Beinahe eine Kopie von „Der Herr der Ringe“ – „The Sword of Shannara“ von Terry Brooks.

Zu Beginn von „Das Schwert von Shannara“ begegnet der junge Flick auf dem Heimweg einer Exposition. Die Exposition ist gut sieben Fuß hoch und wirkt monströs im finsteren Gebirge. Deshalb hat Flick zuerst Angst, führt sie dann aber doch in sein Dorf und die Herberge seines Vaters. Irgendwann verrät die Exposition ihren Namen (Allanon), dass sie ein großer Historiker ist und beginnt mit dem, wofür sie geschaffen wurde: Sie erzählt uns, bzw. den Brüdern Flick und Shea alles, was wir vorerst über die Welt von Shannara wissen müssen. Das ist ungefähr das Folgende: Einst waren die Menschen das herrschende Volk, es gab einen großen Krieg und eine lange Zeit des Wiederaufbaus. Mittlerweile haben andere Völker mehr Macht, etwa die Trolle im Norden, die Zwerge, die sich von den Menschen abgespalten haben und die zurückgezogenen Elfen. Noch einmal gab es einen großen Krieg, als die Trolle in den Süden einfielen, und jetzt leben die Menschen ohne größere Herrschaftsräume, jeweils fixiert auf ihre kleinen Dörfer und Städte. Außerdem ist da irgendwo im Elfenreich ein Schwert in einem Stein, und nur wer das Blut von Shannara sein eigenen nennt, kann es herausreißen. Und ein entfernter Nachkomme des Elfenkönigs Shannara ist… nein, nicht Flick, der die Exposition im Gebirge getroffen hat, sondern sein Bruder Shea.
Soweit, so relativ typisch. Aber gleichzeitig doch interessant genug, um Lust auf die Geschichte zu machen. Denn die typischen Tropen, die sich durch Jahrtausende des Erzählen ziehen, haben ja nicht so lange überlebt, weil sie nicht funktionieren würden. Und ich ziehe einen halbwegs gut gemachten klassisch erzählten Roman einer leider ja doch oft schlecht gemachten „Dekonstruktion“ des Selben definitiv vor. Nicht, dass es sowas nicht auch in gut gäbe, aber allzu oft erschöpft es sich ja doch im Vertauschen von ein paar Figureneigenschaften oder typischen Plotelementen, oder, am schlimmsten: Dem ironischen kommentieren solcher Plotelemente durch Figuren, ohne dass die „Dekonstruktion“ in die Struktur eingriffe.

Shannara dagegen geht so unironisch wie erwartbar weiter. Die beiden Protagonisten müssen in der Nacht fliehen, orientieren sich in Richtung eines Freundes, der Ihnen helfen könnte, sowie schließlich in eine Zwergenstadt, wo eine größere Gruppe zusammengestellt wird, um das magische Schwert zu bergen. Die Bergung gelingt nicht, die Gruppe wird getrennt, es sind noch einige Abenteuer zu bestehen und so weiter. Auch die Exposition in Gestalt eines Druiden ist natürlich Teil der Gruppe und hat noch viele Gelegenheiten, uns die Hintergründe der Welt zu erklären.

Shannara hat zwei große Schwächen.
1: Aus diesen Hintergründen, die durchaus interessant sind, wird verdammt wenig gemacht.
2: Es benutzt tatsächlich zu viele Plotelemente aus „Der Herr der Ringe“ nicht im Sinne allgemeiner Topoi der Heldenreisen vergangener Jahrtausende, sondern im Sinne einer eins zu eins Kopie.

1) Shannara ist eine postapokalyptische Welt. Vor Jahrtausenden hat sich die Menschheit auf unserem heutigen hochtechnisierten Zustand beinahe ausgerottet. Die überlebenden Völker sind möglicherweise alle Mutationen der letzten Menschen, die Druiden waren ursprünglich eine Gruppe, die versucht hat, die Technik zu bewahren ehe sie sich stattdessen der Magie zugewandt hat. Etwa nach einem Drittel des Romans zieht die Gruppe durch eine versunkene Anlage oder Stadt, die offenkundig aus dieser hochtechnisierten Vorvergangenheit stammt. Ach, was wäre das für ein Gänsehautmoment, hätte nicht die Exposition in Gestalt eines Druiden uns diese ganze Geschichte schon vorher enthüllt. Ja, wirklich: Wir entdecken nicht langsam, dass die Welt von Shannara eine postapokalyptische Fantasyvariante unserer Welt ist, wie etwa in Gene Wolfes Sun-Tetralogie. Es wird uns relativ früh in einem historischen Einschub am Lagerfeuer dargelegt. Was für eine verschenkte Gelegenheit. Und natürlich fragt man sich auch, wie glaubwürdig es ist, dass aus den Resten der Menschheit sich ausgerechnet die typischen Völker und Klassen der Mittelalterfantasy entwickeln, die die Menschheit sich vor dieser Katastrophe erträumt hat.

Es gibt unter anderem hier eine noch nicht einmal vollständige Liste aller Gemeinsamkeiten mit „Der Herr der Ringe“. Deshalb möchte ich das nicht alles wiederholen. Es reicht zu sagen: Es ist zu viel. Nicht aus urheberrechtlichen Gründen, sondern aus ästhetischen. Ich halte sowieso nicht viel von „kulturellen Verweisen“ als Stilmittel, aber es gibt definitiv eine Grenze, ab der das Entdecken von Verweisen zur Enttäuschung über schon einmal Gelesenes wird, besonders wenn es sich immer wieder um das gleiche Buch handelt.
Zumal Shannara eben auch im Vergleich nicht gut wegkommt. Gewiss, das Ganze ist ganz unterhaltsam und würde deutlich unterhaltsamer sein, würde man Herr der Ringe nicht kennen. Aber es ist nicht nur der spätere, sondern auch der schwächere Text. Man bekommt selten ein echtes Gefühl für die Plastizität der Welt. Es fehlt diese Tiefe, die in „Der Herr der Ringe“ durch Lieder und Gedichte, über die die Figuren diskutieren und versuchen, sie zu deuten, über Gespräche und Anspielungen und vieles mehr hergestellt wird. Ja, auch „Der Herr der Ringe“ hat zu viel Infodump, gerade auch im Vergleich zu Tolkiens weniger bekannten Texten. Und er wird nie wieder so gut, wie in den tatsächlich gelungenen Passagen im Auenland, aber zu Shannara ist das doch kein Vergleich. Hier wird der Großteil der Backstory durch die wandelnde Exposition Allanon ausgefüllt.
Ach ja, und wenn man schon so deutlich an Herr der Ringe anschließt, sollte man sich vielleicht bei den Namen mehr Mühe geben. Es gibt zum Beispiel einen Elfen, der Durin heißt. Entschuldigung, aber Durin ist ein Zwergenname. Ja, ich weiß, nur in „Der Herr der Ringe“. Aber es ist in diesem Roman nun mal nicht möglich, nicht an „Der Herr der Ringe“ zu denken. Ein Mensch dagegen heißt Balinor, was so deutlich an Valinor erinnert, dass man die Figur auch kaum als Menschen sehen kann. Es scheint keine Namenskonventionen zu geben, keine Endungen oder Etymologien, die zumindest grob Figuren zuzuordnen lassen, was viele Nebenfiguren seltsam gesichtslos bleiben lässt. Man hat das Gefühl, Brooks ließ sich von seiner jeweiligen Lektüre leiten, pickte irgendwelche Namen oder Worte heraus und veränderte sie ein wenig. Eine Stadt heißt Varfleet. Und mittlerweile denke ich auch dabei an Starfleet.

Ich hätte noch einiges zu sagen, aber ich denke, das ist genug. Für viele könnten sowieso die ersten Seiten des Romans darüber entscheiden, ob man weiterlesen will oder nicht. Ich glaube, ich habe noch nie eine so mit Adjektiven gesättigte Beschreibung gelesen:

„The sun was already sinking into the deep green of the hills to the west of the valley, the red and gray-pink of its shadows touching the corners of the land, when Flick Ohmsford began his descent. The trail stretched out unevenly down the northern slope, winding through the huge boulders which studded the rugged terrain in massive clumps, disappearing into the thick forests of the lowlands to reappear in brief glimpses in small clearings and thinning spaces of woodland. Flick followed the familiar trail with his eyes as he trudged wearily along, his light pack slung loosely over one shoulder. His broad, windburned face bore a set, placid look, and only the wide gray eyes revealed the restless energy that burned beneath the calm exterior. He was a young man, though his stocky build and the grizzled brown hair and shaggy eyebrows made him look much older. He wore the loose-fitting work clothes of the Vale people and in the pack he carried were several metal implements that rolled and clanked loosely against one another.“

Obwohl das einerseits einige Atmosphäre herstellt, sind es genau solche Textpassagen, die Idioten dazu bringen, in Schreibratgebern oder online zu schreiben, dass eigentlich jedes Adjektiv eins zu viel sei und man zum Punkt kommen sollte. Denn so wirklich aus der Welt speisen sich diese Beschreibungen nicht. Ihre Sprache reißt eher raus aus der Versenkung in den Gegenstand, weil sie allzu deutlich sich als die eines Autors markiert, der heroisch-archaische Fantasy schreiben will. Und das Schlimmste: Das ist, zumindest bis zu diesem Exzess getrieben, noch nicht einmal der Stil des weiteren Romans. Auch wenn der Stil weiterhin bildreich bleibt und eine Fülle an Adjektiven auffährt, zu solchen Exzessen kommt es dann doch eher selten. Weshalb man sich von den ersten Seiten womöglich ganz umsonst abschrecken lässt.

Bild: Wiki, gemeinfrei.

2 Kommentare zu „Beinahe eine Kopie von „Der Herr der Ringe“ – „The Sword of Shannara“ von Terry Brooks.

  1. Habe ich, wie so viele Fantasyreihen, als Jugendlicher gelesen und bin aus genau den Gründen nie über Band 1 hinausgekommen. Als ich dann vor ein paar Jahren Band 2 „Elvestones of Shannara“ las, war ich angenehm überrascht, dasss Brooks da doch anfängt, etwas Eigenständiges zu entwickeln.

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