Unerwartet moderne Geschichte einer Fischerin: „Die Madonna mit dem Fischleib“ von Stratis Myrivilis.

„Die Madonna mit dem Fischleib“ von Stratis Myrivilis habe ich sehr günstig im Antiquariat entdeckt und vor allem mitgenommen, weil ich das Format dieser Manesse Weltliteratur Büchlein mag, die sich in jeder Hosentasche überall hin mitnehmen lassen. Es handelt sich um einen Klassiker der griechischen Literatur und gilt laut Wikipedia als das reifste Werk von Autor Myrivilis.

Wollte ich es formal/inhaltlich mit etwas bekannteren Texten vergleichen, so liegen die Werke des italienischen Verismo nahe. Die „Madonna mit dem Fischleib“ siedelt sich dort ungefähr in der Mitte zwischen den nüchternen Texten von Giovanni Verga und den romantisch-impressionistischen Werken Gracia Deledas an.

Auch Myrivilis erzählt breit vom Leben in einem kleinen Dorf. Vor allem auf den ersten 50 Seiten gibt es keine feste Hauptfigur. Stattdessen folgt man verschiedenen Fischern und Bauern durch ihren Alltag bei der Arbeit und in der Kneipe. Zahlreiche aus Anatolien vertriebene Flüchtlinge kommen in das Dorf und werden größtenteils freundlich aufgenommen, auch wenn noch lange zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen unterschieden wird. Dann kehrt der Fischer Varuchos aus der Stadt zurück und entdeckt, bereits im Hafen, in seinem Boot ein dort ausgesetztes Baby. Gemeinsam mit seiner Frau nimmt er das Mädchen auf und tauft es auf den schrecklichen Namen Smaragdi. Zwecks Klarheit: Ich finde den Namen schrecklich. Keine der Figuren im Buch scheint zu bemerken, wie sehr dieser Name immer wieder die Immersion der armen Lesenden brechen muss. Das Mädchen ist aufgrund unglaublich heller Haut, feinem Haar und strahlenden Augen eine Attraktion im Dorf und wird mit der Zeit sowohl bewundert als auch gehasst. Vor allem geht die Legende um, sie sei die Tochter eines Menschen und einer Nixe und werde irgendwann selbst einen Mann ins Verderben führen.

Der Roman bleibt ab jetzt auf Smaragdi fokussiert und erzählt von ihrer Kindheit und Jugend und davon, wie verschiedene Jungs bzw. junge Männer um sie werben. Smaragdi aber fährt mit dem Ziehvater zur See und will Fischerin werden. Als die Mutter stirbt, beginnt der Vater zu trinken, vertrinkt auch noch das Geld, dass er für Smaragdis Fischerboot zum Zeitpunkt der Volljährigkeit angespart hat, und wird übergriffig, woraufhin das Mädchen zu ihrer Patin übersiedelt. Schließlich bewahrheitet sich die düstere Prophezeiung doch auf eine alles andere als märchenhafte Weise.

Die Stärken des Romans liegen definitiv in seinen überzeugenden Schilderungen des Dorflebens, der Umgangsformen eines zumeist eher rauen Menschenschlages, der mit der Natur ebenso zu kämpfen hat wie mit der Politik, die fern in den Städten gemacht wird. Des Weiteren ganz besonders in seinen rustikal-poetischen Naturschilderungen, die immer wieder Dorf und Leben plastisch in einer Welt verorten, deren Schönheit zugleich bedrohlich sein kann.

„An der Küste hoben die Hügel mit den Ölbäumen ihren freundlichen Rücken und betrachteten sie schweigend. Auch die Felsen betrachteten sie, die ihre dicken Beine in langer Reihe tief ins Meer eingestemmt hatten. So fühlte sie sich im Herzen friedlich unter Gottes hellem Auge, fern von den unseligen Menschen, die manchmal Gutes wollten und Böses taten oder auch Böses wollten, das einen guten Ausgang nahm. Sie hielt in ihrer Bewegung inne und sah, dass sie während der ganzen Zeit, da sie gerudert hatte, um ihre Erregung zu besänftigen, aufs Neue über die magische Mondstraße fuhr, über die Straße Christi, die von silbernen Schmetterlingen glitzerte. Tiefer Friede waltete ringsum. Sie zog die Ruder ins Boot, schlug ihr Kreuz nach dem Himmel zu und streckte sich am Heck der Länge nach aus. Ganz allein, ruhevoll, gegen jedes Unheil gesichert. Sie fühlte, sie lag in Gottes Griff wie eine goldene Münze.“

Zumindest interessant ist auch, dass Myrivilis 1949 von einem kleinen Dorf schreiben kann, in dem eine Frau sich entscheidet, Fischerin zu werden und damit einen typischen Männerberuf zu ergreifen, ohne dass das von der Dorfgemeinschaft für total absurd oder geradezu undenkbar gehalten wird. Nicht, dass Smaragdi nicht von einigen angefeindet wird, teils weil sie partout keinen Mann möchte, teils weil alle Männer nach ihr verrückt sind, teilweise sicher auch, weil Frauen in dieser Welt eigentlich nicht Fischerin werden. Aber im Großen und Ganzen zeigt Myrivilis Smaragdis Umfeld doch als unterstützend; als das Boot fertig wird, jubelt sogar das ganze Dorf. Das ist sehr fern von der Geschichte, die wahrscheinlich jemand heute erzählen würde, wollte er die Geschichte der ersten Fischerin in einem kleinen Dorf vor 100 Jahren erzählen. Eine solche Protagonistin hätte nur mit Widerständen zu kämpfen; vielleicht gäbe es eine Mentorenfigur, die sie unterstützt, alle anderen wären maximal ablehnend. Nun mag in Myrivilis‘ Darstellung durchaus etwas Utopie hineingespielt haben. Kritik an der untergeordneten Rolle der Frauen auf dem Dorf kommt im Text immer wieder durch. Aber insgesamt scheint mir das ganze Werk, wenn schon nicht um eine sogenannte realistische, dann doch um eine plausible Darstellung eines kleinen Fischerdorfes bemüht, so dass ich geneigt bin zu glauben, dass wir die Vergangenheit doch häufig in gröberen schwarz-weiß Schattierungen zeichnen, als die es verdient.

„Die Madonna mit dem Fischleib“ ist ein gut lesbarer Roman mit einigen schönen Passagen, dafür einem passagenweise vielleicht etwas zu melodramatischen Plot. Der Titel bezieht sich übrigens auf eine Heiligenfigur in der kleinen Kapelle auf den Klippen beim Dorf, zu der die Dörfler beten. Die trägt einen Fischschwanz, wie überhaupt Nixengeschichten den Kern des dörflichen Mythenschatzes bilden.

Bild: wiki, gemeinfrei.

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