Wenn es um Liebe geht, entgleist die Sprache. “Das törichte Herz” von Paul Zech.

“Das törichte Herz” ist ein weiterer Band mit Erzählungen von Paul Zech, der gemeinfrei erhältlich ist. Die Texte sind dabei deutlich länger als die in Baal versammelten und haben teilweise den Umfang oder zumindest die strukturelle Progression kleinere Romane. Allen wohnt eine gewisse Melodramatik inne, den meisten noch etwas mehr als nur eine gewisse…

Die Titel-Erzählung „Das törichte Herz“ folgt Michael, der früh den Familienbetrieb übernehmen muss und sich in seine Bedienstete Gabriele verliebt, damit allerdings erst herausrückt, als es zu spät ist. Gabriele hat das Haus verlassen. Einige Zeit später erfährt Michael, dass Gabriele anderswo geheiratet hat und beschließt, sie aufzusuchen. Statt ihr aber nun einfach seine Liebe zu gestehen, von der sie sowieso weiß, verdingt er sich als Knecht bei ihrem Mann. Es kommt zu verschiedenen Verwicklungen, die nie witzig, immer tragisch, gestaltet sind und schließlich zur – ich sagte es, Melodramatik – Vereinigung im Tod.

„Traumfieber“ erzählt von einem jungen Mann, den das Stadtleben anödet und der aufs Land flieht, dort ein sexuelles Abenteuer hat, das interessanterweise so gestaltet ist, dass auch seine anfangs wie erträumt wirkende Geliebte nie wie das Opfer eines Tunichtgut es wirkt, sondern selbst sich des reinen Abenteuers bewusst ist, es vielleicht sogar mehr oder weniger anleiert, während insinuiert wird, dass das nicht ihr erstes und einziges war und dass das überhaupt auch kein Problem ist. Der junge Mann aber wird auch von dieser Geschichte überwältigt und flieht nun wieder zurück in die Stadt, wo er aber wiederum nicht hineinpassen will und möglicherweise, das ganze wird sprachlich zum Schluss sehr wild, in Wahnsinn und Tod (?) entgleitet.

Die dritte Erzählung ist die schwächste. Sie folgt einem Jungen von der Geburt bis zum Tod. Er nimmt ohne Überzeugung den Priesterberuf an und heiratet, dann verliert er auf einer Reise das Gedächtnis und tut schreckliche Dinge, die er sonst nie getan hätte, obwohl man das Gefühl hat, er wäre dazu fähig gewesen. Diese Erzählung leidet unter schreckliche Dysbalance. Es wird diese ganze lustloser Priester- und die Ehe-Geschichte aufgebaut, und das über schätzungsweise zwei Drittel der Erzählung. Dann aber wird sich damit gar nicht auseinandergesetzt, weil die wirklich dramatischen Ereignisse im Zustand des Gedächtnisverlusts stattfinden, der auch bis zum Schluss nicht mehr aufgehoben wird. So hat man das Gefühl, zwei Geschichten wurden aneinander geklebt, eine davon aber nicht fertig erzählt bzw. sich auf dem billigsten Weg aus dieser Erzählung herausgestohlen.

Die letzte Erzählung ist wieder eine intensive, bildgewaltige Novelle aus dem Bergarbeiterleben.

Alle Texte kommen wieder in dieser metaphernreichen Bildsprache daher, die bereits „Baal“ ausmachte. Und das gereicht dem Band nicht immer zum Vorteil. Generell scheint mir, dass die Kombination aus dieser Bildsprache und den deutlich typischeren Spannungsplots im Vergleich etwa mit Robert Walser oder Else Lasker-Schüler, aber auch mit Zechs eigenem „Baal“, dem ganzen nicht zum Vorteil gereicht. Eine solche Sprache funktioniert besser, wenn wirklich das Erzeugen von Bildern im Mittelpunkt steht, wenn Handlung assoziativ entwickelt wird, oder im Rahmen kleinerer Zwischenmenschlicher Momente bleibt. Wird sie mit einem typischen Hollywood-Plot verbunden, kann es rasch übertrieben wirken, als befinde man sich in einem unheimlichen Tal zwischen frei assoziativem Treiben und Blockbuster-Kino. Zugleich neigt Zech dazu, sich sprachlich auch immer wieder zu vergreifen. Am besten funktioniert seine Sprache angesichts von Naturschönheit:

“Es war ein schmaler und steiniger Waldweg, bergauf, bergab. Wiesenhänge lagen dazwischen gestreut wie Gärten im Steinicht einer großen Stadt. Da gingen gefleckte Rinder mit Geläut einher, kein Hund und keines Menschen Auge bewachte sie. Sie waren so selbstverständlich in die Landschaft hinein gestellt wie der Fels, der Baum und die Grasbüschel. Streckenweise plauderte ein Bach mit dem hallenden Schritt des Wanderers. Das Wasser war eiskühl und silberklar. Es tat muntere Sprünge über das Gestein des Bettes, schäumte, wo größere Felsenstücke sich in den Weg quer legten und verschwand wieder hinter einer Gesteinsmauer wie vom Boden aufgesogen.

(…)

Die Sonne häufte in Buchenkronen hohe Feuergarben. Die Vögel rührten ihre Kehlen zum Abendchor und einsam von einer Bergwiese her lobte eines Hütejungen Schalmei Gott den Herrn.”

Sowie, wenn er in drastischer Weise das Elend im Bergwerk mit mit einer morbiden Schönheit vermischt:

“Unten benahm ihm die Luft fast den Atem. Schweiß kochte aus den Poren. Er mußte sich abkühlen und lief in den alten Luftschacht. Eisiger Wind strich hier und ein Saugen wie aus dem schwarzen Brunnen der Ewigkeit herauf. Die gelbrote Flamme in seiner Lampe zitterte und gab ein zischendes Geräusch. Er stolperte über hockrige Gesteinsstücke und fiel in Schlammpfützen, seine Beine in den durchlöcherten Schuhen brannten von der Säure des Morastes. Die Verzimmerung war fast überall schon eingesackt. Die Stempel und Balken lagen in einem wüsten Durcheinander quer im Weg. Die Steine waren mit silbernen Zapfen behangen. Der Schacht glich einer breiten Straße in der endlos weiten und weißen Polarwelt. Auf einem Holzstumpf ruhte er sich eine Weile aus und sah auf die zauberhaften Blumen, die der Frost aus den Wänden getrieben hatte. Die Lampe warf rote und blaue Reflexe auf das Geglitzer. Im Gehirn legte sich endlich der Druck, der das Denken so lange benommen hatte.”

Auch in solchen Passagen gibt es allerdings Momente, in denen man sich zum Wohl der Erzählung wünschen möchte, Zech nehme sich ein bisschen zurück. Nicht zu sehr, keinesfalls möchte ich einem sprachlich so reichen Autor die für die Kunst tödlichen Ratschläge moderner Schreibschulen antragen. Aber ich denke es gäbe noch Raum, dass aus Zech der bestmögliche Zech würde, ohne dabei zum durchschnittlichst möglichen modernen deutschen Einheitsliteraten zu werden.

Und definitiv etwas überladen wird es phasenweise, wenn der Autor über Gefühle schreibt:

“Fern war jeder Zarthauch. Von den großen Tulpen in der Vase fielen zwei Blätter herab auf die braune Tischplatte und spiegelten sich in der Politur wie in einem schwarzen, tiefen Wasser. Versteckte Tränen brannten in den Gedanken Gabrieles, sie atmete schwer, um den Widerstand aufzubringen. Auch Michaels Gedanken fielen zurück, die Schwäche entspannte die Muskeln und der Raum legte sich wie ein düsteres Gefängnis herum. Nun hoben sie beide ihre Körper aus den Sesseln, mühsam wie überschwere Gewichte. Immer noch suchten der Augen lichte Punkte aneinander vorbei. Nur die Hände wollten sich treffen, zitterten dem Druck von Fleisch auf Fleisch mit Bangnis entgegen. Es half nichts. Gegeneinander anstürmend fanden sich wieder die Stimmen zu einer Brücke; es waren gleichgültige Redensarten, aber doch von einer Wärme beseelt, die weiter wollte und endlich auch wieder dorthin mündete, woher sie ausgegangen war…”

Dennoch lohnt es, Zech zu lesen. Denn ein Text, der aufs Ganze geht, und dabei einige Male daneben haut, ist einem, der bloß erzählt, was als nächstes passiert, immer vorzuziehen. Es passiert doch bereits im Alltag so viel, wenn ich einfach wissen will, was passiert, kann ich aus dem Fenster schauen. Oder Nachrichten. Zech ringt um Schönheit, nicht immer so erfolgreich wie manche andere, die diesem Weg folgten und folgen, aber phasenweise doch sehr beeindruckend. Dass die unzähligen Publikationen dieses Autors größtenteils nicht mehr zugänglich sind, stimmt traurig, zumal es sich ja nicht um einen Einzelfall handelt. Gerade jetzt schreiben mit großer Sicherheit auch wieder zahlreiche SchriftstellerInnen für die Tonne oder im besten Fall für einen kleinen Freundeskreis, während Grass, Zeh, Fitzek usw. gedruckt und wieder gedruckt werden. Besonders schade ist dass auch bezüglich der Gedichte Paul Zechs, denn der scheint einige starke verfasst zu haben, denen meines Erachtens die Balance zwischen Expressivität und klaren Bildern besser gelingt als etwa einem typischen Georg Heym, der zu dem Aushängeschild des Expressionismus und der Großstadtlyrik wurde. Etwa dieses, das sich online finden lässt:

Fabrikstraße Tags

Nichts als Mauern. Ohne Gras und Glas

zieht die Straße den gescheckten Gurt

der Fassaden. Keine Bahnspur surrt.

Immer glänzt das Pflaster wassernaß.

Streift ein Mensch dich, trifft sein Blick dich kalt

bis ins Mark; die harten Schritte haun

Feuer aus dem turmhoch steilen Zaun,

noch sein kurzes Atmen wolkt geballt.

Keine Zuchthauszelle klemmt

so in Eis das Denken wie dies Gehn

zwischen Mauern, die nur sich besehn.

Trägst du Purpur oder Büßerhemd –:

immer drückt mit riesigem Gewicht

Gottes Bannfluch: uhrenlose Schicht.

Was ich allerdings nicht finde, ist eine Auswahl der besten Texte. Die wäre insofern nötig, als dass ich mich durch einige der nur in Frakturschrift vorliegenden, in den Internet-Archiven gespeicherten Werke geblättert habe, und darin so viel reiner Ausstoß vorhanden ist, dass es bitter nötig wäre, daraus die Perlen zu fischen. Eine Selektion täte auch dem Erinnern an diesen Autor sicher gut.

Bild: wikiart, gemeinfrei

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