„Lost“ und Kafkas „Schloss“. Ausführlicher Essay für DieKolumnisten.

Obwohl ich eigentlich jedes Mal, wenn ich länger in der Stadtbibliothek war, ein Auge darauf geworfen hatte, habe ich lange gezögert, die Komplettbox der einst gefeierten, dann gehassten Serie LOST mitzunehmen. Zu häufig war mir von Freunden online davon abgeraten worden. So kritisch wie ich in der Vergangenheit gegenüber anderen Serien gewesen sei, sei das mit Sicherheit nichts für mich. „Lost“ sei konfus, vor allem zum Ende hin habe es überhaupt keinen Plan und löse dann verschiedenste Dinge qua deus ex machina, während zugleich immer wieder neue Rätsel erfunden werden. Irgendwann habe ich mich dann doch herangewagt und mittlerweile habe ich die ganze Serie gesehen. Und ich muss ganz klar sagen: Auch wenn „Lost“ immer wieder phasenweise seine Schwächen hat, hat es nicht die Schwächen, die ich an modernen Serien etwa ab dem sogenannten Goldenen Zeitalter (Mad Men, Sopranos, Breaking Bad, Game of Thrones usw., usf.) vehement kritisiert habe. Manche Schwächen, die „Lost“ hat, dürften den Kämpfen zwischen Showrunnern und Studios geschuldet sein, andere der Tatsache, dass die Show von ihrer Anlage her, wenn man nicht wagt, ganz radikal gegen die Erwartungen zu erzählen, tatsächlich immer komplizierter werden musste. Weiterhin ist anzumerken, dass sechs Staffeln einfach zu viel sind. Auch hier, wo genau sechs Staffeln geplant waren und die Showrunner dafür gekämpft haben, genau diese sechs Staffeln machen zu dürfen und nicht aus finanziellen Erwägungen mehr machen zu müssen. „Lost“ ist im Ganzen nicht unbedingt stärker als die oben genannten Serien (ich würde sagen, es bewegt sich ganz gut irgendwo im Mittelfeld), aber die Schwächen entspringen noch mehr den Problemen klassischer Serienproduktion fürs Fernsehen als der narrativen Deregulierung und Defokussierung, die im einige Zeit dominierenden Endlosfilm-Prinzip gipfelten, das die Seh- und Produktionsgewohnheiten des Streamings mit sich brachten. Vor allem: „Lost“ ist in vielen Aspekten richtig gut, auf jeden Fall deutlich besser als der schlechte Ruf rückblickend vermuten lässt. Besonders funktioniert, im Gegensatz zu vielen späteren Serien, die Balance Episodenbogen – Staffelbogen – Serienbogen meist ziemlich gut.
Als das Finale ausgestrahlt wurde, war das übrigens zwar durchaus kontrovers, aber wenn man sich Bewertungen und Online-Debatten anschaut, wurde es keineswegs so schlecht aufgenommen, wie es dann im Rückblick gemacht wurde.

Mysterium, nicht „Mystery“.
Man wird „Lost“ freilich, und das könnte man von der ersten Staffel an wissen, kaum genießen können, wenn man es als klassische Mystery-Serie nimmt, die verschiedene Rätsel stellt und zum Schluss hin aufklärt. Man kommt, denke ich, mit „Lost“ sehr viel besser zurecht, wenn man den durch die Welle von Mystery-Serien entkernten Begriff des Mysteriums ernst nimmt, als etwas, das eben nicht Rätsel oder einfach nur Geheimnis ist, sondern:

„…geheimnisvolles, mit dem Verstand nicht ergründbares Geschehen; unergründliches Geheimnis, besonders religiöser Art“.

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Bild: Pixabay

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