Mehr Melodrama. Armistead Maupins „More Tales of the City“ geht neue Wege. (2)

Der zweite Teil von Armistead Maupins “Tales of the City” (“More Tales of the City”) ist ein großer Fortschritt in fast allen Belangen. Merkte man den ersten Roman seine Herkunft aus der Zeitung noch sehr deutlich an – es handelte sich größtenteils um kleine Episoden ohne durchlaufenden Handlungsbogen – liest der zweite Roman sich tatsächlich vor allem als Roman. Alle Hauptfiguren bekommen diesmal eine Geschichte, die deutlich über „kommt in San Francisco an und lernt die Stadt kennen“ hinausgeht.
Mary-Ann und Michael geben sich als Ehepaar aus und machen eine Kreuzfahrt, in der Hoffnung, die große Liebe zu finden. Michael findet einen alten Geliebten, Mary einen neuen. Mona flieht aus San Francisco und stolpert zufällig über einen Teil ihrer Herkunftsgeschichte. Beauchamp will seine Frau zur Abtreibung zwingen. Und die Aufdeckung von Monas Herkunft zwingt Anna Madrigal zu einem Showdown mit ihrer Ex-Ehefrau. Das heißt auch: Annas Geheimnis wird enthüllt, und weiter unten werde ich das spoilern. Der Stil bleibt größtenteils der gleiche, weiterhin wird fast nichts beschrieben, was irgendwie San Francisco auch atmosphärisch als Stadt gestalten könnte. Der Autor schreibt für die Bewohner der Stadt.

Mit der Zeit kristallisiert sich dann sogar eine zentrale Geschichte heraus. Denn der Geliebte, den Mary von der Kreuzfahrt mitbringt, hat schon einmal in San Francisco gelebt, jedoch seine Zeit dort komplett vergessen. Letztendlich hilft die gesamte „Familie“ von 28 Barbie Lane bei der Suche nach dieser Vergangenheit. Und die hat es in sich. Ein Komplott rund um Episkopalier und verdrängte Erinnerungen. Parallel dazu läuft der Kampf zwischen Anna Madrigal und ihrer früheren Ehefrau. Denn nun wird enthüllt, was weiß, wer die Serie kennt: Anna ist trans, und hat, als sie noch als Andy bekannt war, Frau und Kind überstürzt zurückgelassen. Maupin erzählt das in einer Weise, die uns Annas Gründe durchaus empathisch nachvollziehen lässt, aber gleichzeitig auch die Wut und Verlorenheit der Verlassenen. Anna wiederum hat dafür durchaus Verständnis, tut aber zugleich alles, um ihr Geheimnis zu wahren und vor allem Mona zu schützen.
In einer wichtigen Nebenhandlung hat Michael zu ertragen, dass seine Eltern, die nichts von seiner Homosexualität wissen, ihm immer wieder Briefe schreiben, die sich zuletzt vor allem um den Kampf ihrer Gemeinde in Orlando gegen den verderblichen Einfluss von Homosexuellen dort drehen. Schließlich hält Michael es nicht mehr aus und outet sich per Brief.

Man merkt es: Mit der Integration des Textes zu einem geschlossenen Roman geht eine deutliche Erhöhung des Melodrama-Faktors einher. Und obwohl einige der Handlungsstränge durchaus Daily-Soap-Vibes ausstrahlen, bewegt sich der Text nicht ins Soap-Territorium. Das dürfte durch den weiterhin sehr kühlen, berichtenden Stil gelingen. Auch bleibt das gesamte Drumherum sehr „normal“. Die Menschen leben alltägliche Leben, haben alltägliche Probleme, ihre Arbeit und so weiter und so fort. Das gilt auch für die zahlreichen in vielfältiger Weise queeren Figuren. Auch heute drehen sich Werke, die auf solche Figuren fokussieren, noch häufig irgendwie um krasse Ereignisse (Angriffe, coming out und so weiter). Für „Tales of the City“ ist das selten der Hauptfokus. Es kommt vor, in dieser Geschichte etwa mit Michael und seinen Eltern, aber es ist nicht zentral. Zentral ist das tägliche Leben. Einen Job finden, Partnerschaft, ein zu Hause. Ja, Dede, die wahrscheinlich erstmals eine Beziehung mit einer Frau eingeht, von der wir nicht ganz sicher sind, ob Sie noch platonisch ist, findet etwa nach dem Tod ihres Mannes sogar vor allem Halt in der Kirche der neuen Freundin.

Das ist noch ein Aspekt, den es herauszugeben gilt: „Tales of the city“ betrachtet kaum ein Phänomen einfach einseitig. Kirche? Ja, ein Haupthandlungsstrang handelt von einen schrecklichen Verbrechen, das von Episkopaliern verübt wird. Aber einer anderen Hauptfigur bietet die Kirche einen Ausweg. Freie Liebe/Hook-up-Culture? Ja, irgendwie partizipieren alle daran und für manche mag es befreiend sein. Aber nicht wenige Figuren blicken darauf zurück und stellen fest: Ich bin in einer Sackgasse gelandet. Und vieles dergleichen mehr. Was alle irgendwie zu suchen scheinen ist eine Art zu Hause, eine Familie. Und 28 Barbie Lane ist so eine Lösung, aber auch nicht für alle vollends befriedigend. Deshalb sucht Mona ihre Vergangenheit, deshalb bricht Michael nicht einfach mit seinen homophoben Eltern. Und wiederum einiges dergleichen mehr.

Wenn das Niveau des zweiten Bandes gehalten wird, hat man nun deutlich mehr Grund, die Reihe vorzusetzen, als nach dem ersten.

Bild: Pixabay.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..