Mehr Bericht als Roman. „Sturmvögel“ von Einar Kárason kennt kaum entwickelte Figuren oder Szenen.

Angesichts des Klappentextes von „Sturmvögel“ sollte man wenigstens einen spannenden Roman erwarten können:

„Winter 1956, ein isländischer Trawler liegt vor Neufundland auf stiller See. Zweiunddreißig Mann sind an Bord, das Wetter ausgezeichnet. Keiner ahnt, dass die Harmonie innerhalb von Minuten in ein monströses, traumatisches Szenario umschlagen wird: Ein Sturm kommt auf, das schwere Schiff ist plötzlich von Eis überzogen, droht zu bersten und in den unbändigen Wellen zu versinken. Notrufe anderer Schiffe laufen ins Nichts, niemand scheint eine Chance zu haben. Es ist ein erbitterter Kampf um Leben und Tod.“

Bedenkt mal dann auch noch, dass das Buch nur knapp 140 Seiten hat, hat man vielleicht sogar Grund, auf einen sprachlich oder kompositorisch besonders dichten Text zu hoffen.
Leider ist nichts von dem der Fall. Gerade so kann man überhaupt von einem Roman sprechen, es fehlte nicht viel, und man möchte das Buch als fiktionalisierten Erfahrungsbericht klassifizieren.

Es fehlt eigentlich jeglicher Spannungsaufbau. Ja: Wir steigen am Höhepunkt ein, da die Mannschaft der Mávur damit beschäftigt ist, Eis vom Schiff zu klopfen und so das Sinken zu verhindern. Aber viel mehr passiert dann auch nicht mehr. Es gibt einige längere Rückblenden, wie es zu der Situation gekommen ist, doch nie wird im Wechsel zwischen Gegenwärtigem und Früherem wirkliche Dringlichkeit entwickelt. Dazu trägt natürlich auch bei, dass Lárus, die Hauptfigur, wenn man ihn so bezeichnen will, kaum ernsthaft charakterisiert wird, dass die Figuren auf dem Schiff selten wirklich in Handlungen und Dialog aufeinandertreffen und dass an keiner Stelle ein Konflikt über das „wir könnten möglicherweise untergehen“ hinaus aufgebaut wird. Auch sprachlich, sei es durch den Rhythmus, sei es durch die Wahl der Bilder, wird zumindest in der deutschen Übersetzung niemals vermittelt, dass wir uns auf einem sturmumtosten, vereisten, träge rollenden und womöglich sinkenden Schiff befinden. Stattdessen zahlreiche nicht uninteressante didaktische Passagen über den Fischfang, aus denen man sicher das ein oder andere Neue lernt. Aber dafür brauche ich keinen Roman.

So bleibt als Stärke von „Sturmvögel“ vor allem dessen Kürze. Der Text ist zum Glück zu kurz, um zu langweilen, vielmehr hat er allerdings nicht für sich. Wer ein bisschen was über isländische Seefahrt und Fischfang Mitte des 20. Jahrhunderts lernen möchte, erfährt einiges, das man dann anderweitig vertiefen kann. Ansonsten sehe ich wenig Grund, diesen Roman zu lesen.

Bild: Pixabay.

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