Wider den Vertikalismus #2

Nicht nur die deutschsprachigen Dichter übrigens, auch und in besonders verwerflicher Weise die Übersetzer frönen einem heillosen Vertikalismus. Man schaue sich, zu vergegenwärtigen was das bedeutet, nur einmal auf die ersten Zeilen der Übersetzung von Thomas‘ Fern Hill durch Erich Fried an.

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Verständlich noch, dass die wenigen offenen Reime (easy – carefree) ignoriert werden, sie sind auch klanglich nicht sonderlich zentral fürs Gedicht. Dass aber nicht mal ansatzweise versucht wird, dem Teppich aus Assonanzen, den das Original webt, in der Übersetzung etwas Vergleichbares gegenüberzustellen zeugt vom fundamentalen Übersehen der für dieses Gedicht zentralen stilistischen Mittel. Vom rhythmisch-melodischen Swing des Originals ganz zu schweigen! Stattdessen wird der Text thesenhaft gedacht: Von einem Eingangsstatement geht es über frei assoziierte Bilder zu einer Art Schlussfolgerung. Noch augenfälliger ist die Ignoranz gegenüber zentralen Strukturmerkmalen und die fehlende Bereitschaft, dem Kunstwerk in der Übertragung auf Augenhöhe zu begegnen, bei Nachdichtungen zum Beispiel aus dem Chinesischen oder Persischen.

Es ist ein Elend mit dem Vertikalismus.

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