Anbiederung an den NS-Zeitgeist? Friedo Lampes „Septembergewitter“.

“Septembergewitter” heißt der zweite der beiden Romane des deutschsprachigen Modernisten Friedo Lampe, und oberflächlich ist es ganz ein ähnlicher Text wie „Am Rande der Nacht“, den ich hier schon besprochen habe. Verschiedene Handlungen, die ineinander übergehen, sind verbunden, einerseits durch Leitmotive, andererseits dadurch, dass Handlungselemente aus einer in die andere hineinspielen. Zusammengehalten von mehreren roten Fäden. Ist es deshalb auch ein ähnlich gelungener Roman? Als ich beide Texte zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich das noch, aber mit mehrfacher Lektüre springen die Unterschiede doch deutlicher ins Auge, in der Form ebenso wie in den Themen.

Beginnen wir mit der Form: “Septembergewitter” ist deutlich einfacher gehalten. Es kennt eigentlich nur zwei Haupthandlungen, die man auch als eine ansehen könnte. Eine Gruppe Mädchen bastelt einen Drachen und will ihn steigen lassen. Später taucht ein Junge auf, der Drachenleinen abschneidet. Und eine Bande von Jungen ist schon länger auf der Jagd nach diesem “Drachen-Emil” und schafft es schließlich, ihn zu stellen. Es gibt noch ein paar halbwegs unverbundene Nebenhandlungen, die damit in Berührung kommen, etwa die von einem Soldaten, den es in den Kongo zieht, weil in dieser Stadt im Norden zu wenig los sei, über einen Dichter und seine Frau, und über einen Mordfall, der sich im Verlauf der Erzählung löst. Ich denke, grob 80 Prozent der Handlung aber sind entweder die Mädchen mit dem Drachen und ihr Umfeld oder die Bande, sowie Nebenhandlungen, wenn sie gerade diese beiden Handlungen berühren. Weniger fein gearbeitet sind auch die Übergänge, selten führen so brillant wie in „Am Rande der Nacht“ Momente einer Szene in eine scheinbar unverbundene andere, an einer anderen Stelle der Stadt. Anders als „Am Rande der Nacht“ hat „Septembergewitter“ jedoch einen klaren Rahmen: ein Vater und seine Tochter fliegen mit einem Heißluftballon von Osnabrück aus über die Stadt und wollen Dänemark erreichen. Zu Beginn macht der Vater sich Sorgen, weil ein Gewitter heranzieht. Zum Schluss haben sie das Gewitter hinter sich gelassen und sehen schon die dänische Küste. Eine vertane Chance: Dazwischen wird die Ballonfahrt nicht wieder aufgegriffen. Weder, indem wir etwa während des Gewitters noch einmal im Ballon sind, noch wird der Ballon von verschiedenen Figuren im Verlauf der Erzählung beobachtet, sodass wir indirekt vielleicht von den Auswirkungen des Gewitters auf den Ballon erfahren könnten. Der Rahmen ist in geradezu nachlässiger Weise unverbunden mit dem Rest des Textes.

Auch thematisch fällt eine gewisse Vergröberung auf, und wenn man weiß, dass Friedo Lampe zumindest kein genereller Gegner des Nationalsozialismus war, wohl wenigstens eine Art unkritischer Mitläufer, hier und da vielleicht auch mit der Ideologie übereinstimmend, könnte man diese Vergröberung negativ auslegen. Die freundliche Sichtweise: Der Autor hatte miterleben müssen, wie sein vorheriges Werk aufgrund “problematischer” Themen beschlagnahmt wurde und wollte sich nun halbwegs im Rahmen des Akzeptierten bewegen. Weniger freundlich: Der Autor hat bewusst hier und dort auf der Klaviatur nationalsozialistischer Ideologien gespielt, wenn auch in relativ unverfänglicher Weise. Eines der beiden, und wenn man darauf achtet, wo der Text seine größte Spannung aufbaut, definitiv sogar das Hauptthema von „Septembergewitter“ ist die Jugendbande. Die Jugendlichen nennen sich „Peliden“, geben sich Namen nach griechischen Helden, und der Anführer verlangt von den anderen Jungs neben Gefolgschaft sowohl klassische Bildung als auch körperliche Härte. Die Jungs stellen fest, dass sie dem Drachen-Emil selbst das Handwerk legen müssen, weil die Polizei entweder nicht tätig wird oder unfähig ist, und im Großen und Ganzen bestätigt der Roman diese Haltung. Die ganze Zeit über möchte Martin Teil der Bande werden, und als er sich bei der Jagd auf den Drachen Emil ausgezeichnet hat, wird er folgendermaßen eingeschworen:

“Ich schwöre, daß ich der Bande Treue halte bis in den Tod.“
„Ich schwöre, daß ich der Bande Treue halte bis in den Tod“, sagte Martin leise.
Daß ich mutig bin.“
„Daß ich mutig bin.“
„Daß ich Lügen verachte.“
„Daß ich Lügen verachte.“
„Daß ich alle Philister hasse.“
„Daß ich alle Philister hasse.“
«Und sie mit Pech und Schwefel verfolgen werde.“
„Und sie mit Pech und Schwefel verfolgen werde.“
„Daß ich mich üben werde in allen Arten des Sports.“
„Daß ich mich üben werde in allen Arten des Sports.“
„Auf daß mein Leib stark und hart werde wie bei den Griechen.“
„Auf daß mein Leib stark und hart werde wie bei den Griechen.“

Besiegelt wird das, natürlich, mit Blut.
Ein interessantes Thema im Roman könnte dann Zugehörigkeit sein. Denn nicht nur Martin möchte zur Bande gehören, auch Emil sagt, als man ihn zur Rede stellt, zu seinen Motiven:

“Die sollen nicht in die Luft fliegen (…) die mach ich tot”

Ich habe das Gefühl, dass da eine interessante Geschichte dahinter stecken könnte, und man hätte zwischen den Polen Bande, Martin und Emil durchaus auch in kritischerer Weise soziale Verhältnisse durchleuchten können. Doch es bleibt bei der Bemerkung, wir erfahren nicht, was mit Emil geschieht, nicht, welches Geheimnis dahinter steckt, dass er will, dass die Drachen am Boden bleiben. Stattdessen werden im Großen und Ganzen Selbstjustiz und das Ideal von Bildung und Härte als positiv dargestellt. Auch der Soldat, der in den Kongo möchte, äußert sich entsprechend. Wenn diese Generation, die der Bande, erst einmal am Ruder wäre, dann wäre es vielleicht doch in Deutschland wieder lebenswert. Dieser Soldat sagt übrigens auch:

“<<Ja, ein Gewitter müßte losbrechen (…) Blitze müßten flammen und die Häuser in Brand stecken, diese muffigen alten Häuser, ein Krieg müßte ausbrechen, wild und schrecklich und reinigend und mit seinem Eisenbesen all diesen vermotteten Plunder wegfegen, daß das Leben wieder frisch würde und bewegt und gesund.»”

Ich möchte nicht behaupten, dass „Septembergewitter“ ein nationalsozialistisches Buch ist. Wäre es 1920 erschienen oder 1951, würde man vielleicht einige Vorstellungen als falsch ansehen, aber man würde sie nicht gleich mit dem NS in Verbindung bringen. Im Vergleich mit „Am Rande der Nacht“ wirkt „Septembergewitter“ vor allem erstmal handzahmer, konformer, weniger wagemutig und thematisch wie formal sehr viel mehr auf Sicherheit bedacht. Der Text hat immer noch viele sprachlich schöne Stellen, und natürlich gab es auch in der Komposition in deutscher Sprache bis dahin wenig Vergleichbares. Aber der Text wirkt eben auch deutlich mehr auf Konformität bedacht: Frauen sind nun größtenteils Ehefrauen oder nette Mädchen, Jungs und Männer sind Verbrecher oder Helden. Themen, die Anstoß erregen könnten, kommen im Gegensatz zu „Am Rande der Nacht“ nicht vor. Auch „Septembergewitter“ lässt sich gut lesen. Davon, dass ein Autor über die Welt anders denkt als man selbst, sollte man sich eh nie abschrecken lassen. Aber dass der Text im Vergleich zum Vorgänger geradezu bieder ist und dass er zumindest bemüht wirkt, bei der nationalsozialistischen Leserschaft keinen Anstoß zu erregen, das fällt schon auf. Gebracht hat es freilich nichts; das Buch wurde zwar im Gegensatz zum Vergänger nicht eingezogen, lag aber wie Blei in den Regalen.

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