Gedichte, deren Klänge sich kaum übersetzen lassen. Forugh Farrochsad – „Jene Tage“.

Vor mittlerweile 15 Jahren hat mich eine gute Freundin im Anschluss an Solidaritätskundgebungen für iranische Demonstrierende zum ersten Mal mit der Lyrik der 1967 jung verstorbenen Forugh Farrokhzad in Berührung gebracht. So viel von dem, was sich in den Protesten Bahn brach, fand sich für uns auch in den Versen der Lyrikerin wieder.

Farrokhzads Voraussetzungen zu schreiben hatte die Weiße Revolution Mohammad Reza Pahlavis mit ihrer oberflächlichen Liberalisierung der Gesellschaft erst geschaffen, aus ihren Gedichten sprach aber immer auch das Leid an patriarchalen Zuständen und den Schattenseiten der Modernisierung. In eine gutbürgerliche Familie geboren, oszillierte Farrokhzad zwischen der Hoffnung auf die versprochenen Freiheiten der bürgerlichen Gesellschaft und einer tiefen Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Verwirklichung dieser. „Nach dir, als wir noch unterm Tisch zu spielen pflegten / Krochen wir unter den Tischen hervor … / Stiegen auf die Tische / Spielten auf den Tischen“, schreibt Farrokhzad in „Nach Dir“. Und weiter: „Es heulte der Wind … / Und plötzlich fiel mir ein, wie deine jungen Staaten / Den Überfall der Heuschrecken so sehr fürchteten / Wie viel hat man zu zahlen“. Doch solchen zivilisationsskeptischen Versen stehen zärtliche Feiern der romantischen Liebe entgegen, ebenso wie eindringliche Emphasen der kleinen Freiheiten und Annehmlichkeiten: „Einer kommt aus dem Feuerwerk am Himmel / des Kanonenplatzes / Breitet das Tischtuch aus / Und teilt das Brot aus / Teilt Pepsi-Cola aus … / Teilt Karten aus fürs Kino von Fardin“.

Die lange kalte Jahreszeit

Viel glaubte ich bei meiner ersten Lektüre im Jahr der schicksalsträchtigen Wahl von Elementen des amerikanischen Beats bei Farrokhzad zu finden: dieselbe über Langzeilen im Atemrhythmus gesteuerte tänzelnde bis predigende Sprachmelodie, dieselbe Bereitschaft, die zeitgenössische Welt als „beste aller Welten“ zu umarmen, gleichzeitig eine ähnliche innere Distanz gegenüber dieser eigenen Haltung. Und nicht zuletzt vergleichbare Untergangsvisionen, die sich bei Farrokhzad in Zeilen wie den folgenden ausdrücken: „Und die Leute, die beim Schlachthaus wohnen / Deren Garten blutig ist … / Warum tun die nichts“. In den unerwartetsten Momenten wirkt es, als springe die Islamische Republik den Leser bereits aus den Gedichten Farrokhzads an. Das ist natürlich streng genommen nicht möglich, die Autorin starb ein gutes Jahrzehnt vor der islamistischen Machtergreifung. Doch man sollte nicht unterschätzen, wie lang Entwicklungen fast im Verborgenen anschwellen, ehe sie sich gewaltsam Bahn brechen, so dass es zumindest denkbar ist, dass in Dichtung solche Entwicklungen, und sei es kaum bewusst, vorgefühlt werden.

Unübersetzter Klangreichtum

Doch Farrokhzads Gedichte sind so viel reicher, so viel tiefer als eine Reduktion auf Politisches oder Sozialkritik. Ob man sie nun prophetisch liest oder vor allem auf die unmittelbare Erfahrungswelt der Autorin bezogen, so viel reicher auch, als es der Vergleich mit der Beat-Dichtung erfahrbar machen würde. Farrokhzad war von der europäischen und amerikanischen Moderne beeinflusst, die sie sich vor dem Hintergrund der reichhaltigen persischen Dichtungstradition in einer bis dahin unerhörten Schreibweise aneignete. Die komplexen musikalischen Klangstrukturen, die Farrokhzads Werk prägen, lassen sich nur ahnen, wenn man sich den einen oder anderen Text im persischen Original zumindest einmal anhört. Keine mir bekannte Übersetzung versucht auch nur, diesen Klangreichtum nachzubilden, stattdessen orientiert man sich an dem, was man für die deutsche oder englische Moderne gewohnt ist. Diese Gewohnheit ist zumindest teilweise falsch, wie etwa Erich Frieds Dylan-Thomas-Übersetzungen zeigen, die den walisischen Dichter in ganz ähnlicher Weise seines Reichtums der Klänge berauben. Wobei ich davon ausgehe, dass Übersetzer Kurt Scharf in der deutschsprachigen Suhrkamp-Ausgabe sich zumindest dahingehend bemüht hat. Immer wieder findet man Passagen, die intensiv mit Alliterationen und Assonanzen arbeiten. Wahrscheinlich ist es einfach wirklich nicht möglich, eine der persischen adäquate Klangstruktur im Deutschen zu finden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es noch ein Stück besser ginge.

Jene Tage

Mein Lieblingsgedicht der Autorin, das ich hier zumindest kurz in den Blick rücken möchte, findet man leider zur Zeit nicht von der Autorin eingelesen auf YouTube. „Jene Tage“ ist ein melancholischer Text über das Altern, der vor allem auf die kleinen verklärten Momente der Kindheit und Jugend zurückblickt, aber schon programmatisch anhebt, dass hier Dinge besungen werden, die nicht festzuhalten sind:

“Jene Tage sind vergangen
Jene schönen Tage
Jene heilen und erfüllten Tage
Jener Himmel voller Flitter
Jene Äste voller Kirschen
Jene Häuser, die sich einst im grünen Schutz des Efeus
aneinanderlehnten
Jene Dächer unter ungestümen Drachen aus Papier
Jene Gassen, schwindlig von Akazienblütenduft
Jene Tage sind vergangen”

Der Text besticht durch seine so schönen wie einfachen Bilder, er wirkt tatsächlich kaum konstruiert, sondern direkt aus dem Erinnern geschöpft:

“Jene Tage, da aus einer Spalte zwischen meinen Lidern
Meine Lieder quollen so wie pralle Luftballons
Und mein Auge alles, was an ihm vorüberglitt
Trank wie eine Schale frische Milch
So als säße in dem Nest meiner Pupillen
Sprungbereit die Lebensfreude wie ein Hase
Ginge jeden Morgen mit der alten Sonne
Auf die Suche nach uns unbekannten Wiesen
Und verschwände nachts in dunklen Wäldern”.

oder

…”Mit dem Rascheln von Großmutters Schleier fing es an
Wenn ihr Schatten krumm im Türrahmen erschien
Der plötzlich dem Gefühl von kühlem Morgenlicht den Weg freigab
Und die flüchtigen Bilder vom Flug der Tauben
Auf den glänzenden Fensterscheiben…”

Es geht um Spiel und Familie, um Liebe, doch der Text kippt in einen Schluss, der den meisten Lesern und Leserinnen zumindest ein paar Tränen in die Augen treiben dürfte:

“Jene Tage sind vergangen
Jene Tage sind wie Pflanzen, welche in der Sonne welken
In der Sonnenglut sind sie verdorrt
Und verschwunden sind auch jene Gassen, schwindlig von Akazienblütenduft
Im Gewimmel dichtgedrängter Straßen ohne Wiederkehr
Und das Mädchen, das
Seine Wangen mit Geranienblättern färbte, ach
Ist jetzt eine einsame Frau
Ist jetzt eine einsame Frau.”

Man findet noch einige Texte der Autorin, oft selbst eingelesen, auf YouTube, allerdings längst nicht mehr so viel wie vor 10-15 Jahren. Ich weiß nicht, woran das liegt. Einige Gedichte, wie das oben verlinkte, haben englische Untertitel, so dass man mitlesen kann. Auch bei diesem handelt es sich übrigens um eines der schöneren mir bekannten Gedichte der Autorin. In der deutschen Suhrkamp-Ausgabe steht es unter dem Titel „Wiedergeburt“ auf Seite 60. Auch hier lässt sich die so leicht, so ungezwungen, wirkende Kombination kleiner und großer Themen, aus dem Alltag und aus einem klassischen Fundus geschöpfter Metaphern und Bilder, gut beobachten.

Es gibt mittlerweile eine neue Ausgabe beim Sujet Verlag, allerdings, wenn ich das richtig sehe, noch mit den Übersetzungen, die auch mir vorliegen. Und die Suhrkamp-Ausgabe wird derzeit auf Amazon für 68 € und mehr gehandelt. Heftig.

Bild: Eigenes.

Ein Kommentar zu „Gedichte, deren Klänge sich kaum übersetzen lassen. Forugh Farrochsad – „Jene Tage“.

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