Unerwartet kluge Verbindung von Familien- und Fantasy-Geschichte. „Der Greif“ von Wolfgang Hohlbein.

„Der Greif“ von Wolfgang Hohlbein gehört zu den Romanen, die ich als Jugendlicher einmal gelesen habe. Ich erinnere mich noch grob daran, dass ich es spannend fand; die zweite Hälfte kam mir jedoch etwas redundant vor, und ich habe es mir dann nicht wieder angeschaut, weil ich den Autor als eine etwas niveaulose Jugend-Erinnerung abgehakt hatte. Ich frage mich langsam, ob Hohlbein über seinen eigenen Ruhm stolpert, diese „Vater der deutschen Fantasy-Erzählung“, die ihm eine Zeit lang nachhing, was gleichzeitig übersetzt wird mit „altbacken“, „konventionell“. Der DSA-Roman „Das Jahr des Greifen“ zumindest ist unglaublich stark, und vielleicht war ich doch etwas zu schnell, die Stärken Bernhard Hennen zuzuschreiben, aufgrund des Gerüchts, das sei vor allem sein Roman. Auch „Die Saga von Garth und Torian“ zumindest ist in ihrer Sword and Sorcery-Schlichtheit sehr spannend erzählt, atmosphärisch aufgebaut und lässt auch größtenteils nicht nach, und ja, auch „Der Greif“ ist gut, sogar deutlich besser, als ich es in Erinnerung hatte.

Worum geht es? Der junge Protagonist Mark wird von seinem deutlich älteren Bruder Thomas mit auf die Dächer über ihrem Haus genommen, und auf diese Weise dringen sie in eine fantastische Welt ein. Später findet Thomas heraus: Die Familie ist seit Jahrhunderten mit dieser Welt verbunden. Ein Vorfahre vor 500 Jahren hat als Rache an einem Auftraggeber in unserer Welt den Greifen erschaffen, der nun über diese andere Welt herrscht. Menschen, die es in unserer Welt nicht aushalten, finden manchmal den Weg in die Welt dort, die scheinbar ein Paradies ist, aber bald ihre eigenen Übel bereithält. Ein Spross der Familie, höchstwahrscheinlich Mark, da er der letzte ist, ist auserkoren, den Greifen zu besiegen und die Welt zu befreien.

Das klingt relativ konventionell, hat aber durchaus interessante Zwischentöne. Die Erzählung ist mehr als eine einfache Heldenreise von unserer Welt in die andere Welt, wo der Protagonist dann als der große starke Mann gefeiert wird, der er in unserer Welt nicht sein kann. Stattdessen wechseln wir regelmäßig zwischen den Welten, und in der Welt des Schwarzen Turms, wie die Gefilde des Greifen heißen, ist wenig so, wie es am Anfang scheint. Zugleich reichen die Mächte des Schwarzen Turms weiter in unsere Welt hinein, als es zuerst den Anschein hat. Vor allem die Entdeckungsphase, in der Mark in unserer Welt auch noch mit der Polizei zu tun hat, der er kaum erzählen kann, wer tatsächlich für die schrecklichen Dinge verantwortlich ist, in die er verwickelt ist, ist ungeheuer spannend aufgebaut. Man entdeckt tatsächlich an der Seite von Mark und ist genauso am Zusammenpuzzeln der Einzelteile interessiert wie der Protagonist. Zugleich kann man den Text als eine Geschichte über zwei Söhne lesen, die versuchen, irgendwie ihr Verhältnis zum früh verschwundenen Vater auszutarieren, gewissermaßen physisch und metaphysisch ihr Erbe anzutreten. Vieles, was im Verhältnis der beiden gerade zum Schluss hin vielleicht etwas grandios wirkt, betrachtet man nur die Fantasy-Seite der Erzählung, ergibt dann noch einmal deutlich mehr Sinn. Sowohl im Verhältnis der beiden Brüder als auch in der Frage, was der Greif eigentlich ist, was er mit Menschen macht und wie wir wohl mit einem Paradies umgehen würden, hätten wir das Glück (oder Pech?) auf ein solches zu stoßen, hält der Text noch einige interessante Wendungen bereit. Ebenso bezüglich einiger scheinbarer Helferinnen oder Antagonisten in unserer Welt sowie dem Verhältnis der Mutter zu der Welt des Greifen und dem, was Mark für seine Aufgabe hält.

Spoiler:

Vor allem, was ich als zweite Hälfte in Erinnerung habe und was eigentlich ein längerer Schluss ist, nachdem der scheinbare Antagonist, der Greif, besiegt ist, ist keineswegs redundant, sondern vertieft genau diese Fragen und verlegt den klassischeren Fantasy-Konflikt junger Helden gegen eine äußere finstere Macht ins Innere der Familie und der Hauptfigur. „Der Greif“ ist alles in allem ein ziemlich gutes Jugendbuch, und man sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass der Name Hohlbein in der öffentlichen Meinung mittlerweile Staub angesetzt hat. Wer vor allem spannend unterhalten werden möchte, aber dabei noch ein wenig nachdenken möchte, findet hier eine überzeugende Lektüre. Ja, die fantastische Welt im Inneren des Schwarzen Turmes mag hier und da ein wenig generisch wirken, hier hätten vielleicht auch ein paar Straffungen geholfen. Und die dämonische Nebenfigur, die zu Marks Helfer wird, kann, obwohl sie hier und da auch relativ witzig ist, mit ihrer schwer lesbaren Verballhornung unserer Sprache mit der Zeit ganz schön nerven. Abseits davon gibt es jedoch wenig zu meckern, wenn man temporeiche fantastische Unterhaltung sucht.

Bild: Pixabay.

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