Stark mit großen Durchhänger. Tad Williams „Der Drachenbeintron“ / Große Schwerter 1.

„Der Drachenbeintron“ bzw. die Schwerter-Tetralogie von Tad Williams habe ich bisher zweimal angefangen und wieder abgebrochen – das erste Mal noch als älterer Jugendlicher, vielleicht so mit 18, 19 oder 20, als ich einen Fantasyklassiker abseits von „Der Herr der Ringe“ ausprobieren wollte. Dann noch mal ein paar Jahre später als Hörbuch. Ich erinnere mich, dass mir der Anfang auf der Burg Hochhorst ziemlich gut gefallen hat, das Ganze mit der Zeit aber langweilig wurde, nachdem der Protagonist Simon die Burg verlassen hat.
Mit den Rezensionsreihen zu „The Wheel of Time,“ „A Song of Ice and Fire“, „First Law“ und „The Stormlight Archives“ wollte ich aber auch dieser Reihe wenigstens noch einmal eine Chance geben, und sei es einfach, damit ich zumindest einmal schriftlich meine Gedanken zu den fünf großen Post-Tolkien-Fantasy-Klassikern niedergelegt habe. Und Williams‘ parallele Cyberpunk-Reihe „Otherland“ hat mir ja sogar noch bei der Relektüre trotz zugegebener Schwächen gefallen.

Was ich schon mal festhalten kann: Diesmal bin ich durch das erste Buch gekommen. Das mag auch daran liegen, dass ich mittlerweile langweilige oder Füller-Passagen leichter überfliege, statt mich wie als Teen Wort für Wort durch die Texte zu quälen.
Der Eindruck vom Auftakt bestätigt sich auch beim dritten Mal. Die ersten gut 200 Seiten sind richtig gut. Simon ist ein Küchenjunge, der zum Gehilfen eines Doktors aufsteigt, der wohl irgendwie auch ein bisschen Historiker und Magier ist. Der alte König Priester Johann stirbt, und obwohl es zu Beginn aussieht, als würde sich die Erbfolge gütlich regeln, tauchen Ungereimtheiten auf, und anscheinend lässt der ältere Prinz den jüngeren gefangen nehmen.
Das Entscheidende aber ist, wie Hochhorst aufgebaut ist. Durch Interaktionen mit Figuren verschiedener Stände, die als Nebenfiguren plastisch gezeichnet sind, wirkt die ganze Burg sehr belebt und dreidimensional. Auch wenn wir die meiste Zeit bei Simon verweilen, haben wir stets das Gefühl, dass die anderen Figuren parallel ihrem Leben nachgehen, bis sich die Wege wieder berühren. Auch die Art und Weise, wie, in High Fantasy unvermeidlich, die Weltgeschichte ausgebreitet wird, ist recht gut gearbeitet. Simon löchert den Doktor mit Fragen, und manchmal erzählt der einige Dinge, bis es wieder Wichtigeres zu tun gibt. So werden die einzelnen Passagen nicht zu lang, werden durch Tätigkeiten unterbrochen, und wir werden gleichsam mit Simon auf die Folter gespannt.

Auch die Welt, zumindest die Welt der Burg und der Blick von der Burg auf die weitere Welt, sind interessant und gut ausgedacht. Das Ganze ist deutlich offener an christliche Vorstellungen angelehnt als andere High Fantasy, wobei zugleich zum Christlichen parallel laufende Vorstellungen integriert werden. So spielt in der Religion etwa eine Figur eine Rolle, die durchaus einige Jesus-Charakteristika und Stationen von dessen Leben aufweist, aber zugleich im Namen und anderen Dingen stärker an den ägyptischen Osiris erinnert. Tatsächlich wird in der Religionswissenschaft theoretisiert, dass diese Figuren auf gemeinsame Vorstellungen zurückgehen (was nicht heißt, dass Jesus nicht gelebt hat, sondern nur, dass möglicherweise Osiris-Zuschreibungen bzw. Zuschreibungen zu anderen ähnlichen mit Wiedergeburt assoziierten Figuren Eingang in Jesus‘ Erzählungen fanden). Und die Besiedlungsgeschichte von Osten Ard erinnert an die halbmythologische Inselkeltische, nach der das von den frühen Kelten verdrängte Volk zu Elfen vergöttlicht wird, während die Kelten wiederum christianisiert bzw. von Menschen verdrängt werden, die sich im Verlauf christianisieren.
Nun könnte man sagen: Christentum? Ausgerechnet? High Fantasy ist doch ständig christlich. Aber das trifft es nicht wirklich. „Der Herr der Ringe“ bzw. der gesamte Tolkien, „Harry Potter,“ selbst „Narnia,“ sie sind zwar von christlichen Ideen und Werten beeinflusst, teils durchzogen, aber der eigentliche christliche Geschichtenschatz und noch mehr dessen organisierte Institutionen sind für gewöhnlich eher abwesend. Williams dagegen baut hier seine Welt bewusst auf christlichen Mythen auf, ohne sie so zu verschleiern, dass man das Ganze nur noch allegorisch lesen kann, und schafft auf diese Weise eine potenziell interessante parallele Welt, in der dieses Pseudochristentum mit vorchristlich keltischen Vorstellungen und ähnlichen verfremdeten Ideen und Gesellschaften aneinander stößt.

Leider bestätigt sich auch der Eindruck, dass es nach Hochhorst abwärts geht. Nachdem es in der Burg zum Kampf gekommen ist und Simon dem gefangenen Prinzen zur Flucht verholfen hat, muss auch er fliehen. Wir folgen dem Protagonisten dann, wie er durch einen Wald stolpert, bis er zufällig einen Sitha (Elf) retten kann und auf diese Weise auf einen Troll trifft, mit dem er fortan zusammen reist. Das Ganze ist nun ein großes Hin und Her, bei dem die beiden regelmäßig nur knapp einer Gefangennahme durch Verfolger entkommen. Während das, was ich weiter oben beschrieben habe („Auch die Welt…“), in Auseinandersetzungen mit Fantasy für gewöhnlich das „Worldbuilding“ genannt wird, nenne ich das höchstens die Vorarbeit zu einer Geschichte. Geschaffen, gebaut, wird die Welt mit einer guten Geschichte. Und das klappt ab jetzt deutlich schlechter. Die Sitha, also elfenartige Wesen, Trolle, Riesen – das waren auf Hochhorst alles ferne Mythen. Von vielen wurde bestritten, dass es so etwas überhaupt je gab. Simon braucht aber nur wenige Tage zu Fuß durch die Welt zu stolpern, um all das und mehr zu treffen. Man sollte meinen, dass Reisende dann ständig auf solche Völker treffen, und die hätten niemals in Vergessenheit geraten können. Distanzen fühlen sich kaum wie Distanzen an. Ein Gefühl für die Geographie bekommt man nicht, weil Simon die ganze Zeit damit beschäftigt ist, vor irgendwem wegzulaufen. Definitiv fehlen dem Text Momente der Ruhe. Wenn die Gruppe eine Abtei ansteuert, wo man angeblich immer freundlich aufgenommen wird, findet man die Abtei abgebrannt und muss weiterziehen. Wenn man dann wenig später einer dem entführten Prinzen treuen Truppen in die Arme läuft und gemeinsam reisen könnte, wird man in der ersten Nacht von geheimnisvollen Schattenwesen überfallen. Nachdem man schon einmal in dem alten angeblich magischen Aldheorte war, mal rasch irgendwo anders hingegangen ist und in diesen Wald zurückkehrt, weil dort eine magisch begabte Frau leben soll, wird man im Wald von Hunden gehetzt, entkommt den Hunden, hat kaum Ruhe gefunden, wird wieder von Hunden gehetzt. Eine risikoreiche und umkämpfte Flucht mit einem Boot soll nun in eine alte Sithe-Stadt führen, und durch die Schifffahrt sollte man doch weit weg sein von allen, die die Protagonisten zuletzt verfolgt haben. Aber die Häscher warten schon in der alten Stadt. Diese Ruinen, das wäre ein idealer Ort gewesen, um zu rasten und zu staunen. Williams macht daraus einen weiteren generischen Kampfplatz. Man sieht, wie das weder für die Spannung insgesamt zuträglich ist, noch für das Gefühl einer tatsächlich belebten und geheimnisvollen weiten Welt. Ständig wandert man hierhin und dorthin, ständig sind die Gegner schon da. So mag es sich anfühlen, wenn man über ein paar Wiesen und durch ein paar kleine Dickichte gejagt wird und dabei Haken schlägt, aber doch nicht in einer weiten Landschaft, in einem ganzen Land!

Immerhin, in der Feste Naglimund blitzen die Stärken aus Hochhorst wieder auf, und die zweite Reise ist deutlich stärker. Als eine Gruppe um Simon sich auf die Suche nach einem der drei Großen Schwerter macht, wird die Weite des Landes spürbar.

Nun denn. Der starke Start und einige Momente dazwischen lassen hoffen, dass die Schwerter-Tetralogie zumindest ein amüsanter Zeitvertreib bleibt. So schlimm, dass ich abbrechen müsste, wurde es bisher nicht. Die Story ist relativ generisch, aber das ist nicht unbedingt schlecht. Wie schon öfter gesagt: Topoi tradieren sich, weil sie funktionieren, und Williams variiert durchaus. Irgendwelche Schattenwesen sind ein Bündnis mit dem neuen König eingegangen, der von einem fragwürdigen Priester beraten wird, aber irgendwie scheinen diese Schatten auch die Nornen zu sein, die wiederum Abkömmlinge der Sitha sind (etwa wie Drow in AD&D z.B.?). Die also ganz gute Gründe haben könnten, gegen die Menschen zurückzuschlagen, denn die Sitha als die alten Bewohner des Landes wurden eben von den Menschen vertrieben. Das formuliert dann gegen Schluss auch ein Sitha recht deutlich:

“»Dann wisse auch das«, versetzte Jiriki steif. »Selbst wenn die Jahre, die zwischen unserer Trennung von den Hikeda’ya – die ihr Nornen nennt – und heute liegen, zahlreich sind wie die Schneeflocken, sind wir doch vom selben Blut. Wie könnten wir uns auf die Seite der Menschen, der Emporkömmlinge, stellen, wenn es um unser eigenes Geschlecht geht? Warum sollten wir das tun, wenn wir doch einst, als wir aus dem äußersten Osten hierherkamen, mit jenen anderen unter derselben Sonne wandelten? Welche Bündnistreue könnten wir den Sterblichen schulden, die uns und alles andere so eifrig vernichtet haben … sogar sich selbst?« Keiner der Sterblichen außer Binabik hielt seinen kalten Blick aus. Jiriki hob einen langen Finger. »Und der, den ihr im Flüsterton den Sturmkönig nennt … er, der einst Ineluki hieß …« Er lächelte bitter, als die Gefährten sich unruhig regten und ein Schauer sie überlief. »Ja, sein bloßer Name macht euch Angst! Einst war er von uns allen der Beste – herrlich anzusehen, weise über alles Verständnis der Sterblichen hinaus, hell strahlend wie eine Flamme! Wenn er jetzt ein Wesen finsteren Grauens ist, kalt und voller Hass, wer trägt die Schuld daran? Wenn er heute, körperlos und rachedürstend, Pläne schmiedet, die Menschheit von seinem Land zu fegen, wie man Staub von einer Buchseite wischt – warum sollten wir nicht jubeln? Nicht Ineluki war es, der uns in die Verbannung trieb, sodass wir uns unter Aldheortes dunklen Bäumen verbergen müssen wie das Wild, stets wachsam, damit man uns nicht entdeckt. Im Sonnenlicht schritten wir durch Osten Ard, bevor die Menschen kamen, und das Werk unserer Hände war köstlich unter den Sternen. Was haben die Sterblichen uns je gebracht außer Leid?«”

Durchaus manches Potential also. Mal sehen, was daraus noch wird.

Bild: wikiart, gemeinfrei.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..