„Herr Lehmann“ und der Lehmankosmos von Sven Regener.

Vor etwa zwei Jahren erschien mit „Glitter Schnitter“ einmal wieder ein Roman, der sich dem Herr-Lehmann- Universum von Sven Regener zuordnen ließ, auch wenn Frank Lehmann darin nur noch eine Nebenrolle spielt. Ich war wenig begeistert. Da ich in meiner Rezension aber auch bemerke, dass man sich das Geplapper als Hörbuch gefallen lassen könnte und die Onleihe fast alle Herr-Lehmann-Romane als Hörbuch hat, habe ich mich entschlossen, die Reihe, die wahrscheinlich ursprünglich nicht als Reihe geplant war, einmal durchzuhören. Immerhin einen Grund gibt es, sich den ganzen Regner einmal anzuschauen. Der Autor hat mit den Lehmann-Büchern ein Projekt angegangen, das im deutschen Sprachraum selten ist und überhaupt in der neueren Literatur: Den Aufbau eines Berlin Kosmos der 80er und 90er Jahre mit geteiltem Personal und geteilter Geschichte über mehrere längere Erzählungen. Das mag Menschen an das moderne vermarktungsmodell des Cinematic Universe erinnern, das die halbgare moderne Serialität ins Kino getragen hat, hat aber auch etwas von den Projekten Balzacs und Zolas im 19. Jahrhundert.
Freilich verrate ich nicht zuviel, wenn ich hier schon festhalte: Regener fehlt das erhabene Stilgefühl Zolas ebenso wie die Fähigkeit, quasi Shakespearsche Figuren zu zeichnen, wie es Balzac teilweise gelingt. Und wo die beiden Franzosen immer wieder versuchen durch den besonderen Moment das Historische zu begreifen, hält Regener die große Geschichte fast zwanghaft draußen, was natürlich zu einer Zeit passt, in der die Menschen immer mehr mit sich selbst beschäftigt sind, derweil für die zweite Hälfte des Regenerschen Oevres (chronologisch die erste) ja die glorreiche Verkündung des „Endes der Geschichte“ kurz vor der Tür stand. Allerdings fällt auch auf, dass der Gesamtkosmos nach allen Romanen einen besseren Eindruck hinterlässt als die meisten Einzeltexte. Vielleicht mache ich mich nochmal an einen Text, der das untersucht.

„Herr Lehmann“ bleibt einer der beiden stärksten Romane aus der gesamten Serie, und das spricht nicht für die anderen Texte. Denn „Herr Lehmann“ ist nett, doch der Hype um den Text damals war total übertrieben und wohl vor allem der deutschen Geilheit auf den sogenannten „Wenderoman“ geschuldet, der unbedingt geschrieben werden muss, und deshalb wurde gern jedem Text, der irgendwie um das Ereignis kreiste, gleich schon einmal ein großer historischer Wert zugeschrieben. Okay, das hat sich angesichts der Masse der „Wenderomane“ seitdem mittlerweile beruhigt, aber es gab sie, diese Wenderoman-Hysterie.

„Herr Lehmann“ ist genauso aufgebaut wie seine Nachfolger, funktioniert im Kleinen und im Großen nach den gleichen Stilprinzipien, und gleichzeitig doch deutlich besser als das meiste, was noch kommen sollte. Strukturell ist es definitiv der beste Text der Reihe. Das ist, weil der Roman seine Grenzen kennt.

Ein typischer Regner beginnt mit einer spannend-witzigen bekloppten Szene. In „Herr Lehmann“ ist das die betrunkene Begegnung mit dem herrenlosen Hund. Dann entwickelt sich der Roman abgeschlossene Szene für abgeschlossene Szene, normalerweise fast ausschließlich in Gesprächen. Herr Lehmann spricht:

  • mit dem Hund.
  • mit der Mutter am Telefon.
  • mit der „schönen Köchin“, die später als Katrin seine Geliebte wird.
  • mit dem Chef.
  • mit dem besten Freund Karl.
  • und so weiter.

Meistens reine Dialoge, manchmal sind mehrere Personen anwesend und nur ganz selten entfaltet sich zwischen allen ein gleichberechtigtes Gespräch. Wo aber kein Dialog steht, werden meist Gedanken Lehmanns mittels der exzessiven Verwendung der Phrase „dachte er“ wiedergegeben. Das kann leicht nervig werden, trägt aber über die knapp 200 Seiten von Herr Lehmann ganz gut und verleiht einem sprachlich sonst absolut durchschnittlichen Text einen gewissen Rhythmus. Ein weiteres ähnliches Stilmerkmal sind Epitheta, wenn Figuren genannt werden, so ist Karl Schmitt etwa immer wieder „sein bester Freund Karl“. Zusammen könnten beide Mittel „Herr Lehmann“ sogar ein wenig auf dem Feld des „Mock-Epic“, einer Art Epenparodie, platzieren.
Die einzelnen Dialoge sind leidlich witzig, ein paar Beobachtungen treffen. Und wenn sich langsam der Eindruck einstellt, das alles sei doch recht monoton, ist die nächste Dialogszene dran. Und wenn man dann doch langsam realisiert, dass es bei diesem Schema F bleiben wird, fällt die Mauer und der Roman ist vorbei und man hatte doch einigen Spaß.
Im Nachfolger, „Neue Vahr Süd“, wird das schon nicht mehr so gut funktionieren. Einer der Gründe: Dessen gut 600 Seiten.

Bild: wiki, gemeinfrei (Lesser Ury).

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