Ich hatte schon länger Lust, einmal eine größere Menge von DSA-Romanen zu samplen und die Spreu vom Weizen zu trennen, da prinzipielle „Shared Universes“ große Chancen für Fantasy bieten, aus dem Heldenreise- & Weltenkampt-Schema auszubrechen. Und „Das Jahr des Greifen“ kann ja nicht der einzige gelungene DSA-Roman sein? An Weihnachten gab es Kinde Unlimited für 3 Monate für 99 Cent, und so werde ich nun alle Texte lesen, die man dort kostenlos bekommt, und dann eine Art Kanon für eine literarisch anspruchsvolle Aventurien-Rundreise erstellen.
„Der Scharlatan“ ist der erste nummerierte Roman aus dem Universum von „Das Schwarze Auge“, und tatsächlich ein sehr starker Text der mittlerweile über 150 Bücher umfassenden Reihe. Von den etwa 20 Texten, darunter drei Trilogien, die ich zuvor gelesen habe, schätze ich nur „Das Jahr des Greifen“ stärker ein, wobei „Der Scharlatan“ der rundere Text ist. Weder gibt es Passagen, die rasch dahingeworfen wirken, wie im „Jahr des Greifen“, noch solche, die sich lesen, als habe jemand eine Pen & Paper-Runde mitstenographiert, wie besonders aufdringlich in Sphärenschlüssel. Das ist für mich auch deshalb eine positive Überraschung, weil Autor der DAS-Erfinder Ulrich Kiesow ist, und da wäre eine zu große Nähe zum Pen & Paper-Denken doch naheliegend gewesen.
Aber nein. „Der Scharlatan“ erzählt sehr sauber komponiert eine kleinere Geschichte aus dem DSA-Universum. Setting ist die Stadt Festum am Fuß des Gebirges Kosch sowie später Wälder und Felder unterhalb des Kosch. Es beginnt als eine kleine zwischenmenschliche Verwicklung. Der Wandermagier x hält sich als Jahrmarktsgaukler über Wasser. In einer Kneipe riskiert er eine dicke Lippe gegenüber drei Lanzerinnen des rein weiblichen Kriegerinnenordens von Festum. Die verpassen ihm daraufhin etwas mehr als nur eine dicke Lippe. Eine der Kämpferinnen hat Mitleid und transportiert ihn ab in seine karge Behausung. Die beiden freunden sich an, sie trinken zusammen und die Lanzerin willigt in eine Wette ein. Ungefähr über das erste Drittel folgen wir der Frage, ob der Magier seine Wette gewinnen kann, während im Hintergrund ein politischer Konflikt anschwillt. Dann wird die Lanzerin in diesem Konflikt hineingezogen, der Magier befreit sie und mit einer kleinen Gruppe reist man in Richtung des Kosch-Gebirges, um eine Rechnung der Landserin zu begleichen. Der Text ist nicht nur vom Plot her sauber gebaut, sondern stellt seine Welt auch sprachlich immer wieder sehr schön und plastisch vor Augen:
“In den Tagen des Boron steigt die Sonnenscheibe nicht mehr sehr hoch am Firmament hinauf, aber sie hat noch nicht alle Kraft verloren, und für diesen Tag hatte sie den stetig wiederkehrenden Kampf gegen die Nebelbank über dem Angbarer See gewonnen. In einzelne Schwaden aufgelöst, stieg der Nebel von der glatten Wasserfläche auf; lichtdurchtränkte Schleier und Fetzen schwebten höher und höher empor und vergingen schließlich vor dem leuchtenden Blau des weiten Himmels. Von einem dunkleren Blau, aber fast ebenso durchscheinend wie das Himmelsdach wirkten die schneegekrönten Gipfel der Koschberge, die in dunstiger Ferne hinter dem See aufragten. Eine breite Nebelbank umhüllte den Fuß des Gebirges, so daß es über dem Land zu schweben schien. Losgelöst von aller Schwere, prächtig und wehrhaft zugleich kündeten die Berge stumm von fremden Ländern, die sie beschirmten.”
Einige wenige Momente gibt es, in denen das pseudoarchaische Sprechen etwas zu gesucht wirkt, aber im Großen und Ganzen kann man wenig meckern an diesem Roman. Wären alle DSA-Texte auf diesem Niveau verfasst, könnte die Reihe als Gesamte jenen Platz einnehmen, den „Das Jahr des Greifen“ unter meinem besten 10 Fantasy-Serien einnimmt. Doch das ist leider nicht so. Einerseits liegt das an den wechselnden Autorinnen und Autoren, andererseits aber auch am Setting selbst, das nur in den europäisch anmutenden Gefilden solide genug entworfen ist, um darin überzeugende Geschichten zu erzählen. Je weiter man sich nach Süden bewegt, desto mehr regiert das Klischee, und selbst die besseren AutorInnen müssen daran scheitern, hier eine Geschichte zu erzählen, die nicht mindestens sehr nah an rassistischen Stereotypen angesiedelt ist.
Bild: Wikiart, gemeinfrei
Wow, ich finde die zitierte Passage liest sich schwungvoll und mitreißend. Ich bin überrascht. Vielleicht werfe ich ein Blick in diese Fantasy-Reihen, die du so gut bewirbst. Alldieweil einen guten Rutsch und Danke für die vergnüglichen Stunden auf deinen sehr vielseitigen Blog!!
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DSA enthält halt wirklich alles.
Gut geplottetes, nachlässig ausgeführtes.
Schwächer geplottetes, stilistisch gelungenes.
Vll ein paar wo alles halbwegs passt.
Und einiges, das sich liest, als habe wer eine Pen&Paper-Runde mitstenografiert…
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