Dichte Lowangen-Atmosphäre, Trolle und starkes Finale. DSA-Roman “Das Greifenopfer”.

“Das Greifenopfer” macht als DSA-Roman eigentlich all die Dinge, die mir auf die Nerven gehen und sowohl im DSA-Universum als auch in der Fantasy allgemein selten einen wirklich starken Roman erwarten lassen. Am Ende steht (dem Anschein nach) das Schicksal der ganzen Welt auf der Kippe, und auf dem Weg dahin treten (natürlich) auch noch Dämonen auf. Dennoch ist „Das Greifenopfer“ einer der stärksten Texte der 200-teiligen Reihe, ich bin sogar geneigt, ihn der kleinen Must-Read-Fraktion zuzurechnen.

Das liegt daran, dass die Geschichte gut aufgebaut ist, die sonst oft anstrengenden Elemente eine sinnvolle Funktion im Ganzen erfüllen und der Text über viele plausible „kleine“ Stationen entwickelt wird, ehe sich ganz langsam der große Konflikt aufbaut. Der dann auch noch ganz anders ausgeht und eine ganz andere Bedeutung hat, als meist in solchen Weltenkampfszenarien.

Im Zentrum stehen anfangs die Geschichten von Mayla und Greifwin. Greifwin ist mit einer Reisegruppe nach Lohwangen gekommen, deren Bedeutung lang unklar bleibt. Er wird bald als Phexgeweihter enthüllt und versucht, Bilder einer Serie über Lohwangen zu stehlen. Mayla dagegen ermittelt rund um die Bilder und die Diebstähle. Sie ist Magierin und nach langem Vorgeplänkel zeigt sich, dass die Bilder ein magisches Geheimnis haben. Das Geheimnis führt die beiden Antagonisten zusammen und in die Gesellschaft eines Trolls. Die Art und Weise, wie in die Kultur der wahrscheinlich seit 100.000 Jahren in Aventurien lebenden und sich immer weiter zurückziehenden Trolle eingestiegen wird, ist definitiv eines der Highlight des Romans. Insgesamt geht es thematisch um widerstreitende Weltbilder. Menschen, Trolle, Orks, sowohl gegeneinander als auch untereinander, haben stark unterschiedliche Verständnisse des Willens und der Geltungskraft der Götter, was der Roman in interessanter und nicht wertender Weise untersucht. Auch für die Darstellung der Orks als gleichberechtigt kulturschaffendes Volk dürfte „Das Greifenopfer“ beispielhaft sein. Letztendlich dreht sich der Text um ein mächtiges Artefakt, das das Schicksal der Welt verändern können soll. Doch da hinein wollen wir nicht zu tief tauchen. Die Stärke liegt definitiv in der Detailarbeit. Lowangen wird immer wieder sehr plastisch gemacht:

“Unmittelbar vor dem arkanen Institut tobte geschäftiges Treiben. Unzählige Händler hatten während des Tages über auf dem Marktplatz ihre Stände errichtet und versuchten, sich mit ihrem Geschrei gegenseitig zu übertönen. Mayla erblickte Obst und Gemüse, bunte Stoffe, Korb- und Lederwaren und zahlreiche andere Dinge mehr, die den neugierigen Bürgern der Stadt feilgeboten wurden. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, dass sich das Leben in Lowangen verändert hatte, seit es den Svelltschen Städtebund nicht mehr gab. Doch wenn man genauer hinsah, dann bemerkte man sehr wohl, dass gewisse Waren über die Maßen teurer geworden waren. Und nicht nur das. Lowangen war schon immer eine Flüchtlingsstadt gewesen, die insbesondere auf ehemalige Mittelreicher wie ein Magnet wirkte. Und waren es nun desertierte Soldaten, Bauern, die ihrer Landvögte überdrüssig geworden waren oder die alteingesessenen Lowanger selbst: der Umgangston der Menschen untereinander war in den letzten Jahren rauer geworden.”

Und überhaupt glänzt der Roman durch gelungene Bilder und Beschreibungen:

“Der Elf geleitete Mayla zur Tür und blickte ihr noch eine Weile nachdenklich nach, wie sie am Tsatempel vorbei in Richtung Altstadt ging. Inzwischen war die Sonne vollends untergegangen und das Madamal, das an ihrer Statt voll und rund am Horizont aufgegangen war, tauchte die Gebäude der Stadt in sein geheimnisvolles, silbernes Licht. Selbst der sonst so farbenprächtige Tsatempel verlor in diesem kalten Schein seine Pracht, ganz so, als verbeuge er sich vor der himmlischen Macht. Der Elfenmaler starrte zum Nachthimmel hinauf und sog die kühle Luft ein.”

Einige schwächere Momente entstehen, wenn der Autor es für nötig hält, einerseits die In-Weltsprache zu benutzen das aber andererseits zugleich zu erklären:

“Der Horizont zu ihrer Rechten war erfüllt von einem unwirklichen Meer goldgelber Sonnenblumen, das im Dämmerlicht von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, der Praiosscheibe, in blutrotes Licht getaucht wurde. Zu ihrer Linken war längst die Nacht über der Ebene hereingebrochen. Mit der Dunkelheit war auch der Mond, das Madamal, am Firmament aufgestiegen, um, so schien es, die letzten Reste des goldenen Sonnenscheins mit seinem fahlen Licht zu verdrängen.”

Ziel ist sicherlich, den Texte sowohl für DSA-Veteranen als auch für Außenstehende lesbar zu machen. Doch ich denke, Außenstehende kämen auch aus dem Kontext dahinter, was mit Madamal und Praiosscheibe gemeint ist. Und DSA Veteranen kämmen eher mit der Bezeichnung Mond und Sonne zurecht, als mit dieser ungelenke wirkenden Doppelung, die sich aus der Erzählung heraus selbst kaum begründen lässt. Ähnliche Probleme gibt es hier und dort auch noch bei der Beschreibung von Magie und historischen Abrissen.

Aber das sind Kleinigkeiten. „Das Greifenopfer“ ist durch und durch lesenswert, es vermeidet meistens Klischees …und wer jetzt den Schluss nicht gespoilert bekommen möchte, liest einfach nicht weiter

…Das gilt auch zum Ende hin, da nämlich die eigentliche große Mission vollends scheitert. Oder zumindest fast vollends. Greifwin gelingt es, seinen ursprünglichen Auftrag zu erfüllen, und Sternenstaub mitzubringen, doch letztendlich retten die beiden Abenteurer sich gegenseitig, anstatt dass sie die Chance nutzen, dem Anführer der Orks eine mächtige Streitaxt, höchstwahrscheinlich ein Artefakt der Götter, abspenstig zu machen. Ihre schwere Aufgabe wird also nun sein, das Svelltal zu informieren, dem ein neuer, göttlich begünstigter, Orkensturm bevorsteht. Der Endkampf um das Schicksal der Welt wird also „verloren“, steht aber in Wahrheit noch an, wenn überhaupt. Eine interessante Lösung für eine sonst bereits bis zum Exzess erlebte Klimax, die aber auch literarisch wiederum stark gestaltet wird und sich vor einer besonders für DSA-Kenner faszinierenden Kulisse entfaltet.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

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