Fälschungsskandale, Bohème und verzweifelte Scholastik. „The Recognitions“ von William Gaddis.

Es ist lange her, dass ich „The Recognitions“ (Die Fälschung der Welt) von William Gaddis zum letzten Mal gelesen habe. Ich erinnere mich, dass mich einige Gedanken rund um Kunst und Gesellschaft faszinierten. Der 1200-seitige Roman ist offenkundig ein weiterer dieser entgleisten Texte. Ursprünglich sollte es eine kleine moderne Faust-Novelle werden. Weil solche Texte (vergleiche „Unendlicher Spaß“, dessen Titel definitiv einer der übelsten Fälle von „false advertising“ ist) regelmäßig eine Qual sind, sobald man aus dem Alter raus ist, in dem man alles gut findet, was dick und kompliziert ist, hatte ich den Text lange für die Relektüre vorgemerkt und es dann doch bleiben lassen.

Aber irgendwann muss man ja. Gaddis‘ Werk übt doch zumindest eine weit größere Faszination aus als Wallace‘ Textwüste. Wir werden später sehen, dass es dafür auch literarische Gründe gibt. An erster Stelle dürfte aber das Thema stehen. „Die Recognitions“ beschreibt gewissermaßen in äußerster Breite und mit vielen detaillierten Ausflügen in den modernen Kunstmarkt, flankiert von scholastischer Philosophie und allerlei gedanklichen Verrenkungen, den Kunstfälscher-Skandal um Wolfgang Beltracci. Und das 50 Jahre bevor er stattfand. Das ist alles etwas atmosphärischer bei Gaddis, einfach weil: New York, Paris, statt Berlin, Bonn, Buxtehude, Brunsbüttel. Aber prinzipiell ist es die gleiche Vorgehensweise und sind es die gleichen Kunstmarkt-Mechanismen, die solch eine langfristige Kunstfälschung oder genauer Urkundenfälschung ermöglichen, ja, fast begünstigten.

Ich versuche die Handlung kurz zusammenzufassen, leider auch nicht viel ausführlicher findet ihr sie auf Wikipedia. Gwyon ist Pfarrer im ländlichen Pennsylvania und hat einige Zeit in Spanien verbracht, dort starb seine Frau. Nach seiner Rückkehr mit Sohn Wyatt beginnt er immer mehr weltreligiöse Ideen in seine Predigten einfließen zu lassen und mit dem christlichen Glauben eng zu führen. Wyatt soll eigentlich sein Nachfolger werden, begeistert sich aber für die Malerei, und bereits im zweiten Kapitel finden wir ihn als jungen Erwachsenen in Paris wieder, wo ihn das Angebot eines Kritikers, gegen ein bisschen Geld für gute Kritiken zu sorgen, anekelt. Er zahlt nicht, der Kritiker schreibt ihn nieder, und Wyatts Karriere ist praktisch beendet. Zurück in New York, wieder Jahre später, hat Gwyon Ehefrau Esther aus Paris mitgebracht. Sein guter Freund Otto hat eine Affäre mit Esther, ich glaube, Wyatt erfährt davon niemals etwas, und wenn, wäre es wohl auch egal, denn er vergräbt sich zuerst tief ins technische Zeichnen und wird dann angeworben, sozusagen echte alte Meister mit gefälschter Unterschrift zu produzieren. Zuerst Holländer der zweiten Reihe, dann verlangen seine Auftraggeber mehr. Im Zentrum des Romans steht der holländische Maler van Goes sowie Hubert von Eyck, der Bruder des berühmten Jan van Eyck, wobei Huberts Existenz zumindest im Rahmen des Romans nicht als gesichert gilt. Einen solchen van Eyck soll Wyatt produzieren.

Wyatt ist freilich mittlerweile eher eine Nebenfigur in seinem eigenen Roman. Der Fokus verschiebt sich stark auf den Schriftsteller Otto, der ein Theaterstück geschrieben hat, von dem ihm verschiedene Agenturen allerdings sagen, es handele sich um ein Plagiat. Auch Otto ist groß im Erfinden, vor allem erfindet er sich eine spannende Lebensgeschichte, die ihm später mehrfach vor die Füße fällt. Zahlreiche weitere Nebenfiguren treten auf, die wichtigste wohl Wyatts Auftraggeber Rektal Brown, der noch am ehesten davon kündet, dass Gaddis ursprünglich einen modernen Faust-Mythos geplant hatte. Zum ersten Zusammentreffen kommt es, als Brown sein Pudel weggelaufen ist, und Wyatt den Pudel mit in die Wohnung nimmt…

Ich breche hier die Zusammenfassung ab. Wir sind nun gerade etwa in der Hälfte des Romans, und Wyatt hat zumindest angedeutet, dass er Beweise gesammelt hat, mit denen er seine meisterhaften Fälschungen auch wieder enttarnen könnte.

„The Recognitions“ ist ein Roman, in dem unglaublich viel geredet wird. Die Menschen sprechen über ihren Alltag, über die moderne Welt, der von überall auf die Menschen hineinstürzenden Werbung und allerlei Unannehmlichkeiten mehr, und natürlich über Kunst und Religion. Und gar nicht so selten über beide in Verbindung miteinander oder über das eine im Sinne des anderen. „The Recognitions“ bleibt dabei allerdings deutlich erträglicher als manch anderer Text, der vor allem dazu gemacht scheint, Weltanschauungen in die Welt zu posaunen, wie etwa Tess Guntys „Der Kaninchenstall“, das ich kürzlich besprochen hatte. Das liegt einerseits daran, dass die Figuren tatsächlich so aufgebaut sind, dass man ihnen abnimmt, dass sie sich für genau diese Themen interessieren und Gespräche darüber führen würden. William Gaddis schiebt seinen Figuren nicht ständig Talking Points unter, die eigentlich seine sind, ohne dass sie glaubhaft aus der Figurenentwicklung hervorgehen würden. Und zugleich hält der Rahmen zumindest halbwegs. Die Geschichte von dem Fälschungsunterfangen und die damit verbundene Nebengeschichten, die alle auch in der ein oder anderen Weise mit dem Erfinden, vielleicht durchaus mit starker Betonung des Findens, zusammenhängen, sind interessant und werden selten so lange zugunsten anderer Themen vergessen, dass man das Gefühl hat, den Roman gewechselt zu haben. „The Recognitions“ tritt nicht über hunderte Seiten auf der Stelle, sondern mal hier für 5, dann dort für 7, in schlimmsten Fall mal für 50, findet aber immer wieder zu seinen Hauptsträngen zurück. Das heißt nicht, dass es nicht Passagen gibt, die ihr eher überfliegen werdet: Lange Partygespräche, wo eine Dialogzeile auf die andere folgt, Großstadtszenen, wo sich uns unbekannte Menschen in der U-Bahn und auf den Straßen unterhalten, die nie wieder auftauchen werden. Diese sind natürlich für die Atmosphäre eingestreut, und das funktioniert auch, aber irgendwann wird man nicht mehr die volle Konzentration auf diese Szenen verwenden.

Die Dialoge sind oft interessant, manchmal witzig, aber schließlich auch die größte Schwäche des Romans. Nicht nur, dass ihnen hier und da deutliche Straffungen wirklich gutgetan hätten, vor allem ist es oft schwer, den Überblick zu behalten, wer eigentlich spricht, und ich bin mir ziemlich sicher, dass manchmal einfach nicht gesagt wird, wer spricht. Eine der schlimmsten Stellen: Rektal Brown hat einen ungebildeten, aber alles andere als dummen und hochinteressierten Diener namens Fuller, der ihn manchmal mit Fragen löchert, und wenn Rektal Lust hat, gibt er Antworten. Aber dann ist da ein vielseitiges Gespräch zwischen Rektal Brown und Fuller, in dem es mit der Zeit immer mehr um Malerei geht und aus den Antworten der anderen Figur wird deutlich, dass es sich nicht mehr um Fuller handeln kann, sondern Rektal nun mit Wyatt am Diskutieren sein muss. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dessen Anwesenheit nicht erwähnt wurde, sondern hinter der Unsitte des Autors, Wyatt immer als „er“ zu bezeichnen, versteckt wurde. Das ist halt nur blöd, wenn vorher schon zwei Figuren sprechen. Dann sollte „er“ aller narrativen Logik nach eine dieser beiden Figuren bezeichnen. Es gibt auch Szenen oder Kapitel, die einfach mit einem Dialog beginnen, der dann immer weitergeht, und die Namen der Figuren werden nicht genannt. Allein aus den Themen lässt sich mit der Zeit nachvollziehen, wer spricht. Prinzipiell gilt das STETS für Wyatt, Esther UND (!) Esme. Ein Rezept für Chaos. Hier kippt das Werk dann eindeutig von komplex in Richtung unnötig kompliziert, und sollte es sich dabei um Absicht handeln, ist es eine dumme Absicht.

Erwähnenswert noch, dass der Roman auch immer wieder Momente literarischer Schönheit kennt, also bewusst keine reine Textwüste sein will, sondern Dialoge, Handlungen, atmosphärische Szenen und auch klassisch bildliche Beschreibungen abwechselt. Etwa hier, noch relativ zu Beginn:

„Nach der falschen Dämmerung wischte die Morgenröte über den Himmel, flammendes Vorspiel an den Rändern der Erde, wo immer noch einsam und arglos, ein Fetzen vollkommener Schönheit, die alte Sichel des Mondes verharrte, nicht achtend der gewaltigen Feuersbrunst, die, hinterrücks entfacht, schon bald ihre leise, kalte Herrschaft auslöschen würde.
Ein Gefühl der Befreiung überkam Reverend Gwyon. Doch ob Erlösung von oder durch etwas, wußte er nicht recht zu sagen. Er hatte nur das Gefühl, daß irgendwo jenseits des eigenen Bewußtseins eine Entscheidung gefallen war: und daß er dem einmal eingeschlagenen Weg würde folgen müssen, auch wenn das Ziel noch im dunkeln lag. Die Zeit würde kommen.
Die Zeit würde kommen: wie die der Sonne, welche, Wunder der Wiederkehr, längst die Kimme der Erde erklommen und mit neugewonnener Kraft ihre vorgeschriebene Reise angetreten hatte.“

Oder hier eine längere Passage aus dem Mittelteil, die als typisch stehen kann für die Verbindung von Geistigem und Atmosphärischem, was dann auch manchmal ein wenig übertrieben wirkt:

„Mit drei Sternen am Gürtel hing Orion irgendwo hinter Megatonnen von Stahl und Beton, lichtundurchlässige Materialien, die jedoch selbst in der Dunkelheit aufgegangen waren und nur noch als unsichtbare Schalttafeln für Hunderte kleiner Lichtpunkte dienten, vergleichbar dem festen Firmament bei den frühen Juden, wo die Sterne an den Himmel genagelt waren, damit sie nicht herunterfielen. Dahinter die sieben Tauben auf der ständigen Flucht vor Orion. Die Plejaden waren an diesem zugestellten Himmel nicht mehr zu sehen.
Guck mal, Liebling, er hat sogar meine Halskette wiedergefunden.
(Anzahl der Sitz-/Stehplätze in diesem Bus)
Echter als echt: Brillantschmuck aus dem Labor.
(Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen)
Strahlt heller und reiner als jeder natürliche Stein.
(Spucken sowohl im als auch vom Bus bei Strafe verboten)
(Vorsicht beim Öffnen der Türen)
Und darüber der Felsen, den Alexander in Indien erklomm, der diamantbesetzte Felsen, behängt mit Ketten von rotem Gold. Fünfhundert Stufen führten hinauf ins Haus der Sonne, ins Paradies.
Und dies, obschon Sir John Mandeville in seinen Reisen (eines der frühesten und heroischsten Plagiate in Frankreich) eingestehen mußte: >Vom Paradies weiß ich nicht zu berichten, denn ich war noch niemals dort.< Aber egal, die Felsen aus Beton hier oben waren ohnehin verschwunden. Geblieben waren die unsichtbaren Schalttafeln mit Hunderten, Tausenden von Lämpchen, die so taten, als seien sie das Weltall.
-John!
-Du hier…? So ein Zufall. Das ist jetzt schon das zweite Mal, daß wir uns so auf der Straße begegnen. Aber ich muß mich beeilen, sonst verpasse ich noch meinen Zug.
-Ja sicher, dein Zug, dein Zug.
Lichter schossen vorbei und zertanzten in der Dunkelheit, die sie noch im Verschwinden bestätigten (…)“

Ich glaube, dem Roman hätte definitiv gutgetan, auch nach den ersten Kapiteln noch häufiger solche Passagen wie im ersten Beispiel zu bringen. Das hätte doch geholfen, sich ein wenig von den Dialogen zu erholen (die man, ich wiederhole es, deutlich kürzen könnte).

Aber wie war das nun mit dem Bild von Kunst und Kunstmarkt in „The Recognitions?“
Nun, durchaus interessant, wenn auch vielleicht nicht unbedingt wegweisend. Der Roman zeigt den Kunstmarkt hin und hergerissen zwischen Spektakel und Altenverehrung. Wyatt selbst wendet sich enttäuscht von der eigenen Kunstproduktion ab, nachdem er wie oben beschrieben quasi erpresst wurde und erlebt, dass es, überspitzt gesprochen, einfacher ist, sich die richtigen Protektoren zu suchen, in die Ecke zu kacken und das Kunst zu nennen, als sich über Jahrzehnte Techniken zu erarbeiten und im klassischen Sinne gelungen zu malen. Will man in diesem Sinne malen, ist der Weg über die Fälschung der einzige, noch Kunst zu schaffen, die auch gesehen wird. Für Wyatt ist das Fälschen kein Weg zu Geld, nicht einmal zu Ruhm. Es stört ihn nicht, dass sein Name nicht mit den Bildern verbunden wird. Er will Kunst schaffen, wie sie ihm vorschwebt. Gleichzeitig weiß Wyatt und wissen auch viele andere Figuren im Roman, dass jede Kunst ihre Zeit hat. Regelmäßig wird darüber gesprochen, dass die Produktions- und Rezeptionsbedingungen der alten Meister eben nicht mehr existieren und somit eben auch eine solche Kunst nicht mehr existieren kann. Das drängt auf die Frage, was nun die eigentlich gelungene Kunst einer Zeit ohne solche Produktions- und Rezeptionsbedingungen sein kann. Offenkundig nicht diese Spektakel und eine Massenkunst, die, kaum hingeschissen, wieder vergessen wird, die sich vielleicht hier und da noch als politisch gibt, als Einspruch, aber doch eigentlich schon längst wieder vom Markt aufgesaugt wurde. Aber eigentlich müsste es Wyatt auch klar sein, dass es ebenso wenig ein Weitermalen im Stile von Menschen sein kann, die vor hunderten Jahren gelebt haben und eben nicht einmal die Anwendung dieses Stils auf moderne Gegenstände, sondern das Schöpfen von Bildern in diesem Stil zudem auch mit Gegenständen, wie man sie vor hunderten Jahren gewählt haben könnte. Bleibt also eigentlich nur noch die Vorstellung, dass vielleicht das Fälschen an sich die Kunst der Zeit Wyatts ist. Denn dieses Fälschen ist in „The Recognitions“ ubiquitär. Nicht nur fälscht Wyatt alte Meister, Menschen frisieren ihre Lebensläufe, stellen sich im Alltag anders da, um bei potentiellen Liebhabern besser anzukommen usw. Otto hat in seinem Buch scheinbar unbewusst zahlreiche Zitate zusammen gesammelt, aus großen Romanen ebenso wie aus dem Munde Wyatts. Er beginnt sich zum Schluss hin sogar als Gordon, die Hauptfigur seines Buches, vorzustellen. Der von so vielen Religionen begeisterte Vater Gwyon bastelt am Ende sich selbst eine Religion zusammen, die er erst weiterhin Christentum, schließlich Mitraismus nennt, die aber doch wohl etwas ganz anderes ist. Der Dichter Max veröffentlicht anscheinend aus Versehen Rilkes „Erste Elegie“ unter seinem Namen, und ein Kritiker, der einige hundert Seiten zuvor noch geklagt hat, wie man ihm seinen Rilke-Aufsatz durch redaktionelle Veränderungen versaut, sozusagen verfälscht, habe, wird für uns dadurch als Hochstapler entlarvt, dass er diesen eklatanten Fehler nicht bemerkt. Man könnte sagen: Durch die Fälschung bekommt die Zeit die Kunst, die sie verdient. Aber ist das dann auch schon gelungene, zeitgemäße Kunst? Oder hat diese Zeit, die auch unsere Zeit noch immer ungefähr ist, vielleicht gar keine Chance mehr auf eine eigene „echte“ Kunst, eben weil sie unfähig ist, lange genug zu verharren, um das wahrhaft Große zu schaffen oder auch nur zu erkennen? So kreist der Roman um Kunst, ohne diese zentrale Frage zu beantworten, beinahe im Sinne einer negativen Theologie, und dabei auch immer wieder dezidiert mit der Scholastik entlehnten Gedanken, der Philosophie einer Zeit also, in der scheinbar die Einheit von Welt und Werk und darüber Denken noch gegeben war. In Wahrheit aber, und gegen deren heutige Verfälschung, eine Philosophie, die eben auch an der Wurzel des Zerbrechens dieser Einheit steht, mit dem rigorosen Willen, Gottes Wirken in der Welt vernünftig zu begründen, was unglaubliche Denkanstrengungen freisetzte, die nicht wie das heute dominante Denken quasi die Empirie von Fragen nach Sinn und Zusammenhängen lösen konnte, aber gleichzeitig doch beide Seiten irgendwie in Synthese bringen musste.

Apropos Zeit, die noch immer die unsere ist. Obwohl der Roman natürlich keinen einzigen Satz zu heutigen KI-Diskursen sagt, sagt er doch eigentlich alles, was man dazu von der künstlerischen Warte aus sagen muss. Denn die größtenteils hoffnungslosen Romanfiguren, die irgendwie noch an einem Begriff von Kunst außerhalb von Spektakel und Massenmarkt festhalten, sind genau von den Sorgen umgetrieben, von denen auch heute Künstlerinnen und Künstler wieder umgetrieben werden. Romane mit den immer gleichen Handlungen, die in Masse produziert werden, Kunstwerke, die allein ob irgendeiner provokativen Idee gefeiert werden, lauter Dinge, die jeder und jede zu jeder Zeit ohne allzu großen Aufwand heraushauen kann, bedrohen die Kunst als Ideal ebenso wie das Überleben der Künstlerinnen und Künstler. Und ähnlich wie wenn sich heute Studierende und Kreativarbeitende über Gentrifizierung aufregen, deren erste Welle sie selbst waren, sind 99% derer, die jetzt zurecht Angst vor Kunst von künstlichen Intelligenzen haben, genau diese Art von Kunstproduzenten, die den Bohemiens aus „The Recognitions“ – ebenfalls zurecht – Angst gemacht haben. Oder auf eine Formel gebracht: Dass Maschinen in Zukunft die Menschheit mit Kunst versorgen können, liegt in erster Linie daran, dass man den Massengeschmack auf etwas zurechtgeklopft hat, das sich schon seit Jahrzehnten quasi maschinell bedienen lässt. Ja, auch wenn „The Recognitions“ keine Prognosen zum Thema künstliche Intelligenz macht, die Vorstellung von rein maschinell produzierten Kunstprodukten, wobei der Mensch nur noch Rädchen in der Maschine ist, klingt durchaus mehrfach an.

Kann ich aber nur den Roman selbst zur Lektüre empfehlen? Sicherlich nicht uneingeschränkt. „The Recognitions“ hat seine historische Bedeutung, auch wenn das Werk bei Erscheinen eher negativ aufgenommen wurde. Es hat auch seine literarischen Momente, zwingt aber zugleich, sich durch einiges an Textwüste zu quälen. Die Gedanken zu Kunst und Kunstmarkt sind sicher nicht so tief, dass man nicht von selbst auf Ähnliches kommen könnte. Allerdings geht es natürlich auch nicht einfach um ein paar Merksätze oder eine Einschätzung zur modernen Kunst. Die Stärke eines Ideenlastigen Romans besteht stets im Entwickeln und Gegeneinander-Entwickeln solcher Gedanken, verknüpft mit einer konkreten Welt und ihren Figuren. Hier ist „The Recognitions“ definitiv interessant, weil es einer dieser Texte ist, die zwingen, sich auf anderes Denken einzulassen. Wer nicht bereit ist, diese Mischung von enttäuschter Boheme und halber Gosse sowie Synkretismus mit starkem Fokus auf eine verzweifelte Scholastik, für sich gelten zu lassen, wird von dem Text wenig haben. Wer aber den Text nimmt, wie er ist, entdeckt durchaus eine faszinierende Lebens- und Denkwelt, wobei „The Recognitions“ sich leider dann doch allzu oft in reiner Geschwätzigkeit verliert, um ein Text zu sein, von dem man sagen kann: Wem es wirklich noch ernst ist mit dem Lesen, muss das Lesen.

Bild: Wiki, gemeinfrei

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