Ein ganzer Staat in einem Haus? „Zwischen den Palästen“ von Nagib Machfus.

„Zwischen den Palästen“, der erste Roman aus der „Kairoer Trilogie“ des Nobelpreisträgers Nagib Machfus, ist ein ganz großer Wurf. Machfus gelingt es Leben, Gesellschaft und Geschichte des Ägyptens der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf engstem Raum konzentriert erfahrbar zu machen, und das gelingt ihm vor allem durch Aussparung der großen historischen Narrative. Machfus genialer Griff besteht darin zahlreiche Konflikte – zwischen den Generationen, zwischen den Geschlechtern, zwischen nach außen islamischem, nach innen hedonistischem Bürgertum, zwischen der offiziellen Religion und der traditionskeptischen jungen republikanischen Bewegung – im Großen und Ganzen auf ein Haus beschränkt und als Familienkonflikte zu entwickeln. Nicht der Erste Weltkrieg, der Rückzug der Briten oder die Herrschaft Fu’ads sind entscheidend, sondern wie sie sich in den Beziehungen der Familienmitglieder zueinander abbilden. Leitmotivisch wird insbesondere ein Dachboden mit seinem hohen Fenster, von wo aus Söhne den Blick auf verbotene Frauen genießen (und manchmal auch Frauen auf verbotene Männer), wo sich Ehen anbahnen und soziale Interaktionen in Straßen, auf dem Basar, beobachtet werden. Auf diese Weise vermeidet Machfus die schwer zu beherrschende Zersplitterung einer Erzählung, die seinen Protagonisten durch die Straßen Kairos folgt und dennoch nicht die im Roman unterschwellig kritisierte Ausklammerung der Frau aus öffentlichen Lebensbereichen wiederholen möchte.

Die Güte des ersten Teils der Kairoer Trilogie erweist sich auch an den Nachfolgebänden, insbesondere an „Palast der Sehnsucht“. Hier fehlt ein zentraler Ort, an dem Gedanken und Handlung zusammenlaufen, der Roman verliert sich in unzähligen Szenen, gestelzten Diskussionen über Politik und zum Fremdschämen kitschigen über Liebe. Zwar bleibt die Trilogie auch in vollem Umfang noch lesenswert, „Zwischen den Palästen“ aber ist darunter wohl der beste Ausweis von Machfus schriftstellerischen Qualitäten.

Bild: Wiki, gemeinfrei.

2 Kommentare zu „Ein ganzer Staat in einem Haus? „Zwischen den Palästen“ von Nagib Machfus.

    1. Ich schreibe einfach nicht immer lange Rezensionen, Was man kurz sagen kann muss man nicht auswalzen. Ursprünglich wurde das Blog einmal genau für kurze präzise Rezensionen ins Leben gerufen. Die langen Texte sind eher die Abweichung, wenn es dafür ausreichend Gründe gibt.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..