Durchwachsenes Debüt mit lesenswertem Beginn – „The Voyage Out“ von Virginia Woolf.

„The Voyage Out“ ist der Debütroman von Virginia Woolf, die später mit „Mrs Dalloway“ und „To the Lighthouse“ zwei herausragende Romane nicht nur der englischsprachigen Moderne vorlegen wird. Besonders „To the Lighthouse“ darf in keiner Diskussion über den formvollendeten Roman überhaupt fehlen. „The Voyage Out“ dagegen dürfte Freunde des reiferen Werkes der Schriftstellerin höchstens phasenweise erfreuen. Der Text erzählt die Geschichte von Helen und Rachel, die mit einer Gruppe von Passagieren nach Südamerika reisen, wo sie mehrere Monate Aufenthalt haben. Besonders im ersten Viertel des Buches, unterwegs auf dem Dampfer, blitzt schon einiges von Woolfs späterer Klasse auf. Dieser leicht dahin plaudernde und dennoch fokussierte Tonfall, die Handhabung zahlreicher Figuren, zwischen denen gewechselt wird und die sich relativ gleichberechtigt gegenübertreten. Auch immer mal wieder gelungene bildliche Passagen:

„Winding veils round their heads, the women walked on deck. They were now moving steadily down the river, passing the dark shapes of ships at anchor, and London was a swarm of lights with a pale yellow canopy drooping above it. There were the lights of the great theatres, the lights of the long streets, lights that indicated huge squares of domestic comfort, lights that hung high in air. No darkness would ever settle upon those lamps, as no darkness had settled upon them for hundreds of years. It seemed dreadful that the town should blaze for ever in the same spot; dreadful at least to people going away to adventure upon the sea, and beholding it as a circumscribed mound, eternally burnt, eternally scarred. From the deck of the ship the great city appeared a crouched and cowardly figure, a sedentary miser.“

Vom virtuos gehandhabten indirekt freien Stil ist allerdings noch wenig zu sehen. Während etwa in „Mrs Dalloway“ die Perspektive nahtlos wie eine Kamera in einem Film, der ohne jeglichen Schnitt aufgenommen ist, von Figur zur Figur wechselt, reinzoomt bis in den Kopf, wieder heraus bis in die Totale, erfolgen die Wechsel hier im Vergleich noch geradezu blockhaft. Entweder in Übereinstimmung mit den Wechseln der Kapitel, oder, als leite uns ein Erzähler recht gewaltsam an: so, jetzt kommt mal mit hier hin, jetzt zeige ich euch, was der oder die denkt. Teilweise stößt man auf regelrecht gewaltsame Passagen, konstruiert, um eine zusammenfassende Charakterisierung oder einen Lebensweg von Personen zu geben:

„Rachel stated that she was twenty-four years of age, the daughter of a ship-owner, that she had never been properly educated; played the piano, had no brothers or sisters, and lived at Richmond with aunts, her mother being dead. ‚Next,‘ said Hirst, having taken in these facts; he pointed at Hewet. ‚I am the son of an English gentleman. I am twenty-seven,‘ Hewet began. ‚My father was a fox-hunting squire. He died when I was ten in the hunting field. I can remember his body coming home, on a shutter I suppose, just as I was going down to tea, and noticing that there was jam for tea, and wondering whether I should be allowed—'“

Auf dem Schiff, mit einem überschaubaren Ensemble, das nach und nach etabliert wird, funktioniert das noch recht gut. Später aber, als dann noch ein paar Hände voll neue Figuren eingeführt werden, verliert man irgendwann das Interesse. Das liegt daran, dass das Schiff als thematische Einheit in sich recht gut zusammenhält. Hier trifft die Gruppe um Helen und ihren Mann sowie die jüngere Rachel Clarissa und Richard Dalloway, die wir später in „Mrs. Dalloway“ erneut kennen lernen werden. Mr. Dalloway ist Parlamentarier, konservativ, wenn auch nur “for conveniences sake”, denn vor allem glaubt er aufrichtig daran, aus dem Geist des englischen Liberalismus heraus vor dem Hintergrund des Empires die ganze Welt verbessern zu können. Für Künstler haben die beiden nicht unglaublich viel übrig, auch wenn sie sie als Ornament-Schöpfer der Gesellschaft schätzen. Die Gruppe um Rachel, besonders aber Rachel selbst, sind ihre „Gegenspieler“. Liberale kunstbegeisterte Menschen. Woolf ist hier bereits so reif, dass sie nicht einfach böse Konservative gegen gute Liberale stellt. Dalloway ist alles andere als ein schlechter Mensch, und der Liberalismus der Jüngeren scheint so weit zu gehen, dass sie sich jeglichen politischen Einsatz verweigern, da der korrumpieren könnte, was Dalloway natürlich für idiotisch hält, gerade wenn man wie diese jungen Menschen so viele Ansprüche an eine bessere Welt hat. Schließlich küsst Mr. Dalloway bei einer privaten Unterredung Rachel, was diese in eine größere Krise stürzt, und dann trennt sich die Gruppe, die Dalloways bleiben in Europa zurück. Erwähnenswert sind in diesem Kontext noch einige Diskussionen rund um die Rolle der Frau. An einer Stelle klingt bereits einiges an, was Woolf später in „A Room of One’s Own“ ausführen wird, an anderer Stelle zeigt sich der sich den gesellschaftlichen Fortschritt auf die Fahne schreibende Dalloway als ziemlich misogyn. Auch in dieser Diskussion stellt Woolf aber nicht einfach einen „bösen“ frauenfeindlichen konservativen Mann den „guten“ weiblichen progressiven Liberalen gegenüber, sondern sie bildet verteilt auf mehrere männliche und weibliche Rollen verschiedene Positionen ab.

Die Schwächen des Romans gewinnen dann mit der Ankunft in Südamerika bald Übergewicht, obwohl es durchaus noch gelungene bildliche Passagen gibt.

“The sun was beginning to go down, and a change had come over the mountains, as if they were robbed of their earthy substance, and composed merely of intense blue mist. Long thin clouds of flamingo red, with edges like the edges of curled ostrich feathers, lay up and down the sky at different altitudes. The roofs of the town seemed to have sunk lower than usual; the cypresses appeared very black between the roofs, and the roofs themselves were brown and white. As usual in the evening, single cries and single bells became audible rising from beneath.”

Erneut muss man sich auf ein Figurenensemble einstellen, und insbesondere die beiden männlichen Fokusfiguren Hirst und Hewet wirken wie Karikaturen, gerade auch im Vergleich zum Ensemble auf dem Schiff. Es wird weiterhin viel diskutiert über Liebe, Politik und Kunst, aber das alles wirkt nicht mehr so in Figuren und Setting integriert wie im ersten Teil. Dieses „Südamerika“ wirkt deutlich weniger plastisch als das Schiff, wie eine Kulisse. Edward Morgan Forster schrieb über den Roman wohl einmal, lobend gemeint, er sei:

“… a strange, tragic, inspired book whose scene is a South America not found on any map and reached by a boat which would not float on any sea, an America whose spiritual boundaries touch Xanadu and Atlantis.”

Ich unterschreibe das, allerdings nicht als etwas Positives. Obwohl der Text durchaus hier und da dazu ansetzt, beispielsweise in Dalloways Visionen, die britische Kolonialherrschaft und ihre Schattenseiten zu reflektieren, wirkt das koloniale Setting, in dem sich der Roman nach dem ersten Viertel bewegt, vor allem wie eine exotisierende Kulisse, teils regelrecht herablassend gegenüber der indigenen Bevölkerung.

Schwach ist auch die tragische Liebesgeschichte um Rachel und Hewett, auf die sich der Roman mit der Zeit auf Santa Marina verengt. Auch hier gibt es noch interessante Gespräche über Liebe, Ehe, Kunst und Politik, aber so wirklich ein Gefühl dafür, was diese beiden Figuren zueinander hinzieht, kommt nicht auf.

Eine kleinere Sache, die beim Lesen durchaus auch stört, ist die Bezeichnung der Figuren. Helen lernen wir z. B. zu Beginn als Mrs. Ambrose die ganze Zeit gemeinsam mit ihrem Mann kennen, und später wird sie mal so, mal so bezeichnet, ohne dass sich ein genaues Muster erkennen lässt. Das gilt für weitere Figuren ebenso, sodass es zusätzlich lange dauert, bis man erst einmal alle Namen und Charaktereigenschaften zugeordnet hat.

„The Voyage Out“ ist ein Roman, der durchaus ahnen lässt, was Woolf literarisch später noch gelingen wird. Es ist aber ein sehr durchwachsener Text, und ich würde niemandem empfehlen, mit diesem Roman zu beginnen, um sich in Woolfs Werk einzulesen, weil es womöglich “leichter” sein könnte. Beginnt mit den Meisterwerken.

Bild: Pixabay.

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