„Der Duft von Eis“ von Yoka Ogawa ist eine poetische Suche nach einer unklaren Vergangenheit – vielleicht etwas zu unklar?

„Der Duft von Eis“ von Yoko Ogawa beginnt mit einem schrecklichen Ereignis und entwickelt sich dann als sehr in sich gekehrte Suche nach einer Vergangenheit. Der Parfumeur Hiroyuki hat sich getötet, indem er reines Ethanol getrunken hat. Seine Freundin Ryoko trifft in diesem Zusammenhang zum ersten Mal dessen Bruder Akira, und beim Austausch über die Dinge, die sie über den Toten wissen, stellen sie fest, wie viel der Tote jeweils verheimlicht hat und wie viel auch einfach frei erfunden war. Wir folgen Ryoko auf zwei Zeitebenen auf der Suche nach der Vergangenheit ihres Freundes. Einerseits auf Besuch im Elternhaus, wo besonders die Mutter der Freundin nicht wirklich traut. Andererseits auf Basis von Puzzleteilen, die sie im Elternhaus zusammengetragen hat, auf einer Reise nach Prag, wo vor vielen Jahren Hiroyuki in einem Mathewettbewerb aktiv war, den er plötzlich abgebrochen hat. Die beiden Zeitebenen werden auf unaufdringliche Weise parallel erzählt, man hat nie das Gefühl, einer modernen „Konstruktion“ beizuwohnen, die vor allem existiert, weil man moderne Romane zwingend auf mehr als einer Zeitebene erzählen muss. Sondern die Wechsel zwischen den Ebenen gehen auf Basis das Erzählten sinnvoll auseinander hervor.
Angeleitet wird Ryokos Suche neben Hinweisen aus dem Elternhaus vor allem von einem Gedicht bzw. von Notizen zu Parfümen, die man als Gedicht lesen könnte:

“Wassertropfen, die aus Felsspalten fallen.
Kalte, feuchte Luft in einer Grotte.
Ein verschlossenes Archiv.
Staubpartikel im Licht.
Ein über Nacht zugefrorener See im Morgengrauen.
Der sanfte Schwung einer Haarsträhne.
Verblichener, aber noch weicher Samt.”

Einige Düfte findet Ryoko in Prag wieder, und das führt sie auch zur ungewöhnlichsten Begegnung des Romans, einem „Hüter der Pfauen“ im Botanischen Garten. In der Begegnung mit dieser Figur schlägt die Erzählung mild ins Phantastische um, allerdings muss man das nicht zwingend so lesen, der Hüter der Pfauen könnte auch einfach ein ziemlich komischer Kauz sein. Eine zentrale Stelle:

“»Pfauen sterben also auch.« »Selbstverständlich. Sobald sie ihre Aufgabe erfüllt haben , erlischt ihr Leben. Wenn man ihren Schlund aufschlitzt und sich das Blau in zwei Hälften teilt, lugt aus der Tiefe das Herz heraus. Man schiebt seine Hand zwischen die Brustknochen und holt es vorsichtig aus dem Leib, möglichst ohne es zu beschädigen.« »Ist das nicht schrecklich?« »Überhaupt nicht. So ein Herz besitzt eine wunderschöne blutrote Farbe. Man mag kaum glauben, dass es von einem toten Tier stammt. Wenn man nur ein wenig Druck auf die hübsch verzweigten Adern ausüben würde, sähe es aus, als würden sie schmelzen. Am liebsten hielte ich ein solches Herz ewig in Händen. Aber leider geht das nicht.« »Wieso nicht?« »Die Herzen sind voll mit den Worten all jener Menschen , die ihnen ihre Erinnerungen anvertraut haben. Damit diese nicht verloren gehen, muss jedes Pfauenherz sorgsam in einem Gefäß aufbewahrt werden . Ich bin nur ihr Hüter.« ”

Ryoko scheint am Ende befriedigt von den Ergebnissen ihrer Suche, ob die Lesenden ihr darin folgen wollen, bleibt ihnen selbst überlassen. Wirklich viele Antworten haben wir nicht bekommen. Ja, wir wissen, warum Ryoko den Mathewettbewerb verlassen hat. Aber warum sein halber Lebenslauf beispielsweise erstunken und erlogen war? Warum er auch der Freundin kaum etwas von seiner Vergangenheit erzählte? Das lässt sich allerhöchstens diffus ahnen.
Eine durchaus interessante Lektüre, die angesichts des flüchtigen Themas „Düfte“ meines Erachtens auf der sprachlichen Seite ruhig noch etwas filigraner, „poetischer“ hätte ausgeführt werden können. Das mag allerdings auch an der Übersetzung liegen.

Bild: Pixabay.

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