Beat & Hippie-Trail vor dem Hippie Trail? “Das traurige Tal” von Annemarie Schwarzenbach.

“Das traurige Tal” ist mein zweiter Versuch mit der Autorin Annemarie Schwarzenbach, nachdem mir ihr Reisebericht “Winter in Vorderasien” sprachlich sehr gut gefallen hat und ich nun nach künstlerisch stärker durchgearbeiteten Werken suche. Die lyrische Novelle war seltsam, interessant, auch teilweise sprachlich schön, aber am Ende alles andere als rund. „Das traurige Tal“ nun ist auch wieder etwas ganz anderes als erwartet, denn ehrlich gesagt hatte ich bei einer Schweizer Autorin und einem traurigen Tal irgendwelche schweizerische Settings erwartet. Stattdessen handelt es sich um etwas, das viele Momente der Reiseerzählung aufgreift, dabei aber deutlicher fiktionalisiert ist. Sprachlich definitiv mehr aus einem Guss als die lyrische Novelle, aber auch wieder kein wirklich runder Text. Und die Bezeichnung „seltsam“, wie ich sie für die lyrische Novelle verwendet habe, trifft auch hier wieder zu. Ich meine: Müssen zB alle Protagonisten von Schwarzenbach immer krank sein?

Der Erzähler hier ist zumindest von wechselnden Fiebern geplagt. Auch deshalb lagert man in diesem hohen Tal, von dem der Blick häufiger zum Berg Damavand geht, und beobachtet Hirten und Karawanen. Vor allem denkt der Erzähler über Leben und Tod nach, reflektiert die bisherigen Stationen seiner Reise, die ihn bereits zum dritten Mal in den Iran geführt hat, früher in die Türkei und als Archäologe nach Syrien. Irgendetwas hat ihn aus der Heimat vertrieben; einige dieser Gedankenfetzen deuten einen Bruch mit der Familie an.

“In Bagdad erreichte mich ein Brief: »Genug! – Wir wollen dich nicht an die persischen Hochebenen verlieren.«
Aber man kann nicht weit genug gehen, um die falschen Masse und Ziele zu vergessen. Ich musste dich enttäuschen, Freund! – Jahre vergingen, da schriebst du mir diesen anderen Brief:
»Wenn man dich, eines Tages, im Graben neben einer fremden Landstrasse auffinden wird –, wir werden nicht einmal den Mut haben, um dich zu trauern. Wir werden nur die Achseln zucken: du hast es nicht anders gewollt!«”

Manchmal wird auch auf eine Liebe angespielt, von der wir dann aber durch den Großteil des Textes hindurch wenig erfahren. Zentral dagegen die Frage, warum man nirgends leben kann, nirgends sich zu Hause fühlen:

“Warum bin ich nicht in Ankara geblieben? – Jetzt, wenn ich daran zurückdenke, höre ich wieder den Steppenwind. Ich gehe wieder der Strasse entlang, die – wie viele der neuen Strassen dort – nirgends hinführte und im Gras der Wildnis versickerte. Ich sehe wieder die samtigen Hügel im Abendlicht: violette, rote, nachtblaue, flammend gelbe Streifen teilten den Himmel. Und ich höre wieder das eintönige, ächzende Schreien der Ochsenkarren, die auf ihren Scheibenrädern aus schwerem Holz seit tausend Jahren Spuren in die Erde Anatoliens graben. »Nachtigallen« nennt sie der Volksmund. Ihr Gesang rollt wieder über die Steppe. Ich höre ihn wieder . . .

Den Spuren folgen? – Den wandernden Nomadenfeuern? – Kalter Glanz liegt auf den erfrorenen Ebenen, in den Dörfern bellen die kleinen Windhunde, die Hütten sind verschlossen, Rauch qualmt durch die Lehmwände. Kälte in Kaiserie, Kälte in Konya: jenseits des Taurus muss es mildere Gegenden geben.”

Die Erinnerungen des Erzählers springen in der Zeit und konfrontieren die Träume eines Kindes auf der Landkarte in der Schule mit späteren Erfahrungen, einen Fantasie-Orient der Kindheit und Jugend mit späteren Erlebnissen, wobei diese allerdings weiterhin in schillernde Bilder gekleidet werden, die man zumindest an der Universität gelernt hat, dem Orientalismus und dem Klischee zuzuordnen. Allerdings muss ich das einschränken: Ich war im Gegensatz zur Autorin nur zweimal kurz in der Türkei und kann daher nur die Kraft der Bilder bewerten, nicht ihre Fähigkeit, sich an tatsächliche Realität anzuschneiden. Schwarzenbach dagegen scheint ein von Reisen geprägtes Leben gehabt zu haben mit langen Aufenthalten in Türkei und Iran.
Des weiteren Freundschaften und Liebschaften zu mehreren Schriftstellerinnen sowie einer Ehe, die wahrscheinlich für die Fassade da war, und nicht zuletzt einer wohl gravierenden Opiumsucht, was vielleicht hilft die Frage oben zu beantworten: Warum müssen die Protagonisten immer krank sein? Auch Reflexionen über die Sucht nehmen weite Teile der Erzählung ein.

Wie bereits in der lyrischen Novelle bleibt das Geschlecht des Erzählers lange unklar, erst relativ spät wird er von anderen als Bursche und Kerl bezeichnet. Im 13. und letzten Kapitel wird dann ein wenig länger über die unglückliche Liebe gesprochen. Der Erzähler liebte eine Frau namens Jalé und musste sich von ihr trennen. Dieses 13. Kapitel ist ein bisschen komisch, es dürfte das längste des Buches sein und wirkt, als seien hier noch mal viele Informationen untergebracht, die ungeheuer wichtig sind für den Text, aber nicht organisch vorher im Text untergebracht werden konnten. Ein alter Freund, der sich umgebracht hat etwa, und eben diese Liebesgeschichte, die meines Erachtens besser im Verlauf der restlichen Erzählung oder in Rückblenden entwickelt worden wäre. Zum Schluss steht ein Zusammentreffen mit einem Engel, vielleicht eine Krankheitsvision oder Rausch?

“– Lauter Selbstmörder –, sagte der Engel, sehr deutlich. – Ich kann Dir nichts ersparen: auch Jalé ist tot. Sie war Tscherkessin, an Gehorsam gewöhnt und hatte einen zu harten Vater. Ausserdem glaubte sie sich unheilbar krank –, sie stürzte sich auf das Strassenpflaster der Stadt, in der Du sie erst kürzlich verlassen hast. –
Zuerst starrte ich dem Engel in die verschlossenen Augen. Dann schnellte ich auf, schrie.
»Ein Maultier! – In sechs Stunden kann ich die Strasse erreichen, ich muss zu ihr, noch diese Nacht!« – und schrie und wankte und hielt mich an einem Zeltpfahl fest.
– Der Engel schwieg lange –
Dann erhob er sich, hob die makellose Stirn, die durchscheinenden Lider, sein Blick ruhte auf dem Demawend, er wandte sich zum Gehen, und sagte:
– In ihrer letzten Stunde wollte sie Dich sehen. Es ist zu spät. Hast Du Deine ganze Hoffnung auf die Dauer einer Nacht gerichtet und auf einen Maultierpfad? –
Ich sah den Engel am Flussufer sitzen, unbeweglich, seiner Wolke entkleidet. Endlich näherte ich mich ihm und sagte schüchtern: »Dein Mantel. Er ist davongeschwebt.«
Da lächelte er. Ich sah, dass er lächelte.
»Was kümmert Dich meine Wolke . . .«

Tatsächlich erinnert mich die Verbindung von Reisen, Liebe, Krankheit und Drogen, wie es in den Texten von Schwarzenbach häufiger aufscheint, in übertragener Weise an den Beat und deutlich unmittelbarer an Texte über den Hippie-Trail und entsprechende Romane von Jörg Fauser, wenn die auch in einem ganz anderen Ton daherkommen. Auch das enttäuscht Werden von den Ausbrüchen überfällt uns in den späteren Werken der Beatbewegung in ähnlicher Weise. Und die Frage des Engels:

“Hast Du Deine ganze Hoffnung auf die Dauer einer Nacht gerichtet und auf einen Maultierpfad?”

Hätte man sie nicht ganz ähnlich auch an Sal Paradise richten können, den Protagonisten von “On the Road”, der zum Schluss doch wieder in die Bürgerlichkeit zurückkehren muss?

Schwarzenbach hat hochinteressante Texte verfasst. Sprachlich wird sie im Deutschen höchstens von Lasker-Schülers und Duvanels stärkeren Werken übertroffen. Leider habe ich bis jetzt noch keinen Text gefunden, der auch kompositorisch wirklich zusammenkommt, aber einen Blick wert sind die Romane allemal. Und auch über das anscheinend wilde Leben dieser Schriftstellerin mehr zu lernen, wäre interessant. Ja, so sehr ich Biopics hasse, ich könnte mir sogar einen Film vorstellen. Denn dass diese von Welt zu Welt, von Krankheit zu Krankheit und von Suchtklinik zu Suchtklinik pendelnde Mensch am Ende ausgerechnet durch einen profanen Fahrradunfall umkommt, hat selbst etwas an sich, dass tragisch ausgedacht wirkt.

Bild: Wiki, gemeinfrei.

Ein Kommentar zu „Beat & Hippie-Trail vor dem Hippie Trail? “Das traurige Tal” von Annemarie Schwarzenbach.

  1. Hier finde ich immer Perlen, Danke! Schöne Zitate herausgesucht, die mich neugierig machen, ohnehin weiß ich sehr sehr wenig über persische und türkische Literatur. Von der Türkischen nur Pamuk und Özdamar. Jetzt habe ich mir Tausendundeine Nacht besorgt, und dachte, das mal zu lesen. Hast du Vorschläge für persische Literatur? Diese Autorin jedenfalls (unabhängig von meiner Frage) schaue ich mir gerne mal an.

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