Wenig Herausragendes, viele Gelegenheitsreimereien. Yeats Gesamtwerk enttäuscht.

Ich glaube, von allen Dichtern, von denen ich bereits den ein oder anderen Text mochte bzw. auch in der Analyse für sehr stark hielt und mir dann das Gesamtwerk zulegte, hat mich keiner so enttäuscht wie William Butler Yeats.

„Leda and the Swan“ ist ein formvollendetes Sonett. „Sailing to Byzantium“ ist eine etwas freier schwingende, doch ebenso formvollendete Meditation über das Altern, in der sich ein alterndes lyrisches Ich von der Welt ausgestoßen fühlt, die „No Country for Old Men“ ist. Es flüchtet sich nach Byzanz, das man kaum mit dem zum lyrischen Ich zeitgenössischen Istanbul übersetzen darf, sondern das die Projektion Ostroms sein dürfte, einem Staat, der irgendwann fast synonym wurde mit Altern und Erstarrung. Genau in diesem vergoldeten Zustand eines langsamen Verschwindens findet das lyrische Ich Halt und Hoffnung. Für uns als Leser ist das natürlich hoch melancholisch: denn innerhalb dieser projizierten Weltgeschichte nimmt das lyrische Ich doch wieder nur die Rolle ein, in der es sich in der jungen Gesellschaft sah. Das wird nicht gesagt, der Text endet scheinbar positiv. Im Symbolkomplex von Byzantium ist es aber immer präsent und erklärt überhaupt den durchweg elegischen Ton des Gedichts.

“Once out of nature I shall never take
My bodily form from any natural thing,
But such a form as Grecian goldsmiths make
Of hammered gold and gold enamelling
To keep a drowsy Emperor awake;
Or set upon a golden bough to sing
To lords and ladies of Byzantium
Of what is past, or passing, or to come.”

(man beachte “drowsy emperor” / “golden bow”).

Ganz zurecht wurde “No Country for Old Men” zu einem derart geflügelten Wort, dass die Cohen-Brüder danach einen Film benannten.
Auch „The lake Isle of Innisfree ist eine Fluchtfantasie. Rhythmisch und melodisch gelungen gerade in seinem Wechsel zwischen langen und kurzen Zeilen und dem plötzlichen Abfall jeweils zu Strophenende:

“I will arise and go now, and go to Innisfree,
And a small cabin build there, of clay and wattles made;
Nine bean-rows will I have there, a hive for the honey-bee,
And live alone in the bee-loud glade.

And I shall have some peace there, for peace comes dropping slow,
Dropping from the veils of the morning to where the cricket sings;
There midnight’s all a glimmer, and noon a purple glow,
And evening full of the linnet’s wings.

I will arise and go now, for always night and day
I hear lake water lapping with low sounds by the shore;
While I stand on the roadway, or on the pavements grey,
I hear it in the deep heart’s core.”

[Audio-Lesung vom Autor]

Wenn man aber dann das Gesamtwerk hinter sich hat, sieht man an diesen Texten vielleicht schon die erste dunkle Wolke heraufziehen. Denn mehr habe ich auf 300 Seiten nicht gefunden. Kaum ein Gedicht, das ich mir zum vielleicht-mal-wieder-Lesen markiert habe. Das meiste sind kleine Verse, wie man sie vielleicht als Jugendlicher schreibt. Aber nicht nur bei den Jugendgedichten; bis ins hohe Alter ziehen sich diese Gelegenheitsgedichte. Gerade in dem Moment, da sich erste Texte andeuten, die Hoffnung machen, dass bald Substanzielleres folgt, beginnt Yeats sich leider zu politisieren. Nun folgen zahlreiche belanglose Texte über heute unbekannte irische Politiker bzw. Widerstandskämpfer, die ehrlich gesagt selten überhaupt das Niveau des späteren linken Schlagers „Der Commandante Che Guevara“ erreichen. Die berühmte Begeisterung für das von ihm erfundene Konzept der „Gyres“ dagegen ist zum Glück ziemlich kurz.

Eigentlich hätte ich gerade hier komplexe oder wenigstens obskure Alterswerke erwartet. Stattdessen aber mehr einfache Liedchen, sowie längere Texte, die sich aus kürzeren zusammensetzen, die oft von Strophe zu Strophe, aber auch teils in den Strophen, in Länge und Rhythmus wechseln.

Und das ist dann auch mein Problem mit vielen der leichteren Texte. Sie funktionieren selbst als leichte Texte nicht wirklich. Denn Yeats hat größte Schwierigkeiten, bzw. größte Unlust, denn aufgrund einiger Texte wissen wir ja, dass er es könnte, auch nur halbwegs einen Rhythmus durchzuhalten. Damit meine ich nicht einmal, dass alle Zeilen gleich viele Hebungen und Senkungen haben sollten. Ich meine einfach, einen Text zu erschaffen, bei dem man nicht zwischendrin im Lesefluss stockt, weil der Rhythmus, der über fünf Zeilen etabliert wurde, in den Zeilen sechs bis acht vergessen wird, dann wieder aufgegriffen wird, aber sich vielleicht noch mal ändert. Hier z.B. diese Meditation über „The Second Coming“ beginnt doch ganz ordentlich: intensive Bilder, ein starker blankversartiger Rhythmus und dann der Bruch in Zeile 8. Brutal, aber warum nicht? Vielleicht ist das eine ähnlich durchdachte Zäsur wie bei „Lake Isle of Innisfree“.

“Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.”

Pustekuchen. Danach geht das Gedicht rhythmische in alle Richtungen, scheint nur noch dem Bedürfnis zu genügen, irgendeine Botschaft zu verkünden:

“Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight: somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Reel shadows of the indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?”

Oder hier: Was ist los mit diesem Text? Die erste Strophe will ich gerade noch so durchgehen lassen. Die erste Zeile mit einem regulären Jambus bekommt die zweite Zeile praktisch gleich als Gegenrhythmus reingehauen. Die dritte greift den Jambus wieder auf. Aber die vierte, statt den Gegenrhythmus aufzugreifen, bleibt im Jambus. Na ja, von mir aus. Aber man muss sich doch zwingen, bei der ersten Lektüre nicht folgendermaßen zu betonen:

“WAS it the double of my dream
The woman that by me lay
Dreamed, or did we halve a dream
Under the first cóld gléam of day?”

Die ersten vier Zeilen von Strophe 2 beginnen noch mal ähnlich, doch dann muss der Nachgedanke angehängt werden, der den gesamten Fluss des Textes brutal abwürgt:

“I thought: „There is a waterfall
Upon Ben Bulben side
That all my childhood counted dear;
Were I to travel far and wide
I could not find a thing so dear.‘
My memories had magnified
So many times childish delight”

Und es wird nicht besser. Der Text kommt nie richtig im Fluss, weil Rhythmen relativ erratisch wechseln. Und das ist alles andere als ein Einzelfall.

“I would have touched it like a child
But knew my finger could but have touched
Cold stone and water. I grew wild.
Even accusing Heaven because
It had set down among its laws:
Nothing that we love over-much
Is ponderable to our touch.

I dreamed towards break of day,
The cold blown spray in my nostril.
But she that beside me lay
Had watched in bitterer sleep
The marvellous stag of Arthur,
That lofty white stag, leap
From mountain steep to steep.”

Versteht mich nicht falsch. Ich habe absolut nichts gegen freie Rhythmen oder vielleicht sogar besser gesagt freirhythmisch-melodische Texte, denn wie Stefan George zurecht bemerkte: freie Rhythmen sind so etwas wie weiße Schwärze. Man kann auch durchaus bedacht innerhalb eines durchrhythmisierten Textes den Rhythmus wechseln, wobei ich das für eines der am schwersten durchzuführenden Manöver der Lyrik überhaupt halte. Und sicher kann man einwenden, dass Brüche im Rhythmus, ja sogar ein Text voller erratischer Rhythmen absichtsvoll so konstruiert sein kann, um das Inhaltliche zu spiegeln und zu unterstreichen. Aber ganz ehrlich: ich sehe nicht, dass Yeats das macht. Man findet diese Unsauberkeiten in den einfachsten Texten, und gerade, wo sie thematisch passen würden, findet man sie dagegen eher nicht. Siehe „Sailing to Byzantium“. So viele Gedichte wirken unfertig, wie erste Entwürfe, rasch dahingeworfen und nie wieder mit strengem Sinn durchgearbeitet.

Wenn man sich online noch einmal daran erinnern lässt, worauf sich Yeats‘ Stellung in der Weltliteratur eigentlich begründet, stößt man dann auch vor allem auf Inhaltliches: das Aufgreifen keltischer Mythologie, spiritistische Themen und natürlich ganz wichtig: sein Nationalgefühl oder klarer gefasst: Nationalismus. Weder kann man Yeats als Rufer in der Wüste feiern, der sich streng gegen die modernistischen Tendenzen stellt, denn dafür sind seine Verse nicht streng genug, noch macht es aber Sinn, ihn als die Brücke von der strengen Form in die freie Form zu sehen. Denn tatsächlich arbeiteten bereits die deutschen Stürmer und Dränger freier, die englischen Präraffaeliten und zahlreiche andere Autoren, besonders hervorzuheben dabei der späte William Blake. Und was die Symbolik, was die Bildhaftigkeit betrifft, ist Yeats doch nur ein Abglanz dessen, was der französische Symbolismus, der ihn beeinflusst haben mag, leistete. Normalerweise sage ich, einige wenige herausragende Gedichte reichen, um zu Recht einen literarischen Ruf zu begründen. Lieber ein paar Höhepunkte als viel Mittelmaß. Und immerhin, die hat Yeats zu bieten. Das Verhältnis von Gedankenlyrik, nationalistischen Liedern und unzähligen unmotivierten Reimereien zu diesen wenigen Texten ist im Großen und Ganzen dennoch enttäuschend.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

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