme in den letzten Jahren immer häufiger. Der Schicksalsweber aber frisst Alex innerlich auf, während auch Annes Dschinn auf der anderen Seite eine ähnliche Bedrohung darstellt und zu beginnen scheint, nach der guten Anne auch deren abgespaltene böse Seite zu verdrängen.

Bild: Wiki, gemeinfrei.

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